Haben sie natürlich doch. Ziemlich viele hat so eine Kammmuschel sogar am
Mantelrand. Damit erkennt sie beim Schwimmen nicht nur hell und dunkel, sondern
offenbar noch mehr. Ich persönlich wünschte ja, ich hätte wenigstens so viel
Klarheit über mein Leben, wie eine Kammmuschel.
Denn ich renne ja immer offenen Auges hinein. Und ich laufe pausenlos blind
drauflos. Oder mir beschlägt die Sonnenbrille, hinter der ich mich verstecken
wollte. Dann nehme ich sie womöglich ab und lasse mich blenden.
Esse est percipi**(?)
Wenn ein Baum im Wald umfiele, und weder Mensch noch Eichhörnchen anwesend
wären, um es zu hören, würde der Baum dann ein Geräusch machen? Gute alte
Frage, nächste Frage: Und gibt es den Baum überhaupt, wenn ihn niemand, aber auch wirklich niemand
wahrnimmt? Und wenn ich allein zu Haus vorm Bücherregal stehe und mich am
Hintern kratze, existiere ich dann nur teilweise, weil ich mich selbst ja auch
niemals ganz wahrnehmen kann? Dann kommt vielleicht der Kater herein, und
schwupp - existiert auch wieder das, was er so zusätzlich sieht, hört und
riecht?
Das, was andere Menschen von mir mitbekommen, sind selbstverständlich auch
immer nur Eindrücke durchs Schlüsselloch. Trotzdem bauen sie damit ihre eigenen
Geschichten. So wie wir das alle tun. Und wenn ich nicht aufpasse, erfinde ich
Geschichten, die sie über mich erfunden haben
könnten. Wie viel haben sie gesehen? Und was haben sie daraus
gemacht? Ein paar wahre Prämissen ergeben bekanntlich noch lange keine wahre
Schlussfolgerung: (a) Nicola ist eine schlechte Tänzerin. (b) Alle Tänzerinnen
sind Menschen. (c) Also ist Nicola ist ein schlechter Mensch.
Erfolgreiche Selbstakzeptanz macht es jedoch notwendig, sich gedanklich von
dieser fremden sowie der eigenen sorgenvollen Geschichtsschreibung zu lösen. Was
kümmern mich die Bücher in den Köpfen anderer? Ich werde sterben und habe
keine Zeit für peinliches Berührtsein. Ich habe begonnen, wieder Eiswaffeln auf
öffentlichen Straßen vor mir herzutragen. Und das ist nur der Anfang. ; )
Was bin ich?
Ein ungelobtes Kind. Eine dicke Dame. Ein verhuschtes Mauerblümchen. Eine
Zicke erster Güte. Eine Perfektionistin, die ständig scheitert. Eine
hilfsbereite Nachbarin... Und weiß der Geier, was noch alles. Auf jeden Fall sind
es mir eindeutig zu viele. Alles viel zu voll hier. Kriegt man schon wieder
keinen Parkplatz.
Wie wäre es wohl, wenn man in jeder Situation mit mehr
Selbstverständlichkeit man selbst bleiben und seinen Kopf behalten könnte? Und
nicht dauernd die Maske wechseln müsste, weil man sich selbst obendrein so
viele Rollen ins eigene Drehbuch schreibt? Hatte ich bereits erwähnt, dass ich
im Zuge persönlicher, dicker Neuerfindung gern ein solider umrissenes
Selbstbild erreichen würde? Wenn ich an mich und mein Leben denke, wünsche ich
mir einen unverstellten Ausblick auf das, womit ich arbeiten kann und weniger
Fransen am Rand. Wenn ich in Spiegel gucke, will ich mich nicht immer wieder
fragen müssen, wen ich wohl heute vor mir habe, und warum die sich jetzt schon
wieder so oder so verhält. Meiner Erfahrung nach passiert die Verfransung mit
steigendem Bedürfnis, sich den angenommenen Erwartungen anderer in bestimmten
Situationen anzupassen. Und nicht die eigenen Regeln aufzustellen. Kurzum: Ich
würde endlich gern mehr in meiner runden Mitte ruhen, und sie besser verteidigen - und das eben nicht nur
im Hinblick auf Fett.
Die Tatsache, dass Muscheln über Augen im weitesten Sinne verfügen, macht
sie übrigens zu tödlichen Fallen. Wenn sich die Lichtverhältnisse stark
verändern, schließt sich eine Riesenmuschel zum Schutz vor Angreifern – und das
mit ziemlicher Kraft. Der Legende nach soll dieses schon so manchem Perlentaucher
zum Verhängnis geworden sein, weil sie seine Hand nicht mehr los ließ…
Eigentlich natürlich eine prima Vagina Dentata - ich frage mich, ob es wohl Horrorfilme
mit Muscheln in der Hauptrolle gibt…
*...verschwurbelte Sätze, hm?! Fang du mir an
zu bloggen...
**George
Berkeley (To be is to be perceived)
NH