Freitag, 22. Juni 2018

Warum ich den Film "Embrace" wirklich schlecht finde

Es soll ja Frauen geben, die bei der Doku "Embrace" der Australierin Taryn Brumfitt vor Ergriffenheit geweint haben. Mich ergriff mal wieder nur die kalte Wut. Denn der Film ist echt schlecht. Und so unehrlich wie ein Sechseuroschein. Was er nicht ist, ist feministisch - auch wenn Wikipedia das behauptet. 

In dem Film geht es um das westliche weibliche Schönheitsideal. Eigentlich sollte es wohl herausgefordert und hinterfragt werden, aber dazu war offenbar wieder keiner so richtig in der Lage. Zu tief hängen doch immer wieder die Wurzeln im Sumpf der jahrzehntelangen eigenen Programmierung. Trotz der Auftritte der Aktivistin Jes Baker (die mit der Abercrombie-Fitch-Fotoreihe) und der Wissenschaftlerin und Aktivistin Linda Bacon schafft es der Film zu keiner Zeit, die Orientierung am Normativen zu überwinden. 

Es ist das alte, ermüdende Spiel. Wir sind für eine Minute ganz doll empört über rigide Schönheitsnormen, denen wir bis dahin und eigentlich auch weiterhin gern selbst entsprächen und tun außerdem ganz kurz so, als seien schließlich alle Menschen irgendwie schön, besonders dann, wenn wir "Ausstrahlung" mit ins Spiel bringen. Es gibt natürlich auch Wichtigeres als Schönheit - z.B. Kinder zu kriegen und Marathons zu laufen. Aber dazu später. 


Ob es "Schönheit" überhaupt gibt und warum irgendwer überhaupt schön, bzw. ersatzschön sein muss, ist kein Thema. Das ließe sich auch nicht mehr in ganz so flauschiger Art verpacken. Aber Radikalität ist Frau Brumfitts Sache selbstverständlich nicht. Da ist auch Mitproduzentin Nora Tschirner wenig hilfreich. Die wird nicht müde zu betonen, wie unwichtig ihr Äußerlichkeiten und wie langweilig Glamour und rote Teppiche sind - nur um im Film selbst mit Brumfitt auf einem eben solchen zu stehen. Damit wir wissen, dass sie sehr wohl ein Teil der Glitzerwelt ist, obwohl es ihr nichts, aber auch gar nichts bedeutet...Yupp.

Für Taryn Brumfitt begann ihr Engagement auf dem Gebiet der Selbstakzeptanz mit einem biederen Nacktfoto (der biedere Ehemann beschreibt es erleichtert als "geschmackvoll"), das im Internet virale Verbreitung erfuhr. Es zeigte ihren Post-Baby-Body sitzend mit Rettungsring um den Bauch. Als dreifache Mutter wollte sie ein Zeichen setzen und die Welt wissen lassen, dass sie sich ihr "Wellfleisch verdient" habe. Soll heißen - der angenommenen Unattraktivität des Körpers steht hier eine Leistung, bzw. ein Nichtselbstverschulden gegenüber.


In einer Flut von E- Mails von verzweifelten Frauen wurde Taryn danach angeblich gefragt, wie sie es geschafft habe, ihren etwas abgenutzten Körper zu lieben. Dummerweise sind sie da alle an die falsche geraten. Denn Taryn Brumfitt liebt ihren Körper nicht. Wer seinen Körper liebt, muss sein Aussehen nicht in einem Film von 90 Minuten Länge pausenlos rechtfertigen.

Zu kitschiger Musik wird Brumfitts erstes Kind vor unseren Augen geboren. (Das mit den Kreißsaalvideos hab ich ja ehrlich noch nie verstanden.) Trotz der "Jellybellymess", die dadurch entsteht, sagt Brumfitt den Termin für die Bauchstraffung doch noch ab, um ihrer Tochter ein "gutes Vorbild" zu sein. Als ob es eine zur moralischen Heldin macht, keine Schönheitsoperation zu haben, sondern lieber etwas viel Drastischeres zu tun, um zu genügen: Nach 15 Wochen Training nimmt Brumfitt an einem Body-Building-Wettbewerb teil. 


Das Foto von gestählten Muskeln wird zum Vorher-Foto, das mit dem Rettungsring zum Nachher-Foto. Verkehrte Welt und gut für 3,6 Millionen Klicks.

Im Film bespricht Brumfitt die bedauerliche Tatsache, dass sich "45% aller Frauen mit gesundem Gewicht für übergewichtig halten" mit der Chefredakteurin der australischen Cosmopolitan, Mia Freedman. Die setzt sich ja irgendwie schon seit immer dafür ein, dass sich daran etwas ändert. Was, wird mithin nicht klar, bzw. eher nicht weiter thematisiert. Viel wichtiger ist aber, dass hier ganz selbstverständlich von beiden Frauen davon ausgegangen wird, dass es Körper gibt, deren Eigentümerinnen sie fälschlicherweise für maßlos, also für zu dick, halten und solche, die wirklich zu dick sind. Denen, die sich zu dick finden, sollte geholfen werden. Die "echten" Dicken fallen unter den Tisch. Klonk! Die sind ja auch nicht gesund.

Und schwupps - da joggt Taryn Brumfitt schon wieder durchs Bild. Das passiert im Film öfter mal, denn schließlich ist sie kein "lazy pig". Ihr Körper ist "fit and strong" und kann, wir hörten schon davon, einen Marathon überstehen. Kurz danach stehen die Chancen übrigens ziemlich gut, wieder Bilder von Schwangeren zu sehen. Das kitschig-penetrante Herumreiten auf weiblicher Fruchtbarkeit als ultimativem Leistungsbeweis und Ablassbrief im Hinblick auf das Lockern von Körpernormen ist regelrecht ein wenig eklig. Offenbar sind Dellen und hängende Brüste vor allem dann akzeptabel, wenn sie durch Fortpflanzung entstanden sind. Weil: Geburt = Leistung = Normabweichung verdient. Was bitteschön ist also mit Körpern, die nichts leisten? Die weder Kinder bekommen, noch joggen, noch fit sind, noch Öffentlichkeitsarbeit machen? Und was ist mit Körpern, die den gängigen Standards noch nie entsprochen haben? Einfach so. Ohne besonderen Grund oder Niederlage?

Grundsätzlich geht es in dem Film nämlich vorrangig um "schuldlos" verlorene Normattraktivität. Bei zwei der Gesprächspartnerinnen haben gar Tumore bzw. ein Feuer zu großen Veränderungen im Gesicht geführt. Aber auch diese Frauen "verdienen" sich ihr Recht auf diese Abweichung durch außergewöhnliches öffentliches Engagement und einen unerschütterlichen, ja fast übermenschlichen Optimismus: "Maybe it was the best thing that ever happened to me." (Turia Pitt, Brandopfer)

Was oberflächlich so aussieht wie eine rosafarbene  Pyjamaparty unter mittelalten Frauen mit Selbsthilferuppeneinschlag ist in Wirklichkeit am Ende auch nicht anderes als knallharte Beurteilung, Festhalten an Normen und Leistungsprinzipien und entsprechend der Aufruf - na, wozu wohl - richtig, an sich zu arbeiten. Und zwar immerzu. Wenn schon nicht am Körper, so doch an der eigenen Einstellung.

NH