Freitag, 31. Juli 2015

Das Lied der dicken Hexe


Seien wir ehrlich - bis jetzt war es ein echtes Scheißjahr. 

So scheiße, tatsächlich, dass mir plötzlich ganz dringend nach Räucherstäbchen zumute war. Meine Therapeutin rät mir schließlich auch immer an, "es mir schön zu machen" - Kerzen anzuzünden, noch einen Milchkaffee aufzusetzen und ein Fußbad zu machen. Oder so. Jedenfalls dachte ich, es kann ja nicht schaden, nach etlichen Jahren mal wieder meinem einstigen Lieblingsesoterikkaufhaus Wrage im hamburger Uni-Viertel einen Besuch abzustatten. Das war äußerst gerissen und höchst verschlagene Selbstüberlistung, denn eigentlich hätte ich natürlich genau wissen müssen, dass ich aus der Sache nicht nur mit etwas Rauchwerk herauskomme. Man könnte auch einfach und durchaus zutreffend konstatieren, dass die Verzweifelten (also ich) halt grundsätzlich und schon immer leichte Beute für die Wellness- und Esoterik-Industrie sind. Wo die wahre Welt sich nur noch querstellt, muss irgendetwas Überirdisches aushelfen, weil es sonst eben keiner tut. 

Aber natürlich habe ich auch einfach seit jeher eine große Freude am Übersinnlichen. Als ich ganz klein war, wollte ich noch eine Prinzessin sein. Spätestens mit dem Schuleintritt und der Lektüre der "Kleinen Hexe" sah ich meine zukünftige Laufbahn ganz klar als weise Frau mit Rabe und Katze im Wald. Streng genommen, hat sich daran bis heute nichts geändert. Streng genommen, könnte man vermutlich sogar sagen, mir fehlt nur noch der Rabe. Allerdings auch der Glaube. Naja, und Weisheit womöglich zudem.

Während ich als Kind plante, nach der Schule am damals noch existierenden landesweit einzigen Lehrstuhl für Parapsychologie zu studieren (dummerweise hat Professor Bender mein Abitur nicht überlebt), mit Anfang zwanzig denkbar verbissen positives Denken praktizierte und mir mit bis Anfang dreißig einen erheblichen Wissens- und Erfahrungsschatz im Bereich Hexerei und Voodoo erarbeitet hatte, so war ich doch auch stets skeptisch. Und am Ende gewann die Skepsis immer. Natürlich auch deshalb, weil die Ergebnisse schlicht nicht zufriedenstellend waren. Übrigens, sollte irgendjemand Angst vor Flüchen, Verwünschung oder schwarzer Magie haben, so kann ich ihn komplett beruhigen. Wenn es möglich wäre, anderen mit Zauberei zu schaden, wäre meine Shit-List zum Jahresende vermutlich leer gewesen, da mit dämonischer Hilfestellung bereits handfest erledigt...(nein, ich bin wirklich nicht besonders nett).

Obwohl ich meine einst ausgesprochen umfangreiche Selbsthilfe- und Esoterikbibliothek (die beiden Gebiete überlappen ja gern) inzwischen sehr stark ausgedünnt habe, gab es natürlich trotzdem einige besonders eindrucksvolle Perlen der Unvernunft, die ich behalten habe. So bin ich noch immer im Besitz von "Der kosmische Bestellservice" von Bärbel Mohr, sowie dem Nachfolgewerk "Reklamationen beim Universum", in dem die Autorin darlegt, warum es mit den Bestellungen beim Universum so oft einfach nicht klappen will. Die höchst frustrierende Erklärung war übrigens, dass man für das, was man beim Universum bestellt, nicht wirklich dringenden Bedarf haben darf, damit das Ganze auch was wird...den berühmten Parkplatz sollte man also niemals gerade dann bestellen, wenn man vorhat, irgendwohin zu fahren. Potzblitz, da schlägt man sich doch erleichtert an die Stirn - da hätte man schließlich wirklich selbst drauf kommen können...

Ich bin mir sicher, ich habe die beiden grotesken Bändchen damals ebenfalls bei Wrage erworben. Und ausgerechnet heute, über 12 Jahre danach, habe ich zum ersten Mal den beim Universum vorbestellten Parkplatz an der Uni auch bekommen. Das Universum hat halt einfach unverschämte Lieferzeiten. Aber wenn ich lange genug lebe, kommt vermutlich irgendwann der Oscar für Regie auch noch an.

Als ich in das Geschäft trat, ging es mir gleich ein wenig besser. Es roch ganz genauso süßlich-muffig, wie vor Jahren (so ziemlich alles, was man dort kauft, riecht dann auch so), und der Laden ist nach wie vor vollgestopft mit hübschen Postkarten, Notizbüchern (viel mehr brauche ich bekanntlich nicht, um gleich etwas fröhlicher zu sein), Glücksbringern, Kristallen, spirituellem Nippes und bunten, von hinten angeleuchteten Aura-Soma-Fläschchen. Die Tarot- und Hexenabteilungen sind nicht mehr so umfangreich, wie ich sie in Erinnerung hatte - dafür sind offenbar Engel der letzte Schrei. Die Autorin Alexandra Strüven lässt uns in einer Leseprobe zum bald erscheinenden Buch "Lass uns über Engel sprechen" sogleich wissen: "Ob ich im Café sitze oder im ICE, die Engel sind immer bei mir." Ich weiß ja nicht, ob ich so etwas herumerzählen würde...während Kinder, die imaginäre Freunde haben, laut Studien kreativer und neugieriger sind als solche ohne, bin ich ich mir ziemlich sicher, dass das für Menschen mit zweistelligem Alter nicht mehr gilt. In den umfangreichen Aufstellern mit Broschüren und Seminar-Angeboten bin ich dann mit dem Instinkt eines nörgeligen Bluthundes auf noch ein besonders perfides Beratungsjuwel gestoßen: "Intelligent(,) gesund, schlank, erfolgreich & glücklich durch Beratung & Energie..." Der Hochglanzflyer in Gold und Weiß bewarb mit haarsträubender Rechtschreibung und Verworrenheit die Dienste einer Heilerin, unter deren Bild ernsthaft "Hamburg - New York" stand, so als sei sie eine Schuhmarke. Make no mistake - hier geht es um Geld, Geld und noch mehr Geld. Und die Frau Fock, die offenbar auch schon mal in New York war, hilft gegen Geld auch gern bei etwaigen Krebserkrankungen...

Wie dem auch sei...der Esoterikmarkt ist wie ein Kasino - man kann sich ein wenig treiben lassen, umsehen, kurz und überschaubar amüsieren oder ablenken lassen und dann wieder gehen. Oder man hat Pech, ist anfällig, den Profiteuren ausgeliefert und lässt sich psychisch, gesundheitlich und/oder finanziell ruinieren. 

Ich hab' dann, überwältigt von Nostalgie und Wiedersehensfreude, ebenfalls lauter Geld ausgegeben, dass ich nicht habe. Hauptsächlich allerdings für Postkarten, Notizbücher und die besagten Räucherstäbchen. Aber eben auch für neue Kartendecks, weil mir die Motive so gefielen und es doch Spaß macht, sich hin und wieder unverbindlich und augenzwinkernd in die Zukunft zu schauen (und im Universum verschollene Bestellungen zu tracken), sowie für ein paar Ausgaben aus der Reihe "Das kleine Übungsheft". Das Allererste, was übrigens in meinem Einkaufskorb gelandet ist, war ein Hörbuch fürs Auto: "E²" von Pam Grout. Die liefert hier angeblich "Neun Beweise zum Selbsttesten", dass wir unsere Realität höchstpersönlich und gedanklich erschaffen, etwas, was ich ja bekanntlich gern bestreite. Laut Klappentext ist es "ein Muss, für jeden, der nur glaubt, was er sieht." Ha, das werden wir dann schon sehen! Zumindest ist der Text bisher knackig und kurzweilig, und der Sprecherin Susanne Aernecke kann man ganz gut zuhören.

An der Kasse lagen dann, man mag es kaum glauben, Blöcke mit Bestellformularen ans Universum. Da war der Absurditätsfaktor so groß, dass ich allein zu Beweiszwecken einen mitnehmen musste. Obendrein hab' ich dann jedoch auch gleich schon mal neu damit begonnen, meine Realität zu erschaffen.




Zu guter Letzt habe ich sogar noch eine Flasche Wolke 7 Energetikspray erworben. Das riecht gut und reinigt die "Chakren im Bereich der Aura". Wie gesagt, es war ein Scheißjahr. Wenn gar nichts mehr hilft, kann es vermutlich zumindest nicht schaden, die Aura mal ein wenig vom Dreck zu befreien. 



NH