Freitag, 9. Januar 2015

Ausgelesen: Rebecca Jane Weinsteins "Fat Kids"


"That's my story, and I'm stuck with it."                                                           (Rebecca Jane Weistein, "Fat Kids", Seite 23)


Während Rebecca Jane Weinsteins erstes Buch, "Fat Sex", eine Offenbarung für mich war, mein Leben wahrhaftig verändert und mich auf meiner Reise zur dicken Selbstakzeptanz quasi im Rennwagen nach vorn gebracht hat, verhält es sich mit ihrer zweiten Veröffentlichung, "Fat Kids", nicht ganz so.  

Ich bin sicher, es ist ein wichtiges Buch. Nur erkenne ich das heutzutage alles sofort wieder. Ich war hier schon so oft.

Die Lebensgeschichten der Interview-Partnerinnen und -Partner, die als Kind von der Welt als "zu dick" eingeordnet wurden und heute dicke Erwachsene sind, berühren und erschüttern mich natürlich. Jede ist allerdings irgendwie auch meine eigene. Und eben wie viele andere, die ich in den letzten zwei Jahren gelesen oder gehört habe. Die Bilder gleichen sich bekanntlich immer und auf immer wieder verblüffende Weise: Viele von uns waren als Kind gar nicht dick. Uns wurde aber gesagt, wir wären es. Denn Dicksein ist, wenig überraschend, auch eine Frage der Perspektive. Und selbst wenn wir rund waren, haben wir uns keinesfalls aus uns selbst heraus gehasst. Die Welt, natürlich zumeist am Anfang repräsentiert durch die Eltern, hat uns irgendwann mitgeteilt, dass wir "nicht normal" und nicht "richtig" sind. Und das war der Startschuss für die Fahrt mitten hinein in Diät-Höllen, Essstörungen, Demütigungen, seelisches Leiden, schwache Selbstbilder, verpfuschte Leben und harte und manchmal verlorene Kämpfe um Erkenntnis und um einen Weg zurück ans Licht.

Ich weiß mittlerweile ganz genau, dass ich mit meiner Geschichte als dickes Mädchen nicht allein bin. 

Das hilft mir aber merklich nicht mehr ganz so sehr, wie am Anfang. Und manche der Geschichten in "Fat Kids" wurden für mich ein wenig zu lang. Womöglich bin ich nun langsam doch nicht mehr so sehr an Rückschau interessiert, sondern mehr an Strategien zur aktuellen und zukünftigen Selbststärkung.

Nichtsdestotrotz ist "Fat Kids" ein gutes Einsteigerwerk für Neulinge auf dem Gebiet der Fettakzeptanz. Und eine notwendige Lektüre und sodann eine wertvolle Stütze für ratlose Eltern dicker Kinder. Es kann ihnen helfen, das Richtige zu tun. Es kann ihnen das Selbstbewusstsein vermitteln, das sie selbst durchaus benötigen, um sich von einer fettphobischen Gesellschaft nicht zwingen zu lassen, ihr Kind endlich "gesellschaftlich akzeptabel" zu machen.

Neben Weinsteins Gesprächspartnern kommen auch die Ernährungswissenschaftlerin Emily J. Dhurandhar, sowie die Psychologin Peggy Elam und die Soziologin Pattie Thomas zu Wort. Diese drei Teile enthielten Informationen, die mir in der Mehrzahl nicht ganz neu, bzw. für mich kaum mehr überraschend/schockierend waren. Aber noch einmal: Für Einsteiger findet sich hier eine Sammlung von wissenschaftlichen Daten/Betrachtungen, die auf dem letzten Stand ist: Diäten funktionieren nicht, Diäten führen zu Essstörungen und Überessen, Dicksein ist keine Krankheit, und gesunde runde Kinder haben gute Chancen, gesunde runde Erwachsene und richtig alt zu werden, wenn man sie nicht vorher seelisch fertig macht. Es ist in der Hauptsache die Stigmatisierung, die die Gesundheit dicker Menschen und vor allem die dicker Kinder gefährdet. Dass diese Stigmatisierung allgegenwärtig ist, ist offenbar ein gesellschaftliches Problem. Und kein individuelles. Und erst recht kein medizinisches.

NH