Donnerstag, 31. Mai 2012

Die Straße zur Hölle...

...ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert.

Neunzehn VOGUE Chefredakteurinnen (die in der deutschen VOGUE ja noch immer „Chefredakteure“ sind) haben im Rahmen ihrer neu gegründeten und äußerst originell betitelten Health Initiative in ihren Juni-Ausgaben eine Selbstverpflichtungserklärung veröffentlicht. Diese umfasst sechs Punkte und befasst sich in der Hauptsache NICHT mit dem, was die welt- und internetweit offenbar gängigste Lesart impliziert, nämlich dass VOGUE sich von der Darstellung übermäßig magerer Models verabschieden wird, um in Zukunft ein gesundes Körperbild zu transportieren. Diese Interpretation ist ganz offensichtlich das Resultat kollektiven Wunschdenkens, denn davon steht in dem Textchen so gut wie nichts.

Abgesehen davon, wie schlecht und ungenau die deutsche Übersetzung ist, und dadurch (mit Absicht?) NOCH sinn-kärger und weniger überzeugend, lässt sich im Prinzip die folgende Hauptsorge der Verfasserinnen herausfiltern: Models sollten nicht jünger sein als 16 Jahre. Dass sie ab sofort ein gewisses Gewicht nicht unterschreiten dürfen, steht hingegen nirgends. Überraschend? Nein. Wovon träumt ihr denn des nachts? ; )

Bereits die deutsche Einleitung zur Erklärung verblüfft mit einem Ablenkungsmanöver, das ebenso abenteuerlich wie ärgerlich ist: „Ist ein dünner oder dicker Körper an sich noch kein Zeichen für mangelnde Gesundheit, so stellen Magersucht, Bulimie und Fettleibigkeit ernstzunehmende, ja lebensbedrohliche Krankheiten dar.“  Zunächst einmal  lohnt sich hier vielleicht der Hinweis, dass „Fettleibigkeit“, anders als Magersucht und Bulimie, keine Krankheit ist, sondern vielmehr  eine Zustandsbeschreibung. Darüber hinaus dürfte jedem klar sein, dass VOGUE zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in dem Verdacht gestanden haben kann,  Fettleibigkeit zu glorifizieren und damit Millionen von Frauen mit jedem neuen Heft  weiter in diese zu treiben.* Der Hinweis auf „Fettleibigkeit“ dient hier zu Verwässerung dessen, was trotzdem für jeden klar und sichtbar Sache ist: Das durch VOGUE bisher kolportierte, unrealistische und DÜNNE Schönheitsideal trägt dazu bei, dass Frauen sich in ihren echten Körpern unwohl und in der Mehrzahl zu dick fühlen. Was in der Tat zu Essstörungen führen kann. Aber VOGUE möchte weiter magere Körper zeigen, weil  die nicht unbedingt ungesund sind und möchte lieber keine allzu dicken Körper zeigen, weil Fettleibigkeit ungesund sein kann. Das ist der Stoff aus dem der Erhalt des Status Quo ist.

Die halbherzigen, vagen Programmpunkte der Health Initiative geben ohnedies nicht viel Anlass zur Hoffnung auf substantielle Veränderungen. Zwar haben der Anna, der Alexandra, der Christiane und all die anderen Jungs sich Grundsätze an die Beine gebunden, bei deren Unterzeichnung ihre Händchen möglichweise gezittert haben mögen, die aber weiter von echten Vorstößen entfernt sind, als Madonna vom Oscar für die beste Hauptdarstellerin.

Also:

1. VOGUE will in Zukunft nicht „wissentlich“ mit Models arbeiten, die unter 16 oder essgestört sind. Man will stattdessen Models auswählen, die „gesund erscheinen“. Als naive Leserin hätte man vielleicht vermutet, dass es sich hier um Selbstverständlichkeiten handelt.  Obendrein stört man sich womöglich auch noch an der Schwammigkeit von „wissentlich“ und „gesund erscheinen“, aber es sind nicht ethische Bedenken und  spießige Erbsenzählerei, die einen auf einen VOGUE –Chefredakteurinnensessel befördern, daaaling.

2. Agenturen werden aufgerufen, das Alter von Models zu überprüfen. Damit die nicht etwa zu jung sind. Denn das ist ja bekanntlich das allerallerallergrößte Problem, das die Modeindustrie hat. Um diesem Übel nun gleich entschlossen etwas entgegenzusetzen, ziert das deutsche Cover im Juni auch keine dicke, sondern eine echt alte Frau: Carolyn Murphy (38).

3. Im Rahmen eines Mentoren- Programmes sollen ältere, erfahrene Models  jüngere beraten und unterstützen. Mit der Council of Fashion Designers of America Health Initiative als Vorbild, soll Gesundheitsaufklärung betrieben werden. Und wieder: Kein Wort über Essstörungen oder die Gefahren von radikalen Diäten und Untergewicht. Über die vermittelten Inhalte und die im Zuge des Mentorings bereitgestellten Informationen kann man nur spekulieren. Was für Tipps wird eine junge Frau einer noch jüngeren geben können, wenn ihre eigene Karriere typischerweise  erst begann, nachdem sie selbst, in der Regel  auf Anordnung ihrer Agentur, erst einmal ordentlich abspecken musste? Obwohl sie bereits schlank und noch gesund war?

4. Models sollen hinter den Kulissen (Fashionshows, Fotostudio) etwas Gesundes zu essen kriegen (das steht im deutschen Programm übrigens schon gar nicht mehr drin), sollen ein bisschen Privatsphäre haben und außerdem nicht zu lange arbeiten müssen – was immer das nun wieder bedeuten mag. Aber vielleicht steht man einen längeren Arbeitstag mit etwas mehr im Magen als Zigarettenrauch und Eiswasser ja auch besser durch.

5. Designer sollen ermutigt werden, die Mustergrößen nicht ganz so klein zu machen, denn sonst ist die Redaktion ja praktisch gezwungen, magere Models zu buchen. Jahaa…und wir dachten immer, der Teufel,  also die Anna, sagt den Designern, wo es lang geht. Stellt sich doch nun heraus, sie muss das nehmen, was sie kriegt.

6. „We will be ambassadors for the message of healthy body image.“  Das glauben wir dann, wenn unter dem Foto eines Models in Größe 40 nicht mehr der erklärende Hinweis “Plus-size” steht.

Wird die Health Initiative etwas Positives für die Akzeptanz von Dicken bewirken? Vermutlich nicht. Ist sie eine Alibireaktion auf wachsenden öffentlichen Druck mit der Absicht, „noch Schlimmeres“ zu verhindern (z.B. die weitergehende Verabschiedung bindender gesetzlicher Vorgaben – zuletzt hat Israel im März ein Gesetz erlassen, dass vorschreibt, dass ein Model mit einem BMI unter 18,5 nicht für Werbeaufnahmen gebucht werden kann, wenn die Kampagne in Israel gezeigt werden soll)? Vielleicht. Oder geht es hier um Publicity? Das sowieso.

P.S.: Wie es sich mit den Models in der in der VOGUE geschalteten Werbung verhält, und ob hier die oben genannten Grundsätze auch greifen sollen, wäre eine Frage wert. Fast ahnt man allerdings die Antwort.


*Wenn man mal von der Gewichtszunahme durch den Jojo-Effekt nach Diäten absieht.

NH