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Samstag, 9. Februar 2019

Die allerletzte Presseschau: Barbara Schöneberger und der Fatsuit

Dumm gelaufen...

Die Frau Schöneberger trägt auf dem aktuellen Cover der nach ihr benannten Frauenzeitschrift einen Fatsuit. Etwas lappig, in leicht glänzender Hautfarbe mit pinkfarbenen Brustwarzen auf den tief sitzenden Stoffbrüsten. Am Ende des Hefts gibt es dann ein Bild des leeren Fatsuits, also eines dicken, künstlichen Körpers ohne Kopf, Füße und Hände. Weil die Frau Schöneberger ja nicht wirklich dick ist, und das Publikum nur zur Sicherheit (und zum millionsten Mal) darauf hinweisen musste.

In einem von der Frau Schöneberger zusätzlich auf Instagram veröffentlichten Video ist sie zu sehen, wie sie sich mit dem Fatsuit bekleidet eine Servierschüssel schnappt und den Inhalt mit einem großen Löffel in sich hineinschaufelt. Und dann muss sie ganz doll kichern und versichert, sie habe nichts gegen Dicke.

Wie anstößig und daneben, aber auch, wie vielsagend das alles ist, muss nicht erklärt werden. Und wo es doch erklärt werden muss, da sollte frau sich nicht niederlassen.

Ich habe überhaupt nur etwas von der Sache mitbekommen, weil Magda Albrecht in der März-Ausgabe des Magazins Barbara einen Artikel über Selbstakzeptanz veröffentlicht hat, und hinterher bei der Mädchenmannschaft einräumen musste, dass sie offenbar ihre Hausaufgaben vorher nicht gemacht hatte.

Angeblich hatte sie das Desaster nicht vorhersehen können, obwohl sie "ehrlicherweise nichts anderes erwartet hat". Häh? Wie jetzt? Sie hatte also (k)eine Ahnung, mit wem sie sich da einließ? Alle waren "cool"schreibt sie in ihrer entsetzten Stellungnahme. Und viel bezahlt haben sie für den Artikel auch. Da kann doch keiner auf die Idee kommen (wollen), dass die womöglich überhaupt nichts Gutes im Schilde führen, oder?

Erkenne deine Feindin

Und mich hat natürlich mal wieder keine gefragt. Denn dass das Magazin der Moderatorin Barbara Schöneberger bereits seit den ersten Ausgaben im Wesentlichen ein Zeugnis ihrer eigenen Ess- und Körperbildstörung ist, lag auf der Hand. Vor genau einem Jahr, also für die Märzausgabe 2018, stand auf dem Cover das Wort "Mampf" und die Frau Schöneberger hatte Kuchen im Haar, in der Faust und überall um sich herum. Sie schwamm in Kuchen und die Titelgeschichte lautete: "Aber bitte mit Sahne - Gerade sind wieder alle auf Diät. Da machen wir nicht mit, oder? Ein Heft über sinnlosen Figurwahnsinn und heiß geliebte Fressorgien."

Wenn man sich am (gelegentlichen) "Fressen-dürfen" in regelmäßigen Abständen so abarbeitet, wie andere Frauenzeitschriften an Gewichtsverlust und Diäten und gleichzeitig immer Witze über "Hüftgold" machen muss, dann ist das nicht Body Positivity oder Fettakzeptanz. Dann stimmt da was nicht. Dann hat man ein gravierendes Problem, in das man andere aber nicht unter dem Deckmantel der "Alle-sind-irgendwie-auch-schön-Bewegung" mit hineinziehen sollte. Das ist nicht nur kein Dienst an der Leserinnenschaft, es ist schlicht und ergreifend schon wieder unredlich. Ohnehin ist die ständige Verknüpfung vom großen Fressgenuss mit Dicksein echt nur noch zum Kotzen.

Die Frau Schöneberger befindet sich im ständigen Krieg mit ihrem Aussehen, und weil sich der so gut verkauft, auch und neuerdings ja gerade in der halbherzigen Leugnungsversion, kann sie ihn nun bereits seit Jahren mit Hilfe einer ganzen Redaktion öffentlich und für Geld austragen. Und natürlich, wie sollte es auch anders sein, am Ende mal wieder auf Kosten ihrer Leserinnen, d.h. auf Kosten anderer Frauen.

Das betrügerische Getue, diätfrei zu sein, ohne es jemals gewesen zu sein, das ewige Herumreiten auf der unfairen Notwendigkeit, schön zu sein und das manische Oszillieren zwischen kuscheliger Selbstherabsetzung und unaufrichtigem, aufgescheuchtem, orientierungslosem Toleranzgebaren und Fressorgien hätten der nach eigener Aussage medienerfahrenen Fettaktivistin Magda Albrecht ja eigentlich schon als Wegweiser dienen können. Aber vielleicht sieht man etwas nicht, wenn es schlicht zu nah an einem dran ist.

Wie hätte z.B. das "super-professionelle und herzliche Team" (Magda Ablrecht) der Barbara denn eigentlich wissen sollen, dass Magda Albrecht und lustige Fatsuits auf dem Cover nicht so richtig zusammenpassen? Magda Albrecht tut doch in ihrem Buch (Fa(t)shionista) genau dieses: Sie kokettiert mit ihrem angeblich ewigen Hunger und macht ihren eigenen Körper immer wieder mit milder, lustig gemeinter Missbilligung und "Offenheit" über ihr schwieriges Verhältnis zu eben jenem Körper runter. Das soll vielleicht authentisch wirken, weil sie damit signalisiert, dass sie sich wie jede andere "normale" Frau, also Nicht-Aktivistin und Nicht-Autorin, nur sehr schwer von Schönheitsnormen abgrenzen kann.

Am Ende kommt es aber leider nur genauso larmoyant rüber, wie das Gejammer über ihren offenkundigen Aktivismus-Burnout, das der Erfahrung mit der Fatsuit-Barbara folgt: "Ich war zwar hochgradig genervt, stellte mir aber die Frage, die ich mir in den letzten Jahren immer öfter stelle: Was bringt es, wenn wir uns immer und immer und immer wieder über Dinge aufregen?" Dabei ist das, was ihr jetzt mit der Barbara passiert ist, ist genau das, was passieren muss, wenn man glaubt, es sei legitim, im Umgang mit der Öffentlichkeit immer wieder auf Witzeleien, Augenzwinkerei und Versöhnlichkeit zu setzen, wenn es aber eigentlich um den eigenen Körper und seine ständige Missachtung durch diese Öffentlichkeit geht. Selbst im Artikel in der Barbara schreibt sie noch von "übergewichtigen Moppeln" (S. 54) und spürt den glitschigen Boden unter sich scheinbar überhaupt nicht.

Und das hier ist dann auch noch passiert...

Wenn es dann um das Erheischen männlicher Validierung geht, steht die fröhlich-freie Fresserei übrigens plötzlich überhaupt nicht mehr an erster Stelle, denn, so instruiert uns die Frau Schöneberger im Editorial zur aktuellen Fatsuit-Ausgabe: "Wenn Sie also einen neuen Partner blenden wollen, dann ist beim ersten Date nicht so wichtig, was Sie zum Essen auftischen, sondern die perfekte Lichtsituation bringt den Abschuss! Merke: 20 Kerzen machen zehn Jahre jünger und zehn Kilogramm schlanker!" (Anm. d. Dicken Dame: Allein die Vorstellung, dass Frauen im Jahre 2019 Männer beim ersten Date bekochen...aber geschenkt.)

Ach, und hatte ich erwähnt, dass die Frau Huber von der Brigitte auch in der Chefredaktion der Barbara verantwortlich zeichnet? I know, right?

NH

MOST COMMENTS WELCOME! : )

Freitag, 15. Juni 2018

Ausgelesen: "Nicht direkt perfekt" von Nicole Jäger

"Ich mache mir immer Gedanken darüber, wie ich wohl gerade aussehe. Immer." (S. 10)


Einer meiner Vorsätze für 2018 war, keine schlechten Bücher mehr zu lesen. Hat bekanntlich mal wieder nicht geklappt. Erst die relative Enttäuschung über Magda Albrechts biederes "Fatshionsta" und nun auch noch das.

Obwohl es im Fall von Nicole Jägers "Nicht direkt perfekt" streng genommen keinerlei Enttäuschung gab - es bestanden ohnehin keine großen Hoffnungen. Das Buch ist erwartungsgemäß sprachlich daneben und vollgestopft mit Quatsch. Und dann noch mit den Wiederholungen von eben jenem Quatsch. Im Zuge ihrer unsäglichen, SIEBZEHN!!!seitigen Danksagung bedankt sich Nicole Jäger übrigens auch bei ihrer Lektorin Susanne Frank. Jeder gequälten Leserin, die sich bis zu diesem Punkt durchgearbeitet hat, bleibt nur noch, mit letzter Kraft aufzuheulen: "Wofüüür?!" Bei der Vorstellung, wie unerträglich der Ausgangstext tatsächlich gewesen sein muss, wenn hier wirklich noch eine professionelle Nachbearbeitung erfolgt sein soll, kräuseln sich einem die Fußnägel hoch. Selten habe ich ein Buch in Händen gehalten, bei dem so klar war, dass hier irgendwie und wie auch immer Papier gefüllt werden sollte. Weil man halt unbedingt einen Nachfolger für den vorangegangenen Bestseller "Die Fettlöserin" herauspressen wollte.

Dummerweise ist der Nachfolger (zumindest relativ) gefloppt. Nicht wegen des Lektorats, das war beim Vorgänger wie gesagt auch nicht besser. Sondern, weil die (vermutliche) Superlügengeschichte vom Rekordgewicht von 340 kg, die den ersten Erguss weit ins Land trug, im zweiten Werk eben nicht mehr zieht. Denn die Frau Jäger nimmt nicht mehr ab. Sie hat es noch immer vor. Jedenfalls sagt sie das. Aber sie tut es nicht. Ganz so, wie wahrscheinlich die meisten ihrer zuvor begeisterten Leserinnen.

Glauben sollte man der Frau Jäger sodann auch im zweiten Werk nicht allzu viel. Das Buch ist nicht nur verdammt langatmig und redundant - es war offenbar der Versuch, auf einen komplett artfremden Zug aufzuspringen und sich weibliche Selbstakzeptanz (im allerweitesten Sinne) als neues Betätigungsfeld und Einnahmequelle unter den Nagel zu reißen. Solange es mit dem Dünnwerden nichts wird, nimmt sie eben einen Umweg über die Selbstakzeptanz. Ist ja jetzt auch irgendwie in.

Auf der Hand liegt, dass die Frau Jäger auch ganz ohne gezielten Umbau der Wahrheit hierbei ein substantielles Glaubwürdigkeitsproblem hat, hat sie doch im Vorgängerbuch tausendmal ihren Leserinnen in deren Ärsche treten wollen, damit sie bitteschön endlich abnehmen. Auch so etwas, was das Lektorat damals nicht verhindert hat. Eine deutliche Distanzierung von ihrem ursprünglichen Lob des Diätens nimmt Frau Jäger im neueren Werk mithin nicht vor.

Dafür verrät jedoch der Titel "Nicht direkt perfekt"schon genau, was dann zwischen den Buchdeckeln hauptsächlich stattfindet - von der Gültigkeit von Schönheitsnormen mag sich die Autorin gedanklich gar nicht trennen, denn offenbar gibt es in ihrer Welt sehr wohl so etwas wie ein "perfektes" Äußeres sowie deutliche Abweichungen davon. Das führt zum einen dazu, dass ihre Solidarität mit der "nicht direkt perfekten Leserinnenschaft" nur eine verlogene ist - so wie die von Frauenzeitschriften in der Regel auch. Zum anderen veranlasst es die Autorin zu einer auf verwirrende Weise selbstbeweihräuchernden Selbstdarstellung als eine Mischung aus einsamer Drama Queen, kapriziöser Sitcom-Protagonistin und Femme Fatale. Tatsächlich bezeichnet sie sich quer durch das Buch hindurch selbst als "Diva". Bei den kuscheligen Aufzählungen ihrer "Schwächen" (das dünne Haar, die hängende Haut, die chaotische "Künstlerseele" (S. 251)) scheint es sich mithin lediglich um Koketterie zu handeln, die sich vor dem Hintergrund ihrer eigentlichen Grandiosität zwecks Sympathierhalts eben einfach schickt.

Wenn frau den Schilderungen der Frau Jäger glauben mag, dann ist sie in der Tat ein männermordender Vamp, ein veritabler Penis-Magnet, bei dem große, breitschultrige Männer vom vordersten Ende der Nahrungskette in Bars und Clubs regelmäßig Schlange stehen. Das Buch fängt an mit Film Noir für Anspruchslose: "Ein Club, ein Abend, ein angekratztes Ego, ein paar Gin und plötzlich war er da." (S. 9) Und geht dann auch schön platt weiter: "Der Boy neben mir ist auch nice (...) und sowie er guckt, werde ich schon bald herausfinden, wie sein Body aussieht." (S. 11)

Wieder und wieder jubelt uns die Autorin ihren vermeintlich immensen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der Frau-Mann-Beziehung unter: "Mein Körpergefühl habe ich mir erarbeitet, erheult, erfickt..." (S. 66) "Ich brauchte Männer, die mir auf den Hintern (...) und ab und an sogar ins Gesicht guckten. (...) ich brauchte schlechte One-Night-Stands, tausend Laufmaschen, abgebrochene Absätze, verlaufenes Make-up, beschissene Beziehungen..." (S. 67/68) "Ich wurde schon für alle möglichen Arten von Frauen verlassen..." (S. 149) "Ich habe schon so manche Beziehung (...) gegen die Wand gesetzt..." (S. 175) "Ich trennte mich. Man trennte sich von mir. Man trennte sich im beiderseitigen Einverständnis, wie es immer so schön heißt,..." (S. 176)

Und dann wäre da ja auch noch eine in die Brüche gegangene Ehe zeitlich unterzubringen, bei deren Aufarbeitung im Buch die Frau Jäger ihrem verspießerten Ex mit einer gehörigen Portion Bitterkeit so richtig eins überbrät: "Eine Trennung, die das Ende einer Beziehung markierte, die vom ersten Tag an ein Ablaufdatum hatte." (S. 180) Und er ging ihr "auf die Eier, die er nicht hatte." (S. 185) Autsch...

Da staunt der Laie und Nicola wundert sich. Die hat bekanntlich unter großen Anstrengungen das Erstbuch komplett gelesen und fragt sich, wann die Frau Jäger bis Mitte dreißig bloß all diese Millionen von Affären und Beziehungen gehabt haben will, auch im Hinblick auf die Tatsache, dass sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer besonders dating-relevanten Jahre in einem Körper verbracht haben muss, mit dem es mitunter gar nicht so leicht gewesen sein kann, sich ohne Hilfe zu bewegen, geschweige denn mit ihm in tausenden von Nachtclubs Horden von Verehrern abzuwehren. Wenn die erste Lebensgeschichte stimmen soll, scheint die zweite schlicht nicht machbar.

Was hilft es anderen Frauen überhaupt, wenn man ihnen erzählt, was für eine Sexbombe man ("trotz" eines Gewichts von 170 kg und damit einer erheblichen Abweichung von gängigen Schönheitsnormen) ist? Wäre es nicht sinnvoller, zu verkünden, dass es schlicht für niemanden wichtig ist, eine Sexbombe zu sein?  Das würde der Frau Jäger freilich niemals in den Sinn kommen, denn: "Ich für meinen Teil bin jedenfalls in keinem Moment schöner als in jenem, in dem mich ein Mann begehrt." (S. 218)

Davon handelt im Grunde das ganze lange Buch. 

Von der Validierung durch männliche Zustimmung und der Tatsache, dass bestehende Körpernormen durchaus gelten, aber für das Gelingen individueller Lebensgeschichten, insbesondere in sexueller Hinsicht, nicht immer von ganz sooo großer Bedeutung sein müssen, wenn Frau eben nur anderweitig genug Großartigkeit entwickeln kann. Wie frau das macht? Nun, frau ist natürlich selbst dafür verantwortlich. Und natürlich selbst schuld, wenn es ihr nicht gelingen mag: "Ich glaube, das Problem liegt nicht im Spiegelbild und auch nicht im Auge des Betrachters, sondern in unseren eigenen Köpfen." (S. 82) Alles findet eh nur "in unseren Köpfen statt." (S. 83) Und "letztlich haben wir alle an dieser Misere Schuld." (S. 129)

Sprach's, und hub an zu einer bemerkenswerten Body-Shaming-Tirade: "...Meister-Verkorkserin meiner eigenen Figur..." (S. 51), "...dick zu sein ist kein Drama..." (S. 35), "Scheiß drauf, dass du nicht perfekt bist..." (S. 131), "...weil man figürlich nicht der Knaller ist..." (S. 151), "...darf ich mich wohlfühlen (...), obwohl ich nicht so perfekt aussehe?" (S. 205), "...obwohl ich genau weiß, ich sehe aus wie eine gestrandete Boje." (S. 242) "...und wenn alles straffer, schlanker (...) oder filigraner wäre, wäre es vielleicht auch nicht schlecht." (S. 117), "...aber, Himmel!, sehe ich nackt beschissen aus. Das lässt sich nicht schönreden." (S. 79), "Du darfst gerne 'Problemzonen' haben..." (S. 63), u.s.w.

Wenigstens ist die Menstruation nichts Ekliges. Das erklärt die Frau Jäger uns in befremdlicher Breite zwischen Seite 88 und Seite 105, denn offenbar "huschen nicht wenige Frauen durch Drogeriemärkte und verstecken ihre Tampons und Binden unter ein paar Bananen..." (S. 89) Donnerwetter. So einen Satz muss frau ja auch erst einmal erdenken, aufschreiben und dann selbst aushalten. Damit hat die Frau Jäger nebst Lektorats-"Vasallin" Frank (S. 250) jedoch erwartungsgemäß ganz und gar keine Probleme. Ganz im Gegenteil - für ein wenig Pathologisierung der menstruierenden Frau findet sich natürlich immer noch ein Plätzchen auf dem Papier: "PMS macht aus uns weinerliche Lappen, ekelhafte Furien, gemeine Drachen, todtraurige Gestalten, hoffnungslose Jungfern und heroische Kriegerinnen. (...) Und wir sind machtlos dagegen." (S. 101)

Was mir noch aufgefallen ist: Im Kapitel "Große Schwester" (ab S. 133) geht es um eine Essstörung, die im Diätratgeber meines Wissens nach nicht wirklich thematisiert worden ist. Die Frau Jäger gibt hier nun aber an, esssüchtig zu sein, stilisiert ihre Essstörung mit Pomp und Pathos zur Person und spricht sie direkt an. In der Tat handelt es sich bei der Essstörung um die "große Schwester" aus der Überschrift (S. 141), was mich ganz frappierend an meine Nachforschungen in der Pro-Ana-Bewegung vor ein paar Jahren erinnert hat. Da bekam Ana (die Anorexie) ebenfalls die Rolle einer ganz besonderen, düsteren Freundin und Begleiterin in den Leben der Betroffenen zugesprochen. Über die Rolle der großen Schwester im Leben der Frau Jäger mag ich nicht wirklich noch mehr spekulieren - immerhin droht sie: "Ich bringe zur nächsten emotionalen Messerstecherei meine große Schwester mit." (S. 146) Aber ein wenig gruselig ist das jetzt schon, oder? Might wanna get that checked out.*

Ach, und, als ob nicht alles schon fürchterlich genug wäre, redet die Frau Jäger zu guter Letzt auch noch über Feminismus. Warum eigentlich - das hat sich mir einfach nicht erschlossen. Und mir fällt erst recht kein Grund ein, warum das irgendeine lesen sollte. Wer Beweise braucht: "In dem Moment, in dem Männer nicht mehr Kerle sein dürfen und Frauen dafür welche sein sollen, läuft meinem Erachten nach etwas ganz fürchterlich schief." (S. 228) Nun ist es schon so, dass die Frau Jäger dafür ist, dass alle die gleichen Rechte haben. Aber sie will auf keinen Fall damit aufhören müssen, sich zu rasieren. (S. 233) Facepalm. Sie weiß selbstverständlich auch, dass wir "selbst den unangenehmsten Zeitgenossinnen unter ihnen (den Feministinnen) verdanken, dass wir heute stehen, wo wir stehen" (S. 231), aber der Begriff Feministin ist nun einmal so "muffig" und "schlimm verstaubt". (S. 226) Noch einmal: Facepalm.

Interessant wird das Buch für mich nur an einer einzigen Stelle, weil ich dort einen Schimmer Wahrhaftigkeit vermute - und, wie so oft, ist die Wahrheit nicht beabsichtigt. Aus heiterem Himmel betreibt die Frau Jäger Publikumsbeschimpfung. Angriffe im Internet setzen ihr offenbar sehr viel mehr zu, als es professionell wäre. Sie schreibt diese dem Neid der Angreifer auf sie zu und ist zutiefst enttäuscht darüber, dass Ihre Fans sie nicht mehr und wirkungsvoller verteidigen. Offenbar haben die nicht wirklich begriffen, wer sie eigentlich ist: "Weil Neid eben doch von allen Seiten hässlich ist und die Community der 'Zu-mir-Halter' allem Anschein nach vergesslich ist, wenn Worte wie Pflastersteine fliegen und die Luft brennt, ich dabei zusehen muss, wie der 'Ich stehe hinter dir'-Fresseaufreißer wegrennt, immer dann, dann, (nein, kein Typo) wenn ich einen Wingman bräuchte." (S. 246)

Nein, zu beneiden ist sie wirklich nicht.


NH

*Da würde ich an deiner Stelle mal einen Arzt fragen.



Donnerstag, 1. März 2018

Follow me around 57: Fuck it.

"Ich glaube, ich starte doch wieder ein Diättagebuch - damit kann man Geld verdienen, bekommt Anerkennung, Aufmerksamkeit u. kann womöglich wieder in hohen Absätzen u. ohne Wasser in den Beinen durchs Leben laufen."
#careermove #skinnybitch #aktivismusmachtmüde 
#fatacceptancemyass

Nachdem ich heute Mittag die obige Nachricht bei Twitter und bei Facebook gepostet habe, ist folgendes passiert: Nichts. Bis auf eine einzige sehr freundliche und verständnisvolle Nachricht von einer Leserin, die mir sagte, sie würde mich auch weiterhin unterstützen, wenn ich jetzt wieder zur Diätfraktion überträte und ein Like kam keine Reaktion. Mir sind aber auch keine Follower abgesprungen. Es gab weder Beschwerden noch Kritik noch Häme.

Es gibt nun ein paar Deutungsmöglichkeiten:

1. Es ist egal, was ich schreibe, weil eh keine mehr mitliest. (Die Besucherinnenzahlen auf dem Blog sind aber immerhin konstant.)

2. Es ist egal, was ich schreibe, weil es eh keine Leserin kümmert.

3. Die Leserinnen würde es gar nicht groß stören, wenn wir am Strand einfach wieder Diät machen würden.

Ich weiß es nicht. Ihr seht mich mal wieder ratlos.

Aus Dünnwerden und Körperbashing kann man hervorragend eine Karriere basteln. Da kenne ich mich zufällig auch ein wenig aus. Aus Fettaktivismus...nicht so sehr. Was natürlich nicht heißt, dass es nicht immer wieder mal versucht wird. Da, wo es versucht wird, stört Radikalität allerdings in der Regel eher. Der Erfolg, wenn man davon überhaupt wirklich sprechen kann, kommt auch im Fettakzeptanz-Business eher, wenn man offen bleibt für...jeden fatshamenden Quatsch. Wenn "auch Hübschsein" für dicke Frauen immer hübsch das Wichtigste bleibt. Und wenn die Fettakzeptanz, für die man steht, auch eigentlich eher ein Accessoire ist, das man sich umhängt, bis man es nicht mehr nötig hat. Weil man dann endlich doch schlank geworden ist. Und das ganze aktivistische Gedöns ohnehin nicht mehr braucht.

Die gaaanz tollen (dicken) Frauen

Habe ich eigentlich schon mall von dem Seminar erzählt, das ich bei Tanja Marfo, ihres Zeichens "Erfinderin" und Organisatorin der Plus Size Fashion Days in Hamburg, besucht habe? Nein, ich glaube nicht. Und dabei wird es ja mal Zeit, denn die Veranstaltung liegt bereits 2 Jahre zurück.

Es war eine beeindruckende Erfahrung. Nur dummer Weise aus lauter falschen Gründen. Ich war eine von zwei Teilnehmerinnen, die vor dem Veranstaltungsort warteten und dann von Frau Marfo, die angesichts des übersichtlichen Publikums doch lieber die Raummiete sparen wollte, kurzerhand in einen Imbiss ein paar Straßen weiter geführt wurden, allerdings nicht, ohne dass sie vorher auf einen Abstecher zum Geldautomaten bestand. Sie hatte vergessen, mir zum Zeitpunkt der Anmeldung ihre Kontodaten zu senden und wollte die 80 Euro nun partout in bar. Sie traute mir nicht zu, eine schriftliche Rechnung auch wirklich zu bezahlen. Auf eine Quittung warte ich übrigens noch heute. Trotz mehrfacher Anmahnung.

Was merkwürdig unprofessionell begann, nahm auch danach keinen schönen Verlauf. Das "Seminar" bestand aus Klönschnack und einer verblüffend einfältig und einfallslos zusammengeworfenen Präsentation, die wir uns für ein paar Minuten auf einem Tablet ansehen konnten. Der Höhepunkt des Ganzen war erreicht, als die Frau Marfo bezeichnenderweise mitten in einem Minivortrag über Selbstliebe fast nicht wirklich mitzubekommen schien, dass die Mittzwanzigerin, die mit uns am Tisch saß, mittlerweile in Tränen ausgebrochen war. Weil sie ihren dicken Körper hasste. Und die naive Forderung "man müsse sich selbst einfach lieben" sie genauso getriggert hatte, wie das eigentlich auch hätte vorhergesehen werden können. Zumindest für Leute, die irgendetwas anderes sehen, als sich selbst.

Ich habe die Frau Marfo nach ihrem Seminar im Auto nach Hause gebracht. Ich glaube nicht, dass sie eine begeisterte Kämpferin für die Angelegenheiten von Dicken ist. Im Gespräch mit Freundinnen habe ich immer wieder geschildert, dass es mein Eindruck ist, dass die Frau Marfo halt was mit Medien, Mode und Schönheit machen wollte. Weil sie dick ist, hat sie ihre Nischenchance ergriffen. Hätte sie die Wahl, würde sie jederzeit sehr viel lieber im regulären Modegeschäft eine tragende Rolle spielen. Allerdings wäre die Konkurrenz dort natürlich auch ungleich größer.

Ich verstehe, dass man Geld verdienen muss. Ich verstehe nur nicht, dass man dabei die gesamte dicke Schwesternschaft regelmäßig unter den Bus stoßen muss. Als die Frau Marfo im Frühling 2016 bei mir im Auto saß, redeten wir bereits darüber, dass sie unlängst eine eher erfolglose Kooperation mit einem Fitnesscoach hinter sich, bzw. für ihn und seine Dienstleistung Werbung gemacht hatte. Wohlgemerkt - das Angebot war nicht explizit eins für dicke Frauen im Rahmen von Health at Every Size, sondern eher für solche, die sich "verbessern" wollten. Neuerdings trainiert die Frau Marfo wieder mal unverdrossen werbend im Meridian Spa und hat das Jahr 2018 öffentlich damit eingeläutet, reguläre Mahlzeiten, so wie in guten alten Zeiten, mit aus Pulver angerührten Diätshakes zu ersetzen. #Selbstliebe...

Ich bin der Frau Marfo danach noch zweimal begegnet. Beide Male erkannte sie mich offenbar nicht wieder (obwohl sie mir doch sogar zuvor vorgeschlagen hatte, einen unbezahlten Beitrag für ihr Blog zu schreiben)  und verbrachte ohnedies die meiste Zeit damit, in einer Ecke sitzend scheinbar lustlos auf ihr Handy einzutippen. Das heißt vermutlich, dass sie an ihren dicken Veranstaltungen genauso viel Spaß hatte, wie weite Teile des Publikums. Bei der Party, die 2016 eine Auftaktveranstaltung für ihre Modemesse sein sollte, begann das Publikumssterben so gegen 22 Uhr. Bei den letzten Plus Size Fashion Days kam dann besonders am Stand der Vertreterin von Juchheim Cosmetics ByeByeCellulite so richtig Stimmung auf. Ich persönlich war ja besonders beeindruckt von der Tatsache, dass die meisten Messeteilnehmer als Hersteller von Bekleidung in großen Größen auf einer Messe für Mode in großen Größen überhaupt gar keine großen Größen anzubieten hatten. (Die Spanne endete offenbar flächendeckend bei 52 oder 54.) Naja, bei Evelin Brandt Berlin gab es wenigstens, wenn auch unerkärlicherweise, Marmelde in der Goody Bag. Und einen Fächer. Weiß ja schließlich jeder, dass Dicke immer so leicht schwitzen.

Freundinnen von mir, die mildere Wesen sind als ich, finden ja: Besser irgendeiner macht irgendwas, als dass überhaupt nie etwas Interessantes für Dicke passiert. Ich bin mir da wirklich nicht sicher...

...Hab ich euch eigentlich schon einmal erzählt, dass ich vor einigen Jahren gefragt worden bin, ob ich als Jurorin bei der Wahl des "Fräulein Kurvig" mitzuwirken wolle? Nein? Na, dann...wo wir doch gerade darüber sprachen, dass so viele Menschen andere offenbar überhaupt nicht sehen - welcome to Gossip Corner.

Die Veranstalterin der Misswahl, Melanie Hauptmann, ist (vor allem am Telefon) eine überforsche, schnellredende Alleskönnerin. Laut Eigenauskunft Journalistin und Autorin und Model und Eventmanagerin und Designerin und Moderatorin und TV-Persönlichkeit. Wie sie jemals darauf kam, mich zu fragen, ob ich bei ihr und der Fräulein-Kurvig-Show mitmache, ist mir bis heute ein Rätsel. Dass ich für einen provinziellen Schönheitswettbewerb, bei dem dicke Frauen sich endlich auch mal genauso vorführen, begutachten und bewerten lassen dürfen, wie sonst nur dünne, nicht viel Liebe aufbringen würde, hätte ihr eigentlich klar sein müssen. War es ihr aber nicht. Weil auch sie sich nicht wirklich groß für ihr Gegenüber interessiert. Schon gar nicht so sehr, dass sie womöglich Recherche betreibt, mit wem sie es wirklich zu tun hat. Darum hat sie sich auch überhaupt nicht gewundert, als ich tatsächlich zugesagt habe. Dass ihr jemals der Gedanke gekommen sein könnte, dass ich aus meiner Jurymitgliedschaft höchstwahrscheinlich eine wirklich beißende Glosse gemacht hätte, nehme ich schlicht nicht an. Teilgenommen habe ich dann ja allerdings trotzdem nicht - Frau Hauptmann hat mich am Ende zugunsten eines echten C-Promis ausgeladen und hochprofessionell auch noch vergessen, mir Bescheid zu sagen. Schönheitswettbewerbe sind für'n Arsch. Schönheit ist nicht wichtig und wenn man mit irgendetwas Bodyshaming oder gar die Objektifizierung von Frauen nicht bekämpfen wird, dann mit der Wahl irgendwelcher Fräuleins. Es geht dabei nicht um Fettakzeptanz, es geht um seichte Träume vom Auch-Norm-Hübschsein und wie man diese zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil ausnutzen kann. Jeder, der wirklich nur ein schlichtes Diätprogramm vermarktet, ist ehrlicher. So, nun hab ich es gesagt.

Und? War die Überlegung, ein Diättagebuch zu starten nun ernst gemeint? Bei mir zu Hause gibt es neuerdings einen Running Gag: Einer von uns fragt eine Frage wie: "Willst du gern mal an meinen Tennissocken riechen?" oder "Möchtest du etwas rohes Affenhirn auf deinen Toast?" und die Antwort lautet, frei nach Loriot, immer: "Im Moment nicht."

NH

Donnerstag, 25. Mai 2017

Nachgetragen

Fette Logik


Die Frau Herrmann hat meine Rezension ihres Buches auf ihrem Blog "kurz" kommentiert. Gaaanz kurz - auf nur sieben ultrakurzen Seiten. Dabei beschwert sie sich in der Hauptsache darüber, dass ich sie quasi durchgehend mit Absicht aus dem Zusammenhang zitiert hätte und dass die Kritik von mir als Frau an ihr als Frau schlicht "unfeministisch" sei. Insbesondere bezieht sie sich darauf, dass ich ihren Status als vermeintliches "Stalkingopfer" nicht als Ausrede dafür akzeptiert habe, dass es aus unklaren Gründen unmöglich war, die Doktorarbeit der Frau Hermann (die offenbar gar nicht Frau Hermann heißt), einzusehen. 

Ihre Leser tröten in den Kommentaren unter ihrem Kommentar, oh Wunder, nur zu gern ins gleiche Horn: "Der Feminismus ist eben (...) keine Bürgerrerchtsbewegung, sondern eher eine Art Sekte;..."; "Genderterror..."; "Femifaschomob..."; "Feministische Kritik fällt in jeder Lebenslage so aus. Gegen alles und jeden."; "(...) diese Frauen, die sich selbst so aggressiv als Feministin bezeichnen sind nur eins: Rassisten der reinsten Form."; (...) hat mir der Feminismus (...) nix zu bieten außer Dresche. Insbesondere wenn ich auch noch eine weiße Hautfarbe habe..." Undsogehtdasseitenweiseweiter.

Lasst mich dazu nur dieses noch kurz einwerfen: "Opferabo", anyone?

Dabei verdankt die Frau Hermann den Erfolg ihres dumpfen Büchleins in der Tat maßgeblich ausgerechnet gerade jenem Netzfeminismus, über den sie und ihre Blogleser sich so vortrefflich echauffieren können. Auf einem "Diät-Blog" wohlgemerkt...hüstel/augenroll. Hätten sich Feministinnen nämlich nicht vernehmbar im Cyberspace über sie geärgert, wären die traurigen Männer vom virtuellen Maskulistenstammtisch ihr nicht in aufgebrachten Schwärmen zur Seite gesprungen und hätten so viel Lärm und Werbung für sie gemacht. Und zwar so vehement, fanatisch und nachhaltig, dass da in den Weiten des Internets keine betuliche Presseabteilung irgendeines Verlages je ernsthaft mitkommen könnte. Es ist übrigens noch immer schier unmöglich, bei Amazon eine negative Bewertung für das Werk abzugeben, ohne dass einem ihre Anhänger oder gar die Autorin selbst über den Mund fahren. Das Buch, das die Frau Hermann als Cartoonistin herausgebracht hat, scheint übrigens nicht annähernd die gleiche Liebe und Unterstützung zu erfahren.

Noch einmal ganz langsam für alle, die es noch immer nicht begriffen haben, zum Mitschreiben: Die Frau Hermann hat KEIN Diät-Buch geschrieben Sie hat auch KEIN Buch über "Diätmythen" geschrieben. Sie hat ein Anti-Fettakzeptanz-Buch verfasst. Denn Fettakzeptanz ist eine Filiale des (Netz-)Feminismus. Die Frau Hermann ist eine erbitterte Anti-Feministin und kein verdammter Fitness-Guru. 

Wenn man immer ganz anders verstanden wird, als man wirklich verstanden werden will, dann hat man halt ein echtes Vermittlungsproblem. Man kann nicht pausenlos aus Zusammenhängen gerissen werden, wenn die Zusammenhänge weitgehend zusammen hängen, bzw. stimmen. Wenn alles, was man sagt, "aus dem Kontext gerissen wird", sobald es überhaupt zitiert wird, ist das schon...na, sagen wir mal...bemerkenswert. Das scheint irgendwie seltsamerweise auch immer Leuten mit dem gleichen unfreundlichen Weltbild zu passieren. Ständige Probleme mit den selbstverfassten Zusammenhängen, wie die Frau Hermann sie hat, bekommt man eben nur, wenn man entweder ein ganz anderes Selbstbild hat, als der Rest der Welt, oder aber man das eine sein, aber bitteschön zumindest von bestimmten Teilen des Publikums als das andere wahrgenommen werden will.

Wenn man z.B. mich aus dem Zusammenhang reißt, bleibt am Ende trotzdem immer die böse, dicke, linke Feministin. Da bin ich mir ziemlich sicher. Denn ganz genau die bin ich auch.

Direkt unperfekt


 Und wo wir gerade bei Frauen sind, die andere Frauen berufsmäßig vor den Bus schubsen: 

Nicole Jäger, selbsternannter fetter Diätcoach, hat offenbar Probleme beim Abnehmen. Das kann passieren. Im Prinzip ist es normal. Und normalerweise läge es mir selbstverständlich fern, dieses in irgendeiner Form kritisch zu erwähnen, wenn die Frau Jäger nicht mit einem Buch und Bühnenprogramm berühmt geworden wäre, in dem sie nicht nur behauptet hat, einst "selbstverschuldet" 340 kg gewogen zu haben, sondern auch noch allen anderen Dicken mit einer unerträglichen und obendrein total unglaubwürdigen Moralkeule von Buch eins auf die Rübe gegeben hätte. 

Das Nachfolgewerk der Frau Jäger, "Nicht direkt perfekt", erscheint offenbar im September. Der Untertitel lautet "Die nackte Wahrheit über das Frausein" und Ziel der Frau Jäger ist es angeblich, ab jetzt jeder Frau zu ihrem "Recht auf ein positives Körpergefühl (und) auf Weiblichkeit" (amazon.de) zu verhelfen. Das ist man doch erst einmal beruhigt, dass Frauen tatsächlich ein verbrieftes Recht auf Weiblichkeit haben....Und dann fragt man sich, was denn wohl eine Frau automatisch ist, wenn nicht weiblich. Und dann begreift man, dass "unperfekte" Frauen in unserer Kultur natürlich mitnichten einfach so weiblich sind. Auch und ganz besonders nicht in den Augen der Frau Jäger, die immerhin ein ganzes Buch darüber geschrieben hat, wie faul, dumm und scheiße Dicke sind. Weiblichkeit muss man sich "verdienen". Und mit nichts verliert man den Status des Weibchens zuverlässiger als mit Hässlichkeit, Fett oder Feminismus : ). Es wird wieder um Äußerlichkeiten gehen, bei der Frau Jäger. Mit dem Inneren hat sie es nämlich nicht so. Dummerweise eben auch nicht so sehr mit dem Abnehmen. Darum tritt sie jetzt plötzlich dafür ein, dass man als Frau auch irgendwie halbwegs okay ist, wenn man eben "nicht direkt perfekt" ist (denn dellig, alt, dick, zu groß, zu klein, mit dünnen Haaren, etc. kann man eben niemals perfekt sein) und wird sich so weltbewegenden Fragen widmen wie "Und warum ziehen alle beim Sex den Bauch ein?" (amazon.de)

Tun übrigens gar nicht alle. Ich nicht. Just sayin'.

Wenn die nackte Wahrheit über das Frausein der Frau Jäger ungefähr soviel Wahrheitsgehalt hat, wie die Geschichte von den 340 kg Ausgangsgewicht, dann sollte man wenigstens dafür sorgen, dass die eigene Tochter das Buch nicht in die Finger kriegt. 

Man fragt sich ja noch immer, wie das eigentlich passieren konnte, oder? Dass keiner der Milliarden von Journalisten, die die Frau Jäger in den letzten zu ihren buchstäblich märchenhaften Abnehmerfolgen befragt haben, jemals genauer wissen wollte, wie es sich eigentlich so angefühlt hat, im Körper der schwersten Frau der Welt* zu leben? Und warum dieser zusätzliche Superlativ eigentlich nie Teil der werbeträchtigen Geschichte war?

*Als schwerste, lebende Frau der Welt wurde Pauline Potter 2012 mit 293,6 kg ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen. Diesen Titel hat ihr bisher offenbar keiner streitig machen wollen. Tatsächlich wurde ihr Gewicht je nach Nachrichtenmedium und Zeitpunkt zwischen knapp 300 und 330 kg angegeben. Wenn man sich die Bilder von Pauline Potter zu Höchstgewichtszeiten ansieht, erscheint es einem umso absurder und unbegreiflicher, dass die Lebenssituation der Frau Jäger mit einem angeblich sogar noch höheren Gewicht bei der Berichterstattung nicht erheblich stärker oder eigentlich überhaupt mal substantiell dokumentiert und thematisiert worden ist. 


NH

Samstag, 25. Februar 2017

Ausgelesen: "Fettlogik überwinden" von Nadja Hermann

Die Frau Hermann hat in sechs Monaten 45 kg abgenommen, indem sie nur 500 kcal pro Tag zu sich genommen hat. Das kann jeder. Also…jeder, der es schafft, sechs Monate lang täglich von nur 500 kcal zu leben. Und wohl so ziemlich jeder, der so ein Programm durchhält, wird dabei einen substantiellen Anteil seines Gewichtes verlieren. Das dürfte völlig unstrittig sein. Trotzdem hat die Frau Hermann zur Sicherheit ein Buch darüber geschrieben, um uns noch einmal davon zu überzeugen, dass es so ist.

Die Frau Hermann schafft viele Dinge, die den meisten Menschen nicht besonders leicht fallen. Sie hat es geschafft, sehr viel abzunehmen (von 150 kg auf ca. 65 kg) und schafft es momentan (vermutlich), ihr aktuelles Gewicht zu halten. Ganz so einfach ist es offenkundig auch für sie nicht - das beschreibt sie sogar in ihrem Buch. Aber sie ist vermutlich sehr viel besser darin, dauerhaft und im Hinblick auf Gewichtskontrolle prekär zu essen, als die meisten anderen. Die Strategien, die sie dazu anwendet, dürften allerdings so ziemlich all ihren LeserInnen bereits vertrauter sein, als ihre eigenen Dehnungsstreifen. Das liegt daran, dass man genau diese auch so gut wie jeder Frauenzeitschriftt, die zwischen 1979 und 2009 erschienen ist, hätte entnehmen können. Bis auf die drei letzten in der folgenden Liste vielleicht...

Hier eine Auswahl:

1. Heißhungerattacken kann man gut damit begegnen, Wasser zu trinken, oder einen kurzen Spaziergang zu machen. Heißhungerattacken und ihre Bewältigung werden in dem Buch übrigens öfter erwähnt. Warum die Autorin diese überhaupt hat, bleibt wohlweislich eher im Dunkeln.
2. Grüner Tee ist irgendwie immer gut.
3. Treppensteigen und auf der Stelle zu rennen helfen dabei, trotz Zeitmangels Sport zu treiben.
4. Positiv denken hilft auch immer.
5. Wenn man keine Süßigkeiten zu Hause hat, wird man sie auch nicht so leicht essen. "Es ist sinnvoll, die Verführungen zu begrenzen." (S. 355)
6. Süßigkeiten durch Rohkost ersetzen.
7. Kalorien zählen - auch dann, wenn das Zielgewicht erreicht ist. "(...) wenn ich ganz darauf verzichte, merke ich schnell, wie ich mir wieder die klassische Wahrnehmungsverzerrung anlache, dass mir Portionen viel zu klein erscheinen, oder ich Dinge vergesse, die ich gegessen habe." (S. 343) "Andererseits empfinde ich das Zählen auch nicht als große (...) Qual, da es im Prinzip nur fünf bis zehn Minuten in Anspruch nimmt..." (S. 344) Insgesamt ist es halt "ganz beruhigend, die Kalorienbilanz im Hinterkopf zu haben." (S. 344)
8. Nach "Ausrutschern" nicht aufgeben und "wieder in die Spur kommen". (S. 198)
9. Gegebenenfalls Nahrungsergänzungsmittel und Proteinpräparate einnehmen.
10. "Wenn ich mich etwa zum Essen verabrede, dann plane ich so, dass ich schlemmen kann." (S.160) Soll heißen: Hinterher oder vorher wird weniger gegessen und dafür mehr Sport getrieben. Siehe auch Punkt eins.
11. Salatdressing kann man, statt mit mit Öl, auch mit Wasser und Süßstoff machen. (S. 158)
12. Keinesfalls sollten Abnehmwillige "sich selbst limitieren (...), indem sie weiter an ihrer "dicken Identität" festhalten". (S. 214)
13. Um hängende Haut nach der Abnahme muss man sich keine Sorgen machen. Man muss einfach nur dünn genug werden: "So wenig Fett wie möglich übrig zu lassen, das die Haut nach unten zieht, ist ebenfalls wichtig." (S. 208)
14. Und dann noch diese verblüffende Eröffnung: "Normalgewichtige scheinen häufiger eine Aufnahme von Mehrenergie mit mehr Gezappel zu kompensieren, als Übergewichtige dies tun." (S. 39) Daraus möge nun jeder die Verhaltensregel ableiten, die er für angemessen hält. Facepalm.
15. Zu guter Letzt sollte man gefälligst immer schön am abschreckenden Kopfkino arbeiten, damit einem jeder überflüssige Bissen auch ganz bestimmt im Halse stecken bleibt: "Ich sah mir bewusst OP-Fotos und Videos adipöser Menschen an und das Fettgewebe im Bauchraum. Ich sah mir Fettlebern und verfettete Herzen an, und für eine kurze Zeit empfand ich Ekel bei dem Gedanken an das gelbe, aufgeblähte Gewebe, das da in mir war." (S.331)

Dass (fast) all ihre Diättipps älter sind, als die Mutter von Gott, ist der Frau Hermann, die sich ja offenbar gerade erst durch einen Nebel von irreführenden "Fettlogiken" gekämpft hat, augenscheinlich unbekannt. Dass Generationen von Frauen bereits an der Umsetzung gescheitert sind, wäre ihr vermutlich egal. Da ist es sicher auch unerheblich, dass z.B. Weight Watchers bereits seit 1997 als Folge einer Auseinandersetzung mit der Federal Trade Commission in den USA ihrem Kleingdruckten den Hinweis “For many dieters, weight loss is temporary” (Für viele, die Diät machen, ist die Gewichtsabnahme vorübergehend) hinzufügen müssen.

Das Bemerkenswerte an dem Buch der Frau Hermann ist also nicht das darin dargelegte Rezept zur Gewichtsabnahme, garniert mit den gängigen Todesdrohungen und Ermahnungen, sondern vielmehr die Tatsache, dass die dicke Frau Hermann offenbar ihre prägenden Jahre auf einem völlig anderen Planeten verbracht hat, als der Rest von uns. Sie lebte auf dem Planeten der „Fettlogiken“, auf dem offenbar ganz andere Vorstellungen über die Gefährlichkeit und das generelle Schlechtsein von Dicksein herrschten, als hier. Auf ihrem Planeten war man der Ansicht, dass es möglicherweise gar nicht so schrecklich ungesund ist, einen BMI über 24 zu haben und dass es ganz und gar nicht einfach noch womöglich überhaupt sinnvoll ist, sein Gewicht durch Diäten langfristig mehr oder weniger stark zu reduzieren. Anders als alle anderen, musste Sie sich erstaunlicherweise erst mühsam und durch eigene Kraft die Überzeugung erarbeiten, dass man als Dicke dem Tode geweiht und selbst daran Schuld ist, aber diesem durch eiserne Disziplin, ersatzreligiöses Kalorienzählen und möglichst viel Sport dann doch noch von der Schippe springen kann. Und bitteschön auch ethisch dazu verpflichtet ist, dieses zu tun. 

Wir wussten das alles schon immer. Denn diese Überzeugungsarbeit haben für den Rest von uns selbstverständlich die Medien, die Mütter, die Ärzte und wer weiß noch alles ganz ohne unser Zutun erledigt. Körperbezogene Schuld und Angst und Diätbereitschaft haben wir sozusagen in die Wiege gelegt bekommen. Ich hätte gern die Adresse des Planeten, auf dem die Frau Hermann einst lebte. Da will ich nämlich auch hin.

Kurzum, die Frau Hermann hat ein Buch geschrieben, in dem sie Mythen über Gewicht und Abnahme widerlegt, die in den letzten Jahrzehnten ohnehin keiner ernsthaft für wahr gehalten hat. Sie versucht, den Mainstream als Mainstream zu etablieren, und tut so, als wären vergleichsweise neuere Ideen und Erkenntnisse seit Ewigkeiten die herrschende Meinung. Die von ihr vehement bekämpften "weit verbreiteten Diätlügen" (Buchcover) wie z.B. Health at Every Size oder Fettakzeptanz sind aber bekanntlich erst verhältnismäßig neu und haben sich darüber hinaus noch lange nicht durchgesetzt - weder gesellschaftlich noch unter Medizinern. Was um alles in der Welt könnte also ihr wahres Problem sein, was die Gründe für ihren erstaunlich verbissenen Kampf gegen neue Ideen, die man getrost noch immer als Außenseiterkonzepte bezeichnen könnte?...Man kann es nur vermuten. Oder: Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Die Frau Hermann hat mich ja mal gefragt, wie ich denn bloß darauf käme, dass sie "dickenhassed" sei.

Nun ja...

"Eine Heroin-Acceptance-Bewegung, die darauf besteht, dass zerstochene und vernarbte Arme erotischer sind als gesunde Arme, würde kaum Fuß fassen. Auf der anderen Seite wird gefeiert, dass eine Mainstream-Modelagentur ein Model mit einem morbid adipösen BMI unter Vertrag nimmt. Sie wird geschminkt, in eine Corsage gezwängt und mit Photoshop so bearbeitet, dass ihre Figur möglichst attraktiv wirkt. Die Botschaft wird dann als "body positive" dargestellt. Inwiefern unterscheidet sich dies von dem hypothetischen Versuch, das Selbstbewusstsein von Heroinabhängigen zu stärken?" (S. 323)

Bei der Frau Hermann weiß man halt immer nicht, was größer ist - ihre quasi religiös aufgeputschte Bösartigkeit, oder ihre Weltfremdheit. Denn ironischerweise dürften sich die meisten meiner Leserinnen sehr wohl noch an den Heroin Chic erinnern, der unter anderem Kate Moss zum Supermodel ihrer Zeit machte.

Ach ja, und das Buch ist voll mit Studien. Das wird gern von begeisterten Rezensenten ins Feld geführt. Die Frau Doktor hat (fast) all ihre Thesen auch handfest und wissenschaftlich belegt. Ätsch! - Nun wissen wir natürlich alle, dass vermutlich so ziemlich jeder, der es vorhat, ein Buch mit Studien vollkriegt, die genau das belegen, was er belegt haben möchte. Das gilt übrigens ebenso auf dem Gebiet der Fettrationaltät. Hier sei z.B. "Body of Truth" von Prof. Harriet Brown (Syracuse University, New York) empfohlen. Selbstverständlich ebenfalls randvoll mit Studien. Das an sich ist aber noch kein Kriterium. Auf die Qualität der herangezogenen Studien kommt es an.

Allein auf Seite 90 des Buches "Fettlogik überwinden" werden drei Studien zitiert, um darzulegen, dass ein BMI über 25 zu einem signifikant erhöhten Sterberisiko führt. Das ist an sich schon immer ein wenig problematisch, weil die Bestimmung des "normalen" Sterberisikos eines im Augenblick gesunden Menschen so oder so schlicht eine kniffelige Angelegenheit ist. Aber sei es drum. Die erste Studie ist von 2010 und wurde von Amy Berrington de Gonzalez (D.Phil) vom National Cancer Institute in Maryland, USA erstellt. Das Institut ist Teil der National Institutes of Health. Hierbei handelt es sich wiederum um eine Behörde der USA, auf deren Neutralität man sich eigentlich schon verlassen können müsste. So weit so gut.

Die zweite Studie stammt aus dem Jahre 1999. Bei der federführenden Verfasserin handelt es sich um Eugenia E. Calle (PhD), die zu Lebzeiten für die American Cancer Society arbeitete. Hierbei handelt es sich um eine "unanhängige" und "non-profit" Organisation, die laut Kritikern weder das eine noch das andere ist und bereits seit Jahrzehnten immer wieder in die Kritik gerät, eher im Dienste ihrer Hauptspender (Pharma- und Chemiekonzerne) zu handeln, als im Interesse der Allgemeinheit. Und das mit erheblichen Mitteln und politischem Einfluss. Ein in diesem Zusammenhang explizit aufgeworfener Vorwurf ist auch, dass es sich dabei, einer vermeintlich zu dicken und zu trägen Bevölkerung die Schuld an ihren Krebserkrankungen selbst zuzuschieben, um Ablenkungsmanöver handelt, z.B. vom Einfluss von Pestiziden auf die Anzahl der Krebserkrankungen. Wer will, kann ausgerechnet dazu eine weitere Studie lesen.

Die dritte Studie auf Seite 90 wurde 1995 von JoAnn Manson erstellt, ihres Zeichens Professorin an der Harvard T.H. Chan School of Public Health. 1995 beriet die Frau Manson übrigens auch ganz zufällig gleich zwei private Pharmaunternehmen (Interneuron Pharmaceutical und Servier) im Hinblick auf die Überprüfung von Dexflenfluramin in den USA durch die Food and Drug Administration. Bei Dexflenfluramin handelte es sich, wen mag es noch groß wundern, um einen Appetitzügler, der übrigens 1997 aufgrund seiner horrenden Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen wurde. Dieser Interessenkonflikt und mangelnde Transparenz brachten die Frau Manson bereits 1996 in Schwierigkeiten - und zwar mit den Herausgebern des New England Journal of Medicine.  

Und ich höre sie schon rufen: Aber die Frau Hermann hat ja schließlich selbst einen Doktortitel in Psychologie und weiß damit genau, wovon sie redet! Damit auch keine Leserin je vergisst, dass die Autorin promoviert hat, weist diese in regelmäßigen Abständen im Buch darauf hin. Außerdem steht selbstverständlich der generische Titel auf dem Cover des Buches vor Ihrem Namen, was bei deutschen Publikationen ohnehin eher ungewöhnlich ist. Und wenn ich mich nicht komplett verlesen habe, war sie erst 25, als sie ihren Titel erwarb. Donnerwetter, das ist auf jeden Fall sportlich, denn um das an einer deutschen Uni zu schaffen, muss man bekanntlich von der Abiprüfung direkt in den Hörsaal plumpsen und hat ab da dann eigentlich auch keine Zeit mehr, sich zwischendrin die Zähne zu putzen. Natürlich hätte es mich sehr interessiert, einen Blick in diese Arbeit zu werfen.

Nun müssen Dissertationen in Deutschland ja veröffentlicht werden und zumindest die Deutsche Nationalbibliothek muss sie im Verzeichnis führen. Aber ich konnte sie nicht finden. Also wandte ich mich an den Ullstein Verlag, um den Titel vielleicht so zu erfahren. Die zuständige Lektorin leitete meine Anfrage kurzerhand an die Autorin selbst weiter, die mir anbot, "entsprechende Belege dem Verlag zur Verfügung (zu) stellen, der sie dann prüft und (...) anonymisiert (...) weiterleitet". Der Name Hermann sei der Name ihres Mannes, den sie aber noch nicht offiziell angenommen habe. Außerdem sei sie bedroht und gestalkt worden und könne somit ihre Daten nicht preisgeben. Darüber hinaus sei der Inhalt der Arbeit auch nicht für mich von Interesse, da er "mit dem Thema Übergewicht nichts zu tun" habe. Laber Rhabarber.

Es gäbe hier vermutlich noch viel zu sagen. Aber ich habe echt keine Lust mehr. Und jetzt kann das bizarr stümperhafte, toxische Teil, nachdem es monatelang hier rumgelegen hat, auch endlich ins Altpapier.

Ich bitte euch: Wenn ihr unbedingt eine Diät machen wollt, esst Kohlsuppe. Aber bezahlt niemandem auch noch Geld dafür, beschimpft, bedroht, gemaßregelt und verunglimpft zu werden. 

NACHTRAG: Wer noch ein wenig mehr Hintergrundinformation möchte, kann sie auf diesem Blog hier, hier und hier finden.

NH

Sonntag, 21. August 2016

Follow me around 51: Herbst wäre mir lieber

Angeblich soll es nächste Woche noch einmal heiß werden. Von mir aus muss das wirklich nicht mehr sein. So lange ich denken kann, atme ich immer auf, wenn das Licht gelber und milchiger wird, und ich zum ersten Mal im Jahr ganz sicher den Herbst riechen kann. Seit über zehn Jahren habe ich zu meinem persönlichen, gefühlten Herbstanfang immer das distinkte Bedürfnis, eine große Kanne süßen Tee zu kochen und einen Vicar Of Dibley-Marathon abzuhalten. Ohne Kuhmilch im Tee ist das allerdings nicht ganz so befriedigend, wie sonst.

1635 Gegenstände weniger

Und den gestrigen Samstag habe ich im Keller verbracht. Hin und wieder besuchten mich der Kater oder neugierige Nachbarn, die alle paar Stunden ausriefen "Du bist ja noch iiiimmer hier!" und die Gelegenheit nutzten, sich über ihr Zusammenleben mit ihrem eigenen Kram auszubreiten. Offenbar kann dazu jeder etwas beitragen. Allerdings hat offenbar kaum jemand so viele Kisten voll mit Weihnachts- und Osterdekoration, wie ich. Das Publikum staunte jedenfalls nicht schlecht. Und Herr Zeymer brachte mir am Ende eine Flasche Bebivita-Saft mit Eisen. Ich muss ausgesprochen bedürftig gewirkt haben. Und ich war dankbar für den gelegentlichen Small Talk. Es war irgendwie tröstlich. Ich bin zwar nicht von Leuten umgeben, mit denen ich zumeist wenig gemeinsam habe und die mir die meiste Zeit gehörig auf den Wecker gehen, aber allein bin ich hier im Haus nicht.

Dabei lief es nicht besonders gut.Von fünfzehn Kisten sind dreizehn noch da. Elf davon voll mit Weihnachtskugeln in jeder Form und Farbe (ich meine das so), Rehen, Eichhörnchen, Adventskalendern, verschneiten Häusern mit Beleuchtung und allem anderen. Mir war nicht klar, wie sehr die 
Feiertage und was sie atmosphärisch und in meiner Geschichte repräsentieren, an mir kleben. Natürlich nicht im religiösen Sinne. Sondern im Hinblick auf Idealvorstellungen. Insbesondere die Feiertage am Jahresende sind ja oft überfrachtet von Hoffnungen auf Harmonie, Ruhe und Frieden. Und diese innere Perfektion soll sich auch noch im Äußeren wiederspiegeln. Traditionell waren Erwartungen und Enttäuschungen im Angesicht der Realität in meiner Familie stets besonders hoch und groß. Wenn man hinzuzählt, dass die Weihnachtsfeierei vor allem für mich auch immer als Übergang ins neue, noch unbeschädigte Jahr und damit in eine frische und viel erfolgreiche Zukunft fungierten, wird mir noch deutlicher, warum ich erstens selbst so viel Weihnachtskrempel habe (denn das meiste davon stammt nicht mehr aus dem Nachlass meiner Mutter), und warum ich ihn auch jetzt nicht wirklich rauswerfen kann. Obwohl meine Weihnachtsdekoration seit dem Tod meiner Mutter ohnehin eher spärlich ausfällt. Die Hoffnung dass alles irgendwann besser wird, gepaart mit der immerwährenden Überzeugung, dass auch alles auf jeden Fall besser werden MUSS, ist diejenige, die sich in diesem Haus noch immer am verbissensten behauptet. Da gibt es weiterhin die Vision, dass ich eines Tages den deckenhohen Weihnachtsbaum meiner Kindheit, der, obwohl er komplett gerade, symmetrisch und perfekt geschmückt war, dummerweise die meiste Zeit mitten auf einem familiären Schlachtfeld stand, für mich zurückerobere, den Anlass und den Platz für ihn finde, und ihn mit all meinen bunten und exzentrischen Ornamenten zum ersten Mal zum Mittelpunkt einer gänzlich glücklichen Festivität mache. Wer weiß...vielleicht brauche ich einfach auch nur noch ein Jahrzehnt, um das ganze Zeug dann doch bei ebay zu verkloppen. Hoffnungen und Ansprüche werden bekanntlich automatisch kleiner, wenn einem die Zeit ausgeht.

Außerdem ist der Keller natürlich noch lange nicht fertig. Während die gestrige Aktion nun sehr langwierig war, aber platzmäßig wenig Fortschritt beschert hat, hoffe ich (mal wieder), dass die verbleibenden Kisten und Gegenstände sich weniger gegen meine Bemühungen stemmen werden, sie endlich freizusetzen. Es ist mein erklärtes Ziel, meinen Keller in Zukunft vom Eingang bis zum Fenster an der gegenüberliegenden Wand durchschreiten zu können, ohne irgendetwas aus dem Weg räumen, bzw. ausweichen zu müssen. 

Gesund und reich

Bekanntlich gibt es in meiner Wohnung selbst ja auch noch genug Baustellen. In der letzen Woche habe ich meinen Schreibtisch und die Rollschränke mit dem Bürobedarf  bearbeitet. Das war nicht annähernd so schwer, wie die Weihnachtskisten, hat aber auch mal wieder sehr eindrucksvoll gezeigt, wie penetrant die Zeuginnen gescheiterter Selbstverbesserung hier überall um mich herum lauern. Ich hatte für 2016 drei Kalender angelegt, um die Fortschritte in drei verschiedenen Kategorien genau zu dokumentieren und zu "steuern". Das waren Finanzen, Gesundheit, sowie berufliche Weiterentwicklung. Beim Ausräumen habe ich sie gefunden. Und sie waren alle leer. Nun sind sie alle im Müll. Vom Stapel Pro- und Contra-Blöcke, um effizienter Entscheidungen zu treffen, habe ich mich dagegen nicht trennen können. Ebenso wenig vom Formularblock für Bestellungen beim Universum. Ich weiß natürlich immer nicht, ob ich lachen oder heulen soll, wenn er mir in die Hände fällt, aber trotzdem...er ist Anschauungsmaterial für die Spirale der Selbstverbesserung, die leicht mal bis hinab ins magische Denken führt.

Im Auto höre ich in diesen Tagen die Hörbücher von Rebecca Niazi-Shahabi. Immer wieder von vorn, weil ich hoffe, dass ich etwas Grundsätzliches mitnehmen werde. Sie rät bekanntlich, den Kampf um Selbstoptimierung schlicht an den Nagel zu hängen, und damit ein zufriedeneres Leben zu führen. Aber so wie das Aufgeben von Diäten, ist das Aufgeben von Selbstoptimierung selbstverständlich ebenfalls alles andere als einfach. Denn auch hier muss man am Ende Hoffnungen und all die wunderbaren, ausgedachten Märchen über das eigene eigentliche Leben und die wilden Phantasien über persönliche Möglichkeiten, die man alle hätte, wenn man nur ganz anders oder zumindest ganz dünn wäre, aufgeben. Das ist schmerzhaft und erfordert viel Übung. Und ist natürlich ironischerweise genau genommen auch eine Art Selbstverbesserungsprojekt. 

Das alles hat mich dann aber auch nicht davon abgehalten, beim Besuch einer Buchhandlung vor ein paar Tagen, zusätzlich zu den Filofax-Einlagen für 2017 auch noch einen kofferschweren, in faux Leder gebundenen Planner zu erwerben - im DIN A4 Format und mit genug Platz für To-Do-Listen und Notizen. Ich kann halt (noch) immer nicht anders.

Mir wurde übrigens klar, dass ich offenbar schon verdammt lange nicht mehr besonders gründlich durch einen Buchladen gegangen war - ich weiß, man soll den Einzelhandel um die Ecke im Existenzkampf gegen das Internet unterstützen. Aber erstens gebe ich ohnehin nicht mehr viel Geld aus, weil ich wenig habe und dummerweise ist der Service von echten Menschen um die Ecke meiner Erfahrung nach durchaus öfter mal so schlecht und regelrecht unfreundlich, als ob sie diese Unterstützung wirklich nicht nötig haben. Obendrein sind Buchläden jetzt offenbar in der Hauptsache Papeterie- und Geschenkartikelhandlungen mit Regalen voll mit Kaffeebechern, Döschen mit Pfefferminz und vorrangig leeren Büchern, auf denen die selben verzweifelten Motivationssätze stehen, wie in den Werken in der Selbsthilfe- und Esoterik-Abteilung: "Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt keine Spuren." Wenigstens ist es um solch ein Geschirr nicht schade, wenn man es an die Wand wirft.

Die Frauenabteilung war angesichts all der vielen pastelligen Illustrationen auf den Deckblättern der aufgestapelten romantischen Komödien schwer von der für Mädchen zu unterscheiden. Zu meiner Zeit standen da ja noch lauter Taschenbücher aus dem Fischer Verlag. Die hatten ein Programm, das "Die Frau in der Gesellschaft" hieß und durch das Venussymbol am Buchrücken leicht zu erkennen war (ich weiß, ich weiß - zuletzt haben die Hera Lind gedruckt). Bei Rowohlt hieß die entsprechende Buchreihe "Neue Frau". Die wurde 1997 eingestellt...seufz. Und als mittelalte, elitäre Kampfelse glaube ich in der Tat, dass wir momentan direkt und immer tiefer in den verdummten Salat steuern, den wir dann haben werden...

Klug und erfolgreich

Meine Prüfung zur Psychotherapeutin HP kann ich hier in Schleswig Holstein übrigens allem Anschein nach erst in über einem Jahr ablegen. Weil die Prüfung nur einmal im Jahr stattfindet. Und in diesem Jahr fand sie statt, als ich noch im Unterricht saß. Das gibt mir jetzt also Zeit bis Oktober 2017, um mich vorzubereiten. Mir ist natürlich schon wieder unbegreiflich, wie hier von Behörden mit den persönlichen Biographien und der Lebensplanung der Bürgerinnen umgegangen wird, und ich könnte mich seitenweise echauffieren. Stattdessen werde ich jetzt mal ein Formular ausfüllen, um beim Universum jemanden zu bestellen, der mich beizeiten abfragt. Und zwischendurch auf mich aufpasst, so dass ich bis zum Prüfungstermin nicht schon längst entweder im Gefängnis oder in einer Burnout-Klinik gelandet bin.

NH



Sonntag, 28. Februar 2016

Nie wieder Diät!

Na, was habt ihr gedacht, was jetzt kommt? Womöglich Diättipps? So abwegig wäre die Erwartung nicht. Denn meistens folgen einer solchen Schlagzeile heutzutage genau diese.

Diäten funktionieren sehr wohl, wenn es darum geht, Gewicht zu verlieren. Wer wenig isst, wird meistens dünner. Tatsache ist aber bekanntlich auch, dass kaum einer danach dünn bleibt. Weit über 90% aller durch Diäten bewerkstelligte Gewichtsreduktionen lassen sich nicht über fünf aufeinander folgende Jahre aufrecht erhalten, weil 90% aller Diätelnden irgendwann nicht mehr in der Lage sind, unter den erheblich verschärften Bedingungen einer Diät zu leben. Das kann nicht nur als wissenschaftlich gesichert betrachtet werden - es wird auch täglich von Millionen von Menschen weltweit bewiesen. Also - bitte nie vergessen: Erfolgreiche Diäten sind in der Regel FÜR IMMER. 

Dieser ebenso freudlose wie unumstößliche Umstand hat sich nun sogar bis in die undurchlässigsten Bastionen der Begriffsstutzigkeit durchgesprochen: bis in die Redaktionen von Frauenzeitschriften. Die wollen es zwar nicht glauben, aber müssen was tun, weil ihnen ihre Leserinnen irgendwann nicht mehr glauben. Und so kommt es zu einem breitangelegten Etikettenschwindel, der einem ob seiner Unverfrorenheit schier den Atem stocken lässt.

Oh, wie sich die Bilder gleichen...

Über die Nie-wieder-Diät-Diät in der Februarausgabe von myself hatte ich ja schon hinreichend gemotzt. Worauf ich wirklich mit Neugier gewartet hatte, war die Märzausgabe des von Barbara Schöneberger als "Editor at Large" herausgebrachten Magazins, das auch ihren Vornamen trägt. Die Barbara soll, so die erklärte Philosophie der ganzen Veranstaltung, grundsätzlich diätfrei sein. Man würde denken, dass das für eine Ausgabe, deren übergeordnetes Motto "Nie wieder Diät" lautet, ganz besonders gilt. Aber wie so oft, stellt man schnell fest, dass Denken offenbar komplett überbewertet ist.

Denn bloß weil man keine expliziten Diätpläne abdruckt, und sogar mal dicke Frauen abbildet und direkt zu Wort kommen lässt, ist man noch lange kein Hafen bedingungsloser Körperakzeptanz. Im Gegenteil: In der Anti-Diät-Edition der Barabara strömt der Leserin die altbekannte Ambivalenz was herkömmliche Körpernormen angeht, aus allen Poren nur so entgegen.

Gleich am Anfang steht die Behauptung das Leben sei ein "ewiges Hin und Her zwischen Verzicht und Maßlosigkeit." Eine denkbar ungünstige Gegenüberstellung zur Einleitung des Themas, denn nun ratet doch mal, was hiervon traditionell negativer belegt ist?

Christine Schaum ist Surferin und Schwimmerin, und hielt früher immer Diät, weil bei ihrer Statur (sie ist wohl 1,87 groß) "ein paar Kilo mehr tatsächlich schnell wuchtig wirken." Das findet sie offenbar noch immer. Aber heute lebt sie eben damit. (S. 24)

Dann kommt die auch hier bereits ausgiebig besprochene Nicole Jäger auf die Bühne. Auch ihre Karriere basiert bekanntlich darauf, das Märchen von der diätfreien Gewichtsreduktion zu verbreiten. Man fragt sich, was ein Abnehmcoach überhaupt in einem Magazin zu suchen hat, in dem es keine Diättipps geben soll...nun, sie ist natürlich da, um Diättips zu geben: "Ich habe aufgehört, Diäten zu halten und habe angefangen zu essen. Ohne Schuldgefühle, ohne Verzicht. Dann statt drei Schokoriegel eben nur zwei und einen Apfel." ("Schokoriegel-n" Anm. d. dicken Dame) (S. 25) Facepalm.

Und was lernen wir noch in Frau Schönebergers Land der Nicht-Diäten-Diäten? Ach ja,..."das perfekte Verhältnis von weiblicher Taille zur Hüfte entspricht dem Quotienten 0,7." Dieser Vermerk steht übrigens in der Beschreibung einer Blumenvase. Nicht einmal Haushaltsgegenstände sind offenbar vor Körpernormierung sicher. Oder wie jetzt? Oder ist da doch eher wieder die Taille der Leserin gemeint?  (S. 31) Der Verdacht liegt nahe, denn just blättert diese um und wird darüber informiert, dass Shapewear heutzutage auch mit Spitze besetzt zu haben ist.

Richtig dicke kommt es im Text der Autorin Nikola Helmreich. Bei der kommen sich nämlich ihr "dickes und dünnes Ich" immerzu "in die Quere". (ab S. 35) Wie sollte es auch anders sein? Wie sollte es denn bitte sehr auch möglich sein, eine Schreiberin zu finden, die tatsächlich dick ist und sich total ok findet? Die Frau Helmreich weiß zu berichten, dass sich "nun wirklich keine Frau" freut, wenn sie zu hören bekommt: "Gut siehst du aus, hast du zugenommen?" Dass das aber ohnehin nie jemand sagt (außer das Gegenüber ist anorektisch und gerade dem Tod von der Schippe gesprungen) und dass gerade diese Tatsache aber auch Teil des Problems ist, entzieht sich ihr natürlich komplett. Sie schwadroniert weiter über flache Bäuche, die "einfach nur grandios gut aussehen" und darüber, dass ihr dünnes Ich "die Hüftknochen spüren will", während dem dicken Ich womöglich soziale Kontakte und Essen wichtiger sind als Sport. Und die Redaktion lässt sie einfach so machen.Schließlich beweint sie noch aus dem Nichts heraus den Verlust "traditioneller Weiblichkeit" im Zuge der Emanzipation, und man kann als verblüffte Leserin wirklich nur raten, was sie wohl mit "traditioneller Weiblichkeit" meinen könnte. Womöglich hat sie dabei auch nur mal wieder an Sophia Lorensche Kurven gedacht - sowas kommt bei dem Thema ja immer gut.

Noch etwas dicker kommt es allerdings da, wo sich sie Herausgeberin at Large, also Barbara Schöneberger höchstselbst, zum Thema äußert. Denn die wäre ganz offensichtlich auch lieber dünn. Und beneidet im Gespräch mit Steffen Henssler diesen darum, dass der wohl noch nie eine Diät machen "musste" (ab S. 39). Da kennt sie den Steffen und seine Sorgen aber schlecht, denn der muss zumindest aufpassen, nicht zuzunehmen, denn "ab einem gewissen Alter setzt man schneller an." Darum achtet er darauf, was und wie viel er isst. Und er schläft genug, denn "wer schläft, isst nicht." Dass die Frau Schöneberger so "gut in Form ist", wie der Steffen findet, verdankt sie mithin einem Personal Trainer.

Die Frau Schöneberger erklärt an anderer Stelle, sie habe sich in ihrer Nische als "TV-Vorzeigedicke (...) gut eingerichtet" (S. 66). Das ist natürlich nichts weiter als ziemlich lahme Koketterie und wird von ihr selbst auch sogleich richtiggestellt: "Ich (...) wirke in Natur ganz normal, im Fernsehen aber wie eine Walküre." Was immer auch normal ist. Walküren sind es offenbar nicht. Gleichzeitig redet sie von "grauenvollen Fotos", auf denen sie vergessen hat, den Bauch einzuziehen. Aber zum Glück passt die Frau Schöneberger fortan in Kleider von Viktoria Beckham, weil die nun auch in 38/40 produziert werden. Jetzt wissen wir also, dass die Walküre tatsächlich nur eine Größe 38 trägt. Die Walküre ist nicht wirklich dick. Und es war ihr sehr wichtig, das bitte noch einmal zu sagen.

Es gibt noch so viel, was ich an dem Heft nicht begreife. So z.B. den "Snackcheck" (in jeder Ausgabe), der den "Hüftgoldfaktor" von Nahrungsmitteln überprüft. Oder einen vor echter Besorgtheit/Kritik triefenden Beitrag über ein Burgerrestaurant in Las Vegas. Der Name des Lokals ist ironisch gemeint und womöglich gar als Rebellion gegen all die Voruteile, mit denen Nahrungsmittel gern belegt werden, zu lesen - er lautet "Heart Attack Grill". Die Ironie freilich ist dem Texter Björn Krause schier entgangen. Auch die Tatsache, dass es sich um Erlebnisgastronomie handelt, und darum Patienten Untersuchungshemdchen tragen und die Kellnerinnen als Krankenschwestern verkleidet sind, hat er nicht so wirklich gerafft. Der Autor versteigt sich gar zu der Schlussfolgerung, ein Stammkunde des Restaurants, der irgendwann an einem Herzinfarkt gestorben ist, habe sich "buchstäblich totgefressen." Das Food-Bashing, das hier stattfindet, ist nicht nur Quatsch, sondern scheint im Kontext des Magazins erstaunlich deplatziert. Ebenso wie die Bewertung eines Frauenkörpers mit statistischen Normmaßen (1, 67, 67 kg, Größe 42)  durch einen Fitnesstrainer. Der würde naturgemäß gern alles an der Frau verändern und wegtrainieren. Was bitte soll das? Warum lässt man die, die doch ohnehin von morgens bis abends und überall andere Körper niedermachen, es auch noch hier tun?

Und noch eine Enttäuschung. Dieses Kleid hätte ich tatsächlich gern gehabt. War aber auf der Website des Herstellers weit und breit nicht zu finden.


Nichts als Diät

Der Schwindel geht natürlich erst recht weiter und immer weiter, wenn es darum geht, ohne Diät abzunehmen. Nichtsdestotrotz habe ich hier mal die schönsten Tipps  aus dem Büchlein, das der Joy im März beilag, zusammengetragen. Wohlgemerkt - alles ganz easy und komplett ohne Diätstress...

1. Reiswaffeln haben "haufenweise Kohlenhydrate". Besser sind Hüttenkäse oder Magerquark.
2. "Ein Glas Cranberrysaft gleich nach dem Aufstehen ist ein absoluter Fettkiller!"
3. "Wer die Kilos purzeln lassen will, sollte nie weniger als 20 Prozent der gewohnten Energiemenge zu sich nehmen. Bei 2000 Kalorien also mindestens 400 pro Tag." (Jahaa, ich musste auch erst zehnmal lesen und hab dann große Augen gemacht...)
4. "Gute Dinner-Alternative: fettarmer Fisch mit gedünstetem Gemüse."
5. "Geben Sie Peperonis (...) ins Essen: Ihre Körpertemperatur erhöht sich und der Körper verbrennt Kalorien, um wieder abzukühlen!" Ich dachte immer, die Mehrzahl von Peperoni sei Peperoni...
6. "Verkneifen Sie sich lieber den Snack vorm Schlafengehen."
7. "Smoothies - Ein Mix aus Gurke, Minze und Limettensaft belebt und sättigt!"
8. "Algenbauchwickel reduzieren Wasserablagerungen über Nacht."
9. "Wie wär's statt mit einem Glas Wein mit einer Tasse Entschlackungstee zum Einschlafen?"
10. "Rechtshänder sollten mit der linken Hand snacken, Linkshänder mit der rechten - so isst man viel weniger!"
11. Blaue oder grüne Wände "zügeln den Appetit".
12. "Eine Viertel Stunde bügeln, verbrennt 37 Kalorien." Abgesehen davon, dass das nun wirklich nicht ermutigend ist, müsste es natürlich eine "Viertelstunde" sein. Bin ich übrigens die Einzige, die findet, dass es mit der Rechtschreibung im öffentlichen Raum (Schilder, Bücher, Zeitschriften, TV) in den letzten Jahren erschreckend den Bach runter geht? Und diese groteske Flut von Ausrufezeichen in Publikationen für junge Frauen geht mir sowas von auf die Eierstöcke. Vermutlich war ich noch nie jung genug dafür.
13. Und zum großen Finale: Dicke Frauen sollten einen Mittelscheitel tragen, denn der "schummelt Pfunde weg". WARNUNG: "Haare nie hinter die Ohren klemmen!"

Btw...wenn ich ein Magazin mit meinem Namen herausgeben würde, sähe jede Ausgabe natürlich so aus:

Nicola Magazine Mai 2012, Japan 

NH

Sonntag, 14. Februar 2016

Ausgelesen: "Die Fettlöserin" von Nicole Jäger, Rowohlt, 2016

Are you just making this shit up as you go along?*


Nicole Jäger ist eine berühmte dicke Frau. Das verdankt sie maßgeblich der Tatsache, dass sie eine gute Dicke ist. Sie übernimmt nämlich höchstselbst die "Verantwortung für ihr Leben", und tritt in ihrer Eigenschaft als "Fettlöserin" sich selbst und ihren Leserinnen pausenlos in den Hintern, damit sie alle zusammen endlich abnehmen.

Bereits an diesem Punkt wird es ausgesprochen ärgerlich und man fragt sich alle paar Seiten, was um alles in der Welt sich nicht die Autorin, sondern die Lektorin am Ende bloß dabei gedacht hat, so eine Arbeit abzuliefern: Arschhochkriegen, Tod durch Arsch-nicht-Hochgekriegt, weil man seinen Arsch nicht hochbekommt, in den Hintern treten, den Hintern aufreißen, wenn man seinen hübschen Hintern hochbekommt, Arsch hoch, Baby!, meinen schweren Hintern zu bewegen, bekomm deinen schönen Arsch hoch, beweg deinen Hintern, ich ihm notfalls in den Hintern trete, deinen hübschen Hintern vom Sofa schwingst...

Andere Wiederholungen, die es am Ende fast unerträglich machen, sich durch die 286 Seiten, von denen meiner Auffassung nach mindestens die Hälfte hätte gestrichen werden müssen, zu wursteln, sind diese: eklig, scheiße, Selbstbetrug, seien wir doch mal ehrlich, Arschloch, faule Sau, Bullshit. Und das sind nur die, die ich angestrichen habe, weil sie den Ton des Buches maßgeblich prägen. Die Autorin versucht, sich zwischen rotzigem Pausenclown, Diva und Marine Corps General zu positionieren. Dabei macht sie sich als gute Dicke selbst runter, aber auch ihr Publikum gleich mit. Nebenbei jammert sie sehr wohl, während sie sich quasi im selben Atemzug jegliche Jämmerlichkeit verbeten hat.

Und dann auch noch das:

 Nothing tastes as good as skinny feels. (Kate Moss)
(...) nichts auf der Welt schmeckt so gut, wie Lebensqualität sich anfühlt, (...). (Nicole Jäger)

Selbst das abgewandelte und gern auf Pro-Ana-Seiten verwendete Kate-Moss-Zitat kommt gleich zweimal in der "Fettlöserin" vor - auf Seite 176 und 265. Dadurch, dass man etwas pausenlos wiederholt, wird es aber nicht automatisch richtiger. Oder gar wahr. Oder überhaupt sinnvoll.

Die eigentlichen Alleinstellungsmerkmale, die Nicole Jäger im Diätgeschäft zur selbsternannten "faulen Sau" machen, die dieser Tage durch die Medien getrieben wird, sind natürlich zwei Dinge: Sie hat, so die Legende, mal 340 kg gewogen und sich auf die Hälfte runtergehungert. Sie hat sodann, wie so viele Großabnehmerinnen, ihre Diät zur Karriere gemacht und ist nun ein "fetter Abnehmcoach" mit schicker Praxis in Eppendorf und eigenem Bühnenprogramm ("Ich darf das, ich bin selber dick"). Das ist eine echt gute Geschichte, auf die unsere diätbesessene Öffentlichkeit nur gewartet hat. Und während wir von Abnahmerfolgen bis 100 kg mittlerweile schon so oft gehört haben, dass es eigentlich nicht mehr so richtig kribbelt, sind 170, respektive 340 kg doch noch ziemlich hohe Hausnummern, mit denen sich Schlagzeilen machen lassen.

Nicole Jäger ist übrigens strikt dagegen, dass Dicke eine Diät machen, um abzunehmen. Hat aber natürlich ein Diät-Buch geschrieben. Das absurde Phänomen, dass Diäten out sind, Abnehmen aber weiter in, führt ja auch vermehrt in Frauenmagazinen zu den absonderlichsten Gedankenverrenkungen und Definitionen dessen, was denn nun eine Diät eigentlich ist. Wenn es schön aussieht, ist es keine Diät. Wenn es noch halbwegs "gesund" ist, ist es keine Diät. Wenn man davon nicht stirbt, ist es keine Diät...Wenn man dabei hin und wieder Nudeln und Schokolade essen darf, ist es keine Diät. Wenn man lieber mehr Sport treibt, statt Kalorien einzusparen, ist es keine Diät.

In der Welt der "Fettlöserin" verläuft die Grenze zur Diät nicht da, wo Nahrung zum Zwecke des Abnehmens grundsätzlich reduziert wird, denn dann könnte sie ihre Ablehnung gegen Diäten nicht mehr rechtfertigen, sondern dort, wo die verabreichte Kalorienzahl unter den Anforderungen des Grundumsatzes eines Individuums liegt. Und das kann in der Tat verdammt niedrig werden. Nur dann macht man aber in ihren Augen eine Diät. Und nur dann gibt es hinterher einen Jojo-Effekt. Sagt sie. Aber das stimmt natürlich beides nicht. Der Körper wird selbstverständlich auch Defizite bei der Deckung des Gesamtumsatzes ausgleichen (darum nimmt er ja auch dabei ab) und wird versuchen, Verluste so gering wie möglich zu halten, bzw. wird sich bei mehr Zufuhr entsprechend für kommende Engpässe rüsten. Diät bleibt Diät. Egal, wie wir es nennen und was unsere Präferenzen sind. Und es ist halt nun einmal die Tragik des biestigen Paradoxons, mit der die meisten von uns eine lange Zeit unseres Lebens konfrontiert gewesen sind, dass das, was durch Diäten ensteht (ein sehr hohes Gewicht), sich nur durch eine Diät wieder rückgängig machen lässt.

Die Autorin beharrt darauf, dass der, der abnehmen will, "essen muss" (S.151) und hat obendrein ganz entschieden etwas gegen Low Carb und Formula-Diäten. Letzteren gibt sie die Schuld an eben jenem Jojo-Erlebnis, das sie angeblich vor ca. drei Jahren provozierte, als sie aus purer Dummheit und Verzweiflung in einer zweimonatigen Phase des Stillstandes auf der Waage zu eben jenen griff, und ihr Gewicht damit "binnen kürzester Zeit" von 180 auf 150 kg reduzierte (S. 201).

Weil ihr Stoffwechsel damit total aus der Spur geriet, nahm sie die dreißig Kilo (und mehr) wieder zu. Und wog zu ihrer Hochzeit im Jahr danach "deutlich über 200 Kilo" (S. 205). Im April 2014 twitterte Nicole Jäger allerdings ein Bild von sich, das laut ihrer Angabe von 2010 war und sie deutlich erschlankt mit 142 kg zeigte. Es liegt mir persönlich fern, hier weiter Internet-Detektivin zu spielen (das tun andere, oft nicht sehr sympathische Zeitgenossen schon genug), aber da das Buch von ihrer so außergewöhnlichen persönlichen Geschichte lebt, waren es nicht nur die Wiederholungen, sondern auch die vielen Widersprüche und Auslassungen im Buch selbst, die es so anstrengend machten zu folgen.

Irgendwann machte eine dicke aber augenscheinlich doch relativ lebensfrohe und "normale" achtzehnjährige Nicole Jäger, die zuvor als Teenager eine schwere Hüftverletzung hatte überstehen müssen, ihr Abitur und zog von zu Hause aus. Wonach sie offenkundig eines Morgens im Alter von 26 Jahren aufwachte und just 200 kg zugelegt hatte. Selbstverständlich schuldet uns die Autorin keinen Einblick in die Zeit zwischen diesen beiden Stationen oder gar eine Erklärung. Aber es ist natürlich auch die gähnende Lücke an genau dieser grundlegenden Stelle, die der Geschichte den Wind aus den Segeln und die Glaubwürdigkeit nimmt. Die Weigerung, hinzusehen, was alles wirklich passiert sein MUSS (auch der Seele), damit man am Ende 340 kg wiegt und die Wohnung nicht mehr verlassen kann, spiegelt sich dann natürlich auch in dem Versteifen darauf, dass sie eben einfach nur zu dämlich gewesen sei: "Ich hatte es versaut." So viel zur Verknüpfung von dumm/faul und dick, die sich folgerichtig durch das ganze Werk zieht.

Das Buch hätte unter anderen Umständen womöglich ein starker Selbsterfahrungsbericht werden können - das merkt man vereinzelt an gerade solchen Stellen, an denen es sich die Autorin entgegen ihrer eigenen Überzeugung erlaubt, zu "jammern" und Gefühle und Ängste im Hinblick auf ihr Dicksein beschreibt, die sie offenbar durchaus auch gelegentlich hat/hatte, wenn sie gerade mal vergisst, dagegen anzuschreien.

Statt dessen ergeht sich die Autorin in langatmigen ungefähren sowie beliebigen semi-wissenschaftlichen Darstellungen zu Ernährungsfragen, die schon lange keiner mehr stellt. Ein ganzes Kapitel darüber, warum die Ananas-Diät Quatsch ist? Echt jetzt? Und wie gut, dass das hier nun auch endlich mal einer gesagt hat: "Burger machen einen nicht fetter, als Knäckebrot es tun würde, es kommt auf die Menge an." (S.127) Jahaa, das ist sie offenbar - die gnadenlose Ehrlichkeit, die Dicke endlich aus ihrem Selbstmitleid reißt.

Nicole Jäger berichtet, dass sie sich mit ihrem Höchstgewicht von 340 kg gegen eine bariatrische Magen-OP entschieden hat, obwohl der Antrag bereits genehmigt worden war. Stattdessen beschloss sie, eine 2-Prozent-Frau zu werden, nachdem sie gehört hatte, dass nur zwei Prozent aller Menschen mit einem BMI über 45 es schaffen, ohne eben jene OP langfristig dünner zu werden. Die Herausforderung, allein auf weiter Flur das fast Unmögliche zu schaffen, weckte ihren "Kampfgeist" (S. 71). Heute lädt sie ihre Leserinnen alle dazu ein, 2-Prozent-Frauen zu werden. So wie Millionäre gern Nichtmillionären Bücher verkaufen, in denen sie erklären, wie das schier Unmögliche dann für nur 12,99 eben doch für alle möglich wird.

Wer es glaubt, wird - vermutlich - trotzdem nicht dünn.


NACHTRAG: Die Rezension zum zweiten Werk der Frau Jäger (Nicht direkt perfekt) gibt es hier.



NH


*Denkst du dir diesen ganzen Scheiß eigentlich nur aus, während du einfach immer weiter redest?

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Follow me around 35: Kästchen für Merkwürdigkeiten*

*Erich Kästner in Pünktchen und Anton

Was ich noch sagen wollte, bevor das Jahr endgültig vorbei ist:

1. Ist es sonst noch jemandem aufgefallen? Die erste Ausgabe des Magazins Barbara, dessen Editor at Large angeblich Barbara Schöneberger ist, ist trotz neongelber Verheißung auf dem Cover mitnichten ganz ohne "Diät". Erstaunlich, wie Redaktionen von Frauenmagazinen offenbar so gehirngewaschen und programmiert sind, dass sie nicht einmal bei klarster und selbstverordneter Vorgabe in der Lage sind, ihren Leserinnen überhaupt gar kein schlechtes Gewissen zu machen, wenn die irgendetwas essen wollen. "Hüftgoldfaktor"? Echt jetzt? Wenigstens war die Modestrecke ganz schön und die erste Kolumne von Karina Lübke ("bitte recht feindlich") hat mir gut gefallen - auch weil ich selbst das Thema, dass nicht lächelnde Frauen sich leicht verdächtig und höchst unbeliebt machen, hier schon so oft bearbeitet habe.

2. Ich esse im Augenblick übrigens sehr viel Quark. Also bye-bye vegane Ernährung. Fürs Erste.

3. Meine Laufschuhe sind noch unbenutzt. Und bei den Muskelprotzen war ich auch noch kein einziges Mal. Wieder Monatsbeiträge, die anders besser verschwendet gewesen wären. Ich fühle mich deswegen aber nicht wieder unzulänglich und schuldig. Auch deshalb nicht, weil, während Sport vermutlich durchaus gesund ist, seine Rolle beim Abnehmen eher gering bis fragwürdig ist. Das ist übrigens schon lange Wissenschaft. Und überhaupt nicht erstaunlich. Denn Sport macht nicht zuletzt aber dafür natürlicherweise hungrig. Obendrein verbrauchen wir durch Bewegung in der Regel nicht annähernd so viele Kalorien, wie es sich anfühlt. ; ) Um z.B. ein Snickers "abzuarbeiten" (ca. 250 Kalorien) müsste ich 30 Minuten joggen. Was nicht passieren wird. Wer das alles nicht glaubt, kann es googeln. Oder hier nachsehen.

4. Ich habe sechs Adventskalender. Nicht die mit Schokolade, sondern die mit Bildern. Sechs mag ein wenig übertrieben scheinen, und eigentlich hatte ich vor, in diesem Jahr gar keinen zu kaufen, obwohl ich halt so gern die Türchen öffne. Was mal wieder beweist, dass Verbote nicht selten nur zu besonders großem Verlangen und, bei Gelegenheit, anschließender, panikartiger Überkompensation führen.

5. Im Leben habe ich mir bisher nur ein einziges Mal etwas von Christian Lacroix leisten können: einen Notizblock. Heute. Aber auch nur, weil er gerade bei TK Maxx verramscht wird.

6. Außerdem habe ich ein halbes Dutzend "Pro/Con-Blöcke" gekauft. Nicht dass man dafür wirklich Vordrucke bräuchte - man kann natürlich auch einfach eine Linie in der Mitte eines Blattes ziehen. Aber mich beruhigen designierte Notizblöcke im Allgemeinen. Ich bin ja auch eine feurige Anhängerin von Klemmbrettern und Listen, Listen, Listen. Jeder Block hat 60 Seiten, das reicht also für 360 Entscheidungen. Fast für jeden Tag eine. Und ich habe das Gefühl, ich werde so viel entscheiden müssen...

7. Ich habe mir selbst einen Brief zum 44. Geburtstag geschrieben. Dafür hatte ich eine Karte mit einem Leoparden darauf gekauft. Wie sich dann herausstellte, war sie aber viel zu klein. Und ich habe noch vier weitere Karten gebraucht. Dabei habe ich ziemlich viel geweint, aber der Text floss erstaunlich leicht aus der Hand. Ich habe mir viel Glück gewünscht, denn ich kann es brauchen. Lesen werde ich diese Post allerdings erst an meinem 45. Geburtstag.

8. Ich bin nicht sehr froh, in zwei Tagen wirklich eine Mittvierzigerin geworden zu sein. All die Zeit! All die Zeit ist weg. Und mit jeder Sekunde trudelt man dem Ende entgegen. Ich bin derweil bekanntlich noch immer nicht in einem Becken mit Nilkrokodilen geschwommen.

9.  Mein Nachbar hat seine alten Fenster aus Holz gegen Plastikfenster austauschen lassen, und ich kann gar nicht hinsehen. Ein Graus.

10. Der Mann, der die alten Fenster heute aus dem Vorgarten abholen sollte, blockierte mit seinem Pritschenwagen die Einfahrt, als ich nach hause kam. Er saß aber noch drin. Ich machte Gesten, dass ich genau da rein wollte, wo er stand. Er stieg aus, ich wunderte mich, ließ mein Fenster herunter und sagte: "Das ist meine Einfahrt." Er sagte: "Ich bleibe hier jetzt aber für eine Weile stehen." Und ich sagte: "Ich will in meine Einfahrt. Und zwar jetzt." Was er daraufhin erwiderte, weiß ich nicht, weil ich mein Fenster wieder hochfuhr und ihm für ein paar Sekunden dabei zusah, wie er unschlüssig und verschlagen zwischen unseren Fahrzeugen herumstand und vermutlich abwog, ob er das Ganze wohl gewinnen könnte. Ob er der dicken Zicke wohl zeigen könnte, wer der Herr der Auffahrt war. Und ihm war anzumerken, wie sehr es ihn wurmte, dass er da überhaupt groß überlegen musste. In einer besseren Welt würde sich ohnehin kein Weibsbild so aufspielen. Ich rief noch einmal "Jetzt!" und zeigte auf seine Fahrertür. Als er noch immer zögerte, drückte ich auf meine Hupe. Und zwar so lange, wie er brauchte, um ein verwirrtes Tänzchen zu machen, sich auf seinen Fahrersitz zu schwingen und widerwillig den Weg frei zu geben...Das Frausein im Kleinwagen - es geht mir sowas von auf die Eierstöcke...

NH