Ich war ja sehr gespannt und habe mich eigentlich auf das Buch gefreut, nachdem ich schließlich auch für die Crowdfunding-Kampagne, bei der 5000 Euro für Layout und Druck des Buches gesammelt wurden, auf diesem Blog Werbung gemacht habe, weil ich natürlich weiß, dass die Themen dicke Selbstakzeptanz, Fettakzeptanz und Body Shaming in Deutschland ausgesprochen stiefmütterlich behandelte sind. Ich dachte mir, was kann schon schief laufen, wenn eine dicke Autorin, die zugleich als Coach arbeitet, andere Dicke dazu ermutigen will, mit ihren Körpern Frieden zu schließen? Ich dachte mir, dass jedes Buch auf Deutsch auf diesem Gebiet ein seltenes Gut und damit automatisch ein gutes Buch ist. Das war blöd gedacht. Und umso deprimierender war die Lektüre dann stellenweise.
Hilft ja nix. Muss halt gesagt werden.
Was ich durchaus erwartet hatte, war, dass das Buch sprachlich und inhaltlich eher bieder sein würde. Aber damit hätte ich kein großes Problem gehabt, und die einführenden Kapitel über Diäten, sowie die Gesundheit und Lebenserwartung Dicker liefert eine solide Aufstellung aktueller, wissenschaftlicher Erkenntnisse, die den Diskurs innerhalb des Mainstreams und unter Medizinern allerdings noch nicht maßgeblich erreicht haben. Ebenso verhält es sich mit der Darstellung der Auswirkungen von gesellschaftlicher und mediale Herabsetzung und Diskriminieung Dicker auf deren persönliche Situation und alltäglichen Stresslevel. Diese ist zutreffend und vieles, was Gisela Enders schildert, dürfte den meisten von uns bekannt sein. Würde das Buch also nur aus Teil 1 bestehen, wäre es dünn, aber nicht ärgerlich.
Allerdings schliddert frau über den folgenden Satz in den sehr viel längeren Teil 2, der in ein "glückliches und gesundes Leben" führen soll: "Menschen, die ihren eigenen Körper mehr annehmen und mit sich selbst im Reinen sind, erfahren deutlich weniger Stigmatisierung und Diskriminierung als Menschen, für die der eigene Körper selbst eine Last und ein Makel ist." (Wohl in meiner Haut, S. 51)
Ab da wird's esoterisch.
Natürlich entbehrt die oben zitierte Aussage jeder Basis. Haarsträubend offenbar wird das, wenn man sich vorstellt, dass der selbe Rat jemanden angetragen würde, der aufgrund seiner Hautfarbe Diskriminierung erfährt. Und ja, ich hatte gleich ein ungutes Gefühl, wo das hinführen würde.
Frau Enders ist in ihrer Arbeit als Coach ein Fan des positiven Denkens und davon, dass man halt einfach mal seine persönliche Einstellung zu den Dingen ändern, bzw. die Umstände anders, also positiver interpretieren sollte. Ihr Hauptaugenmerk liegt darauf, die "inneren" negativen Stimmen zum Verstummen zu bringen. Die von ihr abermals präsentierte Idee, dass wir "unsere Realität selber erschaffen" und negative Glaubenssätze uns nicht nur belasten, sondern sich dann auch fatalerweise in der Außenwelt manifestieren, ist eine, der ich Anfang der Neunziger ebenfalls und sogar mit ziemlicher Leidenschaft anhing. Inzwischen weiß ich es besser.
Denn was Body Shaming angeht, liegt die Wurzel des Übels nicht in uns. Sie liegt da draußen. Kein Arzt wird mich nicht zu einer Veränderung meines "Life Styles" drängen, bloß weil ich selbst mein Fett für großartig halte. Das weiß ich zufällig ganz genau. Ich selbst bin natürlich auch schon in Begleitung einer Therapeutin mit nackten Armen über die Straße gelaufen. Sie wollte mir beweisen, dass die Menschen, die mir begegnen, zumindest in der Mehrheit nicht negativ auf meine Arme reagieren werden, es also gar keinen Grund zur Sorge gibt, weil ich mir die Ablehnung der Gesellschaft zumindest teilweise nur einbilde.
Was ich jedoch auf meiner Reise zu dicker Selbstakzeptanz gelernt habe, ist dieses: Ich kann und soll meine Einstellung zu Angriffen, Diskreditierung und Diskriminierung nicht ändern. Und nicht für eine Sekunde werde ich mir den Schuh anziehen, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, wie mies ich mich fühle, wenn ich angegriffen und diffamiert werde, weil ich einen runden Körper habe. Die Welt musste mir erst beibringen, mich hässlich und minderwertig zu fühlen. Aus mir selbst heraus wäre ich nie darauf gekommen, meinen Körper zu hassen. Und ich kann mir die Welt kraft meiner Gedanken nicht freundlich hexen, egal wie hart ich daran arbeite und wie viele Flip Charts ich bei dem Vorhaben auch vollmale. Darum ist der richtige Ansatz meiner Ansicht nach, äußere Negativität sehr wohl als genau als das wahrzunehmen und zu benennen, was sie ist, sie zu analysieren, sie zunehmend auszuhalten und ihr dann am besten offensiv etwas entgegen zu setzen, womöglich auch ordentlich viel Protest. Natürlich steht am Ende die Realisierung, dass man nicht hässlich und monströs ist, bloß weil die Welt einem das immerzu weismachen will. Und das ist eine riesengroße Erkenntnis. Aber die Welt ändert sich nicht, bloß weil man sie sich anders vorstellt. Bezeichnend ist mithin die Traumreisenübung, die am Ende des Buches zu finden ist, bei der man sich zumindest mal ausmalen kann, wie es wäre, in einer nicht fettphobischen Welt aufgewachsen zu sein.
Tipps für Ernährung und Bewegung enthält das Buch auch. Beide Aspekte sind mit Aufrufen verbunden, an denen man als vermutlich hinreichend diätgeplagte Leserin wieder mal leicht scheitern kann. Zwar wird immer wieder betont, dass "alles okay ist", aber eigentlich sollte man schon bestimmte Dinge besser machen. Man sollte Sport machen, weil man sonst, wie im ersten Teil des Buches dargelegt, womöglich früher stirbt. Und eigentlich sollte man auch weniger Fertigprodukte essen. Und es kann eigentlich auch nicht schaden, persönliche Ernährungsmuster aufzudröseln, um festzustellen, warum man eigentlich gerade jetzt Schokolade essen will. Und vielleicht will man dann keine mehr. Aber wenn doch, ist das auch "okay". Allerdings ist Wasser statt Limo auch die gesündere Wahl. Ich finde hier die Nähe zu gängigen Diätratgebern zumindest, na sagen wir mal, schwierig.
Aber dann kommt der Knaller:
Natürlich enthält das Buch einen "Modeteil", denn die Beschaffung von Bekleidung in großen Größen ist offenbar ein zentrales, wenn nicht gar das wichtigste und öffentlichste Element im Zusammenhang mit dicker Selbstakzeptanz für Frauen. Auch wenn ich das für mich persönlich ja nicht immer so ganz nachvollziehen kann, sehe ich natürlich ein, dass es für eine Mehrzahl anderer dicker Frauen so ist und sie sich sehr für Plus-Size-Mode interessieren. In Gisela Enders' Buch ist dieser Teil mithin ein Gastbeitrag von einer Expertin namens Natalia Weimann.
Sie hat uns u. a. folgendes mitzuteilen:
1. Die Brigitte ist ein strahlendes Beispiel für den Aufbruch gängiger Schönheitsnormen, weil die irgendwann mal aufgehört haben, ihre Mode an professionellen Models zu fotografieren. (Dass die Brigitte damit so richtig gescheitert ist und die Mädchen in ihren Modestrecken heute professioneller und dünner sind, als je zuvor, ist ihr bei der Recherche entweder nicht untergekommen oder schlicht nicht aufgestoßen.)
2. Mit Shapewear kann man "Problemzonen einfach wegmogeln" und sie "schwört darauf" (Wohl in meiner Haut, S. 124)
3. Frauen mit schmalem Oberkörper und runden Hüften, sollten ihr "Augenmerk auf (ihren) zierlichen Oberkörper richten" (S. 125).
4. Frauen mit viel Busen, wenig Taille, runden Hüften und schlanken Beinen und Armen sollten die Aufmerksamkeit auf die "zarten Körperstellen" lenken (S. 126).
5. Bei Frauen mit breiten Schultern, schmalen Hüften und schlanken Beinen, ist der "schmale Unterkörper" die "Schokoladenseite" (S. 126).
6. Die "weiblichste aller Silhouetten" ist die mit viel Busen, schmaler Taille und ausgeprägter Hüfte. (An anderer Stelle gelten Besitzerinnen solcher Körper angesichts ihrer "Weiblichkeit" ja auch immer als "gute Dicke", Anm. von mir). Natürlich sollten Frauen dieser Kategorie der Frau Weimann zufolge abermals das betonen, was an ihnen am wenigsten dick ist: ihre Taille.
7. Außerdem würde sie "allen Frauen (...) Shapewear und einen hohen Pump empfehlen", denn "Shapewear hält alle Pölsterchen gut in Form und kaschiert so einige Dellen weg, manchmal sogar einige Kilos..." (S. 127).
WAS UM ALLES IN DER WELT IST DENN DA BITTE PASSIERT, FRAU ENDERS!?!?
Wer sich nach diesem Teil der Lektüre noch nicht wild die Haare rauft und sich erst einmal etwas Stärkeres als Wasser eingeschenkt hat, dem wird dann Per den Rest geben. Per ist ein "bekennender Bewunderer" dicker Frauenkörper und kommt im Kapitel über Liebe, Sex und Partnerschaft als vermeintlich positive Quelle zu Wort, denn der findet nichts "peinlicher" als "eine tief ausgeschnittene Bluse (...), die bloß einen tristen Ausblick auf das berüchtigte "Bügelbrett mit Erbsen" liefert" (S.145). Offenbar ist der Autorin nicht aufgefallen, dass sie hier eine der gängigsten, plumpesten Diffamierungen dünner Frauen wiedergibt, die so in der Welt herumwabern. Dass das dicken Frauen nicht nützt, sondern nur allen Frauen schadet, ist ihr offenbar auch nicht klar.
Was lernen wir hier noch über dicke Sexualiät? Diesmal von der Autorin selbst? Frauen sollten sich ein wenig zieren, weil Männer die Jagd mögen. Und weil ein dicker Körper sich quasi naturgemäß "ziert", weil man nicht so leicht an alles rankommt, "bietet (er) im Bett jenen wunderbaren Widerstand des reichen Fleisches, den zu überwinden und dabei zu genießen den Partner begeistert." (Wenn man es auch fast nicht mehr glauben mag - auch das steht auf S. 145.)
Es gäbe noch mehr zu sagen. Aber ich habe keine Lust mehr. Und ich habe eigentlich auch keine Lust mehr, das Buch zu empfehlen, obwohl es im Kern sicher gut gemeint ist, und, wie oben erwähnt, auch die eine oder andere nützliche Information und ein paar hilfreiche Hinweise enthält.
Ja, schade.
NH