Freitag, 28. August 2015

Back to School Special

Another day, another drama...

(Britney Spears)

Kipperkarten zum Wahrsagen - Ausgabe von Regula E. Fiechter und Urban Trösch


Ich schlurfe seit geraumer Zeit durch mein Leben und habe das dringende Gefühl, dass es Zeit ist, etwas abzuschließen. Ich weiß zwar nicht was das „etwas“ wirklich ist, existiere aber in der Atmosphäre einer auslaufenden Lebensphase – ein wenig diffuse Erleichterung, ein wenig Desorientierung, eine stark verwackelte Aussicht auf Transformation. Etwas mehr Desorientierung als alles andere, vermutlich.

Fettakzeptanz. Been there, done that.*

Beim Durchgehen meiner Sprachmemos habe ich folgende Nachricht vom 24. April an mich selbst gefunden: "Das Blog hilft mir nicht mehr." Das stimmt übrigens immer wieder mal. Vielleicht sogar öfter als nicht. Ich habe aus meinen Zweifeln und meiner Frustration eigentlich nie ein Geheimnis gemacht. Die Tatsache, dass sich Fettaktivismus auf Deutsch nicht realistisch etablieren und ausweiten lässt und dass er sich weitgehend darin erschöpft, sich in Community-Schutzräumen zusammen zu tun und sich „trotzdem hübsch“ anzuziehen – all das lässt mich pausenlos an meinen Nägeln kauen, mit den Zähnen knirschen und mir meine Haare raufen.

Darüber hinaus stößt frau wieder und wieder auf das Phänomen, dass die Gemeinschaften und Foren von Dicken erstaunlich unzugängliche, ja geradezu elitäre und obendrein von Konkurrenz geprägte Strukturen haben können. Das mag natürlich auch auf das übergroße Bedürfnis zurückzuführen sein, sich zu schützen. Vor schlechten Gefühlen. Vor Negativität. Aber eben auch vor der Wahrheit über das Dicksein in unserer Gesellschaft. Leah hat mehrere Beiträge über dieses Thema und ihre gelegentlich aufflammende Enttäuschung darüber geschrieben. Sie und ich haben im Internet mithin ähnliche Beobachtungen gemacht. Wie startet man z.B. ein so richtig erfolgreiches „Fettakzeptanz-Blog“? 1. Sei nicht zu dick. 2. Lächeln, lächeln, lächeln.

Obwohl ich für mich selbst riesige Schritte in Richtung Selbstakzeptanz gemacht habe, und ich mein Blog tatsächlich für richtig und manchmal auch richtig wichtig halte, komme ich doch in beiden Disziplinen an Grenzen, die mich nun immer öfter anhalten lassen. Und dann sehe ich mich um – nach neuen Wegen. Wie setze ich in Zukunft die Reise zu dicker Akzeptanz für mich selbst fort? Und wie viel Energie kann ich zukünftig investieren, um andere ebenfalls aufzuwiegeln, sich auch auf die Reise zu machen? Wie wichtig kann es mir weiterhin sein, andere trotz ihres offenkundig nur zögerlichen oder ambivalenten Interesses irgendwie doch in den fahrenden Zug zu zerren? Denn so fühlt es sich mitunter an, wenn man sich pausenlos quasi in Vertretung für andere echauffiert. Und das ist etwas, was ich nicht nur im Hinblick auf Fettakzeptanz tue. Mir antue. Damit ist jetzt erst einmal Schluss. 

Und garantiert nie wieder werde ich meine Nase in ein Weight Watchers Magazin stecken, nur um noch mehr über Fettphobie zu begreifen. Obwohl ich sagen muss, dass mir schleierhaft ist, wie weite Teile der Leserinnenschaft diese Art von Lektüre, die im Hinblick auf weiblichen Selbsthass jede konventionelle Frauenzeitschrift weit in den Schatten stellt, offenbar regelmäßig überstehen, ohne sich die Pulsadern aufzuschneiden. Wie man wiederholt derartige sektengesteuerte Attacken auf das eigene Selbstwertgefühl aushält, ist mir ein Rätsel...

Aber wo war ich eigentlich gerade?

Ach, ja...ich muss meine Zuständigkeiten klären. Und ab jetzt bin ich radikal für mich selbst zuständig. Und wenn es in diesem Blog natürlich auch jetzt schon meistens irgendwie um mich geht, dann wird es in Zukunft sogar so sein:

I’m sorry if that sounds selfish, but it’s ME, ME, ME! 
(Jennifer Saunders, Absolutely Fabulous)
 Der Stand:
  • Ich bin 43 Jahre alt.
  • Ich bin Single. Das ist nicht das, was ich mir wünsche.
  • Beruflich und finanziell befinde ich mich in einem desorientierten und eigentlich auch ziemlich desolaten Zustand.
  • Gesundheitlich arbeite ich daran, einen erhöhten Zuckerwert unter Kontrolle zu bringen. Außerdem fühle ich mich bei Weitem nicht so stark und körperlich fit, wie ich gern wäre.
  • Und was ich trotz aller Fortschritte auf meinem Weg zu dicker Selbstakzeptanz an meinem Körper wirklich gern ändern würde, das sind die ballonartigen, omahaften Wasserfüße, die ich am Abend habe. Da! Ich hab’s gesagt! Diese Füße vertragen sich auch heute einfach nicht mit meinem Selbstbild. Und schon gar nicht mit dem, was von meiner Schuhsammlung übrig ist.
  • Ich hätte wirklich gern mehr Spaß im Leben.

Zunächst einmal werde ich wohl das UGLY GIRL PROJECT abschließen. Da braucht es nun noch ein Finale. Und dann leere ich die Hälfte der Bilderrahmen, die hier in meinem Zuhause herumstehen, und mache Platz für zukünftige Erinnerungen. (In den meisten Rahmen steckt übrigens meine Mutter.) Dann werde ich (u.U. zeitgleich) beginnen, zu trainieren und zu vloggen. In den kommenden Monaten lese ich nur noch Krimis und National Geographic. Womöglich buche ich mir zwischendurch auch noch einige Coaching-Termine mit ein paar Pinguinen. Und dann sehen wir mal weiter.

*Kenn' ich alles schon. / Erledigt.


NH


Freitag, 21. August 2015

Ausgelesen: Das kleine Übungsheft - Frieden schließen mit dem eigenen Körper

Die "Kleinen Übungshefte" aus dem Trinity Verlag haben eine hübsche Aufmachung, und man braucht vielleicht eine halbe Stunde, um sie zu lesen.

Und im Falle des o.g. Übungsheftes von Anne Marrez & Maggie Oda ist das auch wirklich das Äußerste, was man an Zeit investieren sollte. Die Broschüre sieht so klein und unschuldig aus - und ist doch ein echt fieses Terrorwerk. Eine der Autorinnen ist übrigens im Diätgeschäft...

Um es kurz zu machen: Die 62 Seiten enthalten mindestens fünfmal das Wort "Makel" und viermal das Wort "Mangel". Diese hat frau nun einmal, soll sie aber nicht so tragisch nehmen.

Das heißt, Schönheit als im Grunde objektiver und ziemlich klar definierter Wert wird hier überhaupt nicht herausgefordert. Es geht nur darum, dass man sich nicht von der eigenen Hässlichkeit (den naturgegebenen "Makeln") komplett runterziehen lässt. Wobei man am eigenen negativen Körperbild ohnehin selbst Schuld ist: "der (...) Schönheitskult (...) entsteht (...) in erster Linie in Ihrem Kopf." Na dann.

Die automatische Verbindung von Dicksein und Hässlichkeit taucht erstaunlich konsequent auf. Denn viele Frauen fühlen sich "dick und hässlich" (S. 5) und "zu hässlich, zu dick" (S. 28). Sie denken, ihr "fetter Bauch steht raus" (S.38), oder "Ich bin hässlich, ich bin fett" (S.34), und das, OBWOHL sie "in Wirklichkeit ein gesundes Gewicht" haben (S.11). Auf Seite 6 ist sie dann auch abgebildet - die dünne Frau, die ja eigentlich gar nicht hässlich ist, aber sich selbst im Spiegel als dicke, und im Gesicht zusätzlich wirklich ungünstig aufgedunsene Frau sieht.

Damit wird ziemlich schnell klar, dass sich dieses giftige Heftchen mit seinen biederen, flachen Übungen für Selbstakzeptanz offenbar in der Hauptsache an Frauen wendet, die sich "fett und hässlich" fühlen, und ganz klar nicht an solche, die fett (und damit offenbar in den Augen der Autorinnen unübertroffen hässlich) sind.

Fett ist, wie immer, auch hier das Allerallerallerschlimmste. So schlimm, dass man echtes Dicksein auch nicht so wie die anderen möglichen "Makel" mithilfe von Atemübungen und durch Lächeln (kein Witz, S. 58) wegakzeptieren kann. Stattdessen wird den Leserinnen auch hier nahegelegt, sich nicht abzukapseln und zu essen (S. 50), denn das "gefährdet Ihre Gesundheit." Statt "zu viel zu essen", sollte man lieber "Sport treiben" (S. 51).

Wenn Ratgeber zur Akzeptanz des eigenen Körpers vollgestopft sind mit Fettphobie und Abweichungen von Normschönheit tatsächlich durchgängig als "Mangel" identifizieren, wird es echt eng. Dummerweise ist dieser bekanntlich nicht der erste seiner Art, der uns hier unter die Augen kommt. Was bitte soll das sein? Eine besonders perfide, subversive Form der fortgesetzten Demoralisierung von ohnehin bereits angeschlagenen Frauengemütern?

FUCK 'EM! Ernsthaft.

NH 

Dienstag, 18. August 2015

Ausgelesen: "Such a Pretty Face", 1980

Von meinem ersten bis zum zwölften Schuljahr hatte ich immer ganz besondere Pläne für die Sommerferien. Und im Prinzip sind sie bis heute in mir verankert, wie ein uralter, knorriger, verwurzelter Traum. Er handelt von Transformation und plötzlicher, alles überstrahlender und vor allem öffentlicher Großartigkeit. Kurz gesagt: Ich hatte immer den Plan, in den den sechs freien Wochen endlich dünn zu werden. Ich rechnete mir vorher aus, wie viel ich unter Umständen abnehmen könnte, wenn ich mich wirklich anstrengen, quälen und unablässig hungern und turnen würde. Und ich hatte die Absicht, es bei meiner Rückkehr in die Schule allen so richtig zu zeigen...

Das, was mich an "Such a Pretty Face - Being Fat in America" von Marcia Millman, das bereits 1980 erschienen ist, ganz besonders berührt und mitgenommen hat, sind zwei Dinge: 1. Das zehnte und letzte Kapitel (dazu komme ich gleich noch ausführlicher)*. 2. Die Tatsache, dass das Buch sowie die darin enthaltenen Schilderungen der Lebensumstände und Lebensgefühle dicker Frauen 35 Jahre alt sind. Und dass man das gleiche Buch heute noch einmal ganz genauso schreiben müsste. Die Ängste, die Scham, der Selbsthass, die Bevormundung, die erfahrenen Schuldzuweisungen und Herabsetzungen, die verlogene Drohung, dass Dicke ihre Gesundheit ruinieren, indem sie so sind, wie sie sind. Das Absprechen von Weiblichkeit und Attraktivität. Gesellschaftliches Außenseiterinnentum. Das war alles schon vor mir da, es war alles zutreffend in meinem Leben, und es prägt nachweislich weiterhin die Leben von (dicken) Frauen und Mädchen, die sehr, sehr viel jünger sind als ich. Es hat sich nichts verändert. Wenn überhaupt, hat sich das Klima noch verschäft. Tatsächlich ist mir eben aufgefallen, dass ich vor nicht allzu langer Zeit das Gleiche über ein anderes Buch zu dem Thema festgestellt habe (Shadow on a Tighrope, 1983). Dass sich für Dicke und gegen ihre Diskriminierung in drei Jahrzehnten wenig getan hat, ist und bleibt halt zutiefst deprimierend. Und es wirft eine (mich) im Hinblick auf mein kleines Blog immer wieder umtreibende Frage auf: Bringt das hier eigentlich was? Aber auch das erzähle ich natürlich nicht zum ersten Mal.

Millmans Buch basiert auf Interviews mit dicken Frauen und spiegelt auf verstörend-faszinierende Weise die Muster, die sich vermutlich durch die Mehrzahl dicker, weiblicher Leben ziehen. Es ist mithin eins der besten Bücher, die ich zur Analyse der durch gesellschaftliche Herabwürdigung gebeutelten Innenwelten von dicken Frauen gelesen habe. Das Buch sei trotz seines Alters ausdrücklich jedem empfohlen, der sich mit dem Thema beschäftigt. Es liefert ein breites und gut ausgeleuchtetes Bild ihrer Selbstwahrnehmung, ihrer Strategien zur Unsichtbarwerdung, sowie ihrer ambivalenten Überlebenstechniken. Und es findet sich alles wieder, was wir so gut kennen: Die ersten Diäten werden bereits im Kindesalter gemacht und setzen eine aufsteigende Gewichtsspirale in Gang. Familienmitglieder sind die, die am grausamsten mit dicken Kindern umgehen. Aus Scham und zum Teil selbst gewählter Isolation werden Berufswünsche nicht erfüllt, Ärzte nicht aufgesucht, große und kleine Lebensziele nicht verwirklicht. Dicke Mädchen/Frauen haben aber auch objektiv weniger Chancen, bzw. müssen härter für Erfolge arbeiten, weil man sie für faul, langsam, dumm aber auch für rebellisch und deviant hält.

Bei der Partnersuche haben Dicke es schwerer als normgewichtige Frauen. Dicksein galt auch 1980 als hässlich und unweiblich. Dicke Frauen geraten und gerieten leicht in den Verdacht der "Vermannweiblichung", und das zog bereits vor 35 Jahren eine schnelle Einordnung als Feministin nach sich. Und, oh wie sich die Bilder gleichen, das war auch 1980 bei weiten Teilen der männlichen Bevölkerung kein weibliches Qualitätsmerkmal. Millmans Schlussfolgerung aus den geführten Gesprächen, dass dicke Frauen von weiten Teilen ihrer Umwelt in der Hauptsache als asexuell oder aber als sexuell besonders leicht zu haben, gierig, bedürftig, freakish, und belastbar betrachtet werden, erscheint mir einleuchtend und sicherlich auch noch immer zutreffend. Dicke Frauen attraktiv zu finden, finden noch immer nicht alle komplett "normal", bzw. halten es für einen Fetish / eine Perversion. Die Tatsache, dass sich dicke Frauen insbesondere nicht gern in letztere Rolle drängen lassen, ist einer der Gründe, die bei vielen zu einer gedanklichen und emotionalen Abkopplung vom Körper ("disembodiment") führen.

Nicht nur die Umwelt redet vom sprichwörtlichen "hübschen Gesicht" der Dicken, welches als Ausgleich zum hässlichen Körper herhalten muss, sondern dicke Frauen nehmen sich selbst auch oft nur noch vom Hals aufwärts (Gesicht und Verstand) bewusst wahr, bzw. definieren sich ausschließlich über ihren Kopf: "The alienated body may not only be viewed as a serious handicap that spoils the accomplishments of the face and head or that defies control by the person. It may be experienced as an enemy that is capable of destroying the self."** (S. 199/200)

Der Körper als Feind, der das "hübsche Gesicht" und den hellen Verstand zurückhält - welche Dicke kennt diese Assoziation nicht? Ich bitte um Handzeichen. Sie wurde Generationen von Dicken von außen angetragen, verinnerlicht und so vermutlich den meisten von ihnen zum Lebensprogramm. Und dieses Programm ist gekennzeichnet durch eine handvoll widerstreitender Elemente: Selbsthass und Aufschieben, aber gleichzeitig ebenfalls die Hoffnung auf und Vermutung von persönlicher Großartigkeit, die nur auf ihre Freisetzung wartet. Diese Freisetzung erfolgt durch die Beseitigung des Fettes. Wenn das Fett geht, beginnt das wahre und obendrein großartige Leben. Die Beseitigung des Fettes hat man selbst in der Hand. Die dicke Frau ist quasi ihre eigene gute Fee. Das haben ihr die Welt und am Ende sie sich selbst in Endlosschleife eingeredet. Sie entscheidet höchstpersönlich, wann das große Wunder passiert. Und was für ein Wunder es werden wird...

Denn das Gesicht ist schließlich so hübsch und der Kopf so clever, weil man immer wenig auf Parties war und dafür mehr gelesen hat. Und das Wesen wurde durch die erlebte Härte des Lebens so freundlich und sozial... Man selbst hält es als Dicke am Ende mitunter nur für fair, dass die dünne Zukunft von all diesen hervorragenden Qualitäten extra hell angestrahlt wird. Nicht nur die Erwartungen an die Reaktionen der Umwelt, sondern auch die, die an ein dünnes Ich, das sich aus seinem Fett "hervorkämpfen" muss (in jeder dicken Person steckt bekanntlich eine dünne, die versucht, zum Vorschein zu kommen) gestellt werden, sind oftmals so überhöht, dass Diäten laut Millman auch deshalb zumeist abgebrochen werden, bevor das Zielgewicht erreicht ist, weil sich eine derartige Großartigkeit gar nicht einstellen kann. Wer abnimmt, findet oft heraus, dass die formidable Vorher-Nachher-Wiedergeburtsphantasie eine regelrechte Lüge war. Wer dünn wird, wird nicht automatisch wunderbar. Er wird halt wie viele andere Dünne auch. Und bei denen ist schließlich häufig gar nicht alles supertoll. Und die sind auch nicht alle brilliant. Und bloß weil man als dicke Frau viele Verletzungen und Enttäuschungen hinnehmen musste, wird man vom Leben nicht mit extra viel Glanz und Glück entschädigt, wenn man es schafft abzunehmen. Diese Erkenntnis kann auch bei erfolgreichen Diätlerinnen zu erheblicher Ernüchterung führen. Einige finden sich in einem dünnen aber trotzdem noch immer unerwartet schwierigen Leben schlechter zurecht als vorher. Und wünschen sich die phantasieumnebelte Existenz, in der sie wenigstens was essen durften, zurück.

Als Schlussfolgerung rief Millman dann bereits 1980 dazu auf, das Leben im JETZT und im aktuellen Körper endlich in die Hand zu nehmen und nach besten Kräften zu gestalten - gegen alle Widerstände, mit denen Dicke regelmäßig zu kämpfen haben.

*Der Titel des zehnten Kapitels lautet: "Before and After: Living a Postponed Life"*** (S. 208), und die darin enthaltene Beschreibung des Konzeptes des "aufgeschobenen Lebens", das Dicke oft führen ("Wenn ich erst einmal dünn bin...") ist mir natürlich nicht neu, aber bei Millman besonders eindringlich. Der dicke Körper (Gegenwart), der fein säuberlich getrennt von Gesicht und Verstand (Zukunft) als Gegner eben jener Zukunft bekämpft wird, wird auch entsprechend schlecht behandelt. Schlucken musste ich persönlich bei der Beobachtung, dass viele dicke Frauen über keinen guten Wintermantel verfügten, weil sie erst Geld dafür investieren wollten, wenn sie abgenommen hätten.

Ich hatte auch jahrelang keine anständige Jacke für den Winter. Tatsächlich ist es noch gar nicht so lange her, dass ich über zweckmäßige, warme Winterkleidung verfüge. Weil ich es mir vorher nicht wert war. Und ich habe verdammt viel gefroren...

Erstaunliches Buch, wirklich.


**Der entfremdete Körper wird dabei möglicherweise nicht nur als schwerwiegendes Handicap betrachtet, das die Leistungen des Gesichts und des Kopfes untergräbt oder sich der Kontrolle der Person entzieht. Er kann sogar als Feind wahrgenommen werden, der in der Lage ist, das Selbst zu zerstören.

***Vorher und Nachher: Ein aufgeschobenes Leben leben


NH

Mittwoch, 12. August 2015

DIE DICKE DAME SUCHT DIE LIEBE: Das Herz ist ein einsamer Jäger*



Reality TV

Es hilft ja nix. Ich muss mich wieder auf die Suche machen. Ich will nämlich nicht allein sein. Ich will einen Lebenspartner. Denn zusammen ist man weniger allein. Und gleichzeitig hätte ich gern jemanden, für den ich in ein brennendes Haus zurücklaufen würde (außer dem Kater). Denn das gibt so etwas wie Sinn. Außerdem möchte ich zu jemandem gehören, jemanden unterstützen und mich auch festhalten können, wenn alles sonst eher wackelig ist.

Nun bin ich natürlich noch älter, als vor zwei Jahren und, es lässt sich nicht anders sagen, durch die Flops der hinter mir liegenden Dating-Phase ein wenig geschwächt und entmutigt.

Das zweitgrößte Hindernis ist und war mein Fett. Nicht, weil ich mich hässlich finde. Obwohl ich in letzter Zeit immer mal meine sich abermals leerende Haut betrachte und mir schon überlege, ob das jemandem, der nicht explizit darauf steht, doch noch irgendwie vermittelbar ist. Das Fett macht die Männerjagd schwieriger, weil es den Kreis der Interessierten, an denen ich auch interessiert bin, deutlich verringert. Das ist eine rein statistische Angelegenheit, der auch mit dickem Selbstbewusstsein nur schwer beizukommen sein dürfte: Die meisten Männer wollen, aus welchen Gründen es auch sei, noch immer keine dicke Partnerin (jedenfalls nicht öffentlich und offiziell), und damit wollen die meisten tollen Männer auch keine. Und tolle Kerle an sich gibt es ohnehin nicht wie Sand am Meer. 

Das wiederum bringt uns zum immer-und-ewigen Hauptproblem, dem eigenen Anspruch.
Klar, ich könnte zumindest mal versuchen, komplett offen zu sein. Für alles. Grrr. So wie es einem dusselige Selbsthilfebücher für Single-Frauen immer vorsorglich weismachen wollen. (Gibt es eigentlich ähnliche Dating-Ratgeber für Männer, abseits unsäglicher Pickup-Artistry? Und wird denen auch immer nahegelegt, mit ihren Partnerschaftszielen stets hübsch weit unten anzusetzen? Note to self: Bitte googeln!) Wenn man so ziemlich jeden nehmen würde, bleibt selbstverständlich auch einer kleben. Wenn alles, was man noch erwartet, ist, dass der Zukünftige möglichst nicht dreißig Jahre älter und kein verrückter Massenmörder ist, kann man das Aufgebot innerhalb von ein paar Stunden bestellen. Aber so läuft das halt nicht – und insbesondere bei mir hat sich nach den Erfahrungen der letzten Zeit ein noch zusätzlich erschwerender Antagonismus eingeschlichen. Ich mag zwar älter und unstraffer und noch unvermittelbarer sein denn je, aber will gleichzeitig nicht mal mehr einen doofen Prinzen auf’m Pferd. Ich. will. einen. König.

WANTED (am besten lebendig). Gestandener Mann mit Charakterstärke, persönlicher Größe, klarer Haltung und starker Schulter. Ferner unerlässlich: Intelligenz, Kreativität, progressive und liberale Grundeinstellung, schwarzer Humor, Selbstreflektiertheit, Kommunikativität, Leidenschaft, Feingefühl, Mut, sowie anständige Rechtschreibung. Muss in meinen Augen schöne Augen und Hände, sowie eine angenehme Stimme haben, gut riechen und Katzen mögen. Und Sex. Nett muss er übrigens nicht sein. Respektvoll ist besser.


Nun sagt mal, das ist doch nicht wirklich zu viel verlangt, oder? Das kann doch so unmöglich nicht sein! Also echt, jetzt…

Die DICKE DAME DATING TOUR 2015 beginnt übrigens todesmutig (meine Therapeutin wird stolz sein, wie Bolle) am kommenden Samstag (15. August), so ab 22:30 Uhr im Goldbekhaus. Da findet die Winterhuder Tanznacht statt…Göttin steh‘ mir bei.


NH


*Carson McCullers

Montag, 10. August 2015

Durchsage



Nur zur Erinnerung. Katzen mit Grün im öffentlichen, virtuellen Raum. Das ist das, was ich verstehe.



NH

Sonntag, 9. August 2015

Noch eine Runde BODY SHAMING BULLSHIT BINGO!

Irgendwie lustlos vor mich hindümpelnd bin ich beim Surfen auf YouTube auf Fernsehsendungen zum Thema Diäten gestoßen, was natürlich nicht sehr schwer ist. Weil ich ja keinen Fernseher habe, und mir damit in den letzten Jahren so ziemlich alles entgangen ist, was in dem Kasten passiert, wurde ich plötzlich wach und hellhörig, als mir das systematische, unbelehrbare und perfide Body Shaming zu Augen und vor allem zu Ohren kam, dass da offenbar in sogenannten Reportagen und Dokumentationen stattfindet.


Also habe ich einfach mal gesammelt - despektierliche, herabsetzende Textfragmente nur aus den Off-Kommentaren (das, was die gezeigten Personen gesagt haben, habe ich gleich gar nicht berücksichtigt, denn das hätte jeden Rahmen deutlich gesprengt).

Ich habe mir jeweils nur die ersten zehn Minuten (!) von drei Programmen zum Thema Diät angesehen, wobei die Erwartung gewesen wäre, dass das "Niveau" der Quellen von eins (Pro 7) über zwei (SAT 1) bis drei (ZDF) steigt. Es hat sich herausgestellt, dass das nur bedingt so ist. Beim Thema Körperfett schenken sich die Kanäle und Formate im Bullshit Bingo und beim Body Shaming nicht wirklich viel.

Alle Ausschnitte waren schon ein paar Jahre alt - ich bin nicht sehr optimistisch, dass es im Fernsehen inzwischen anders aussieht.

1. Pro 7 - U20 - "Deutsche übergewichtige Teenies" 

Massives Übergewicht, schämt sich, Frustfressen, gute Vorsätze mal wieder über Bord, verputzt munter fettige Pizza, Molly-Maße, angewidert, unförmiger Körper, überall quellen dicke Fettringe hervor, Gewabbel, Kalorienbomben, Walross in Baumwolle, quetscht sich in das Oberteil, jeder Versuch endet im Desaster, strapaziert die Nähte, Fresslust im Bauch, Frust in Fett ertränken, Fressattacke, das schlechte Gewissen, Abspeckkur, kann ihren Schweinehund nicht überlisten, faul vor dem Computer geflätzt.

2. SAT 1 - Akte 07 - "Schlank im Schlaf"

Schämt sich, Überwindung, Problemzone, leidet an Übergewicht, isst angeblich wenig, unkontrollierte Heißhungerattacken, auch wenn sie es nur ungern zugeben, literweise Limonade, noch dicker, wieder Hoffnung, schlank werden und dann endlich ganz normal leben.

3. ZDF Info - "Fett weg!"

Stark übergewichtig (94kg, Anm. d. Dicken Dame), großes Problem, deutlich zu dick, hoffen auf ein Wunder, durch starkes Übergewicht entstehen jährlich Kosten in Höhe von, Fettleibigkeit, ein gesellschaftliches Problem, wird dick und dicker, deutlich zu viel, was er da so in sich reinstopft, schiebt seinen gewaltigen Bauch stolz vor sich her, viel zu reichlich, gewaltiges Übergewicht, Ehefrau nicht gerade begeistert, ebenfalls ein Schwergewicht.

Und dann stand ich doch gestern vor dem Süßigkeitenregal und stellte fest: Sogar Schokolade betreibt heutzutage Body Shaming bzw. moralisiert!

Wie sagte Peter Lustig immer: "Ihr könntet also genauso gut schon mal abschalten."

NH

Samstag, 8. August 2015

Damenbart

I woke up one morning, I looked like Arafat!*

(Sophia, The Golden Girls)


Seit ich Anfang zwanzig bin, entferne ich mir die Haare über der Oberlippe. Genau genommen habe ich in Los Angeles damit angefangen. Die Epiliercreme (Surgi Cream) fürs Gesicht habe ich ein paar Jahre später, als ich wieder nach Deutschland zurückzog, quasi tonnenweise im Koffer importiert, weil es sowas Gutes in Deutschland nicht gab (und noch immer nicht gibt) - und das Internet mit seinen Einkaufsmöglichkeiten im Prinzip auch noch nicht so wirklich. Wann ich eigentlich begonnen habe, Achseln und Beine regelmäßig zu rasieren, weiß ich gar nicht mehr. Aber es muss vor meinem sechzehnten Geburtstag gewesen sein, weil ich nämlich beim Vorbereitungsseminar für das Austauschjahr in den USA ganz und gar nicht überrascht war, als man uns erklärte, genau das müssten wir dort tun, um nicht unangenehm aufzufallen. Die Karikatur der Europäerin an sich ist ja in den USA auch heute noch notorisch haarig. Vorbild fürs Rasieren war meine Mutter, klar. Die hatte sich, glaube ich schon immer die Haare an den Beinen entfernt. Ich erinnere mich auch noch an den beißenden Geruch ihrer Enthaarungscreme vor ein paar Jahrzehnten. 

Als ich vor über zwei Jahren begann, meine Bikinizone/meinen Unterleib wieder öfter herzuzeigen, gab es bei mir, wie immer in solchen Phasen, einen kompletten Kahlschlag - hauptsächlich fürs Gefühl, aber auch für die Optik. Denn ich finde meine Pussy so schöner. Dass ich abseits der Stoßzeiten nicht ganz so penibel bin, was ihre Enthaarung angeht, liegt daran, dass ich tatsächlich bis heute kein komplett wirksames Mittel gegen die anschließende Reizung der Haut gefunden habe. Gleich nach dem Rasieren Cortison aufzutragen, ist meiner Erfahrung nach noch immer die beste Lösung. Die Haare mit Wachs entfernen zu lassen, kommt nicht in Frage. Das muss man irgendwo machen lassen, und das ist mir - im wahrsten Sinne des Wortes - zu aufrissig. In den Tiefen meines Kleiderschrankes steht seit Jahren eine Wunderlichtmaschine zur Epilierung. Unbenutzt, denn sie macht mir irgendwie Angst.

Die Männer, die mir in jüngerer Vergangenheit so begegnet sind, teilen diese Vorliebe für haarlose Unterwelten übrigens zu einem erstaunlich hohen Anteil nicht. Auch das ist offenbar nur wieder einer dieser Mythen über das, was Männer angeblich von Frauen wollen. (Denen fallen ja auch gern immer und immer wieder Feministinnen anheim.**) Eine ganze Reihe sprach sich für üppiges Buschland aus, und ich hatte sogar ein, zwei Anfragen, ob im Hinblick auf eine Langzeitpespektive für unsere Verbindung nicht vielleicht auch das Muschihaar in der gemeinsamen Zukunft wieder länger werden dürfte. 

Darf es nicht. Und was noch hinzu kommt: Wenn ich in nahen Kontakt mit männlichen Unterleibern komme, ist es mir seit jeher sehr, sehr, sehr viel lieber, diese sind rasiert oder zumindest sorgfältig getrimmt.Tatsächlich ist das langfristg eine echte Forderung, die ich an einen Partner habe. Wenn ich es mir aussuchen kann, ist mir auch sonst überall weniger Haar lieber. Achseln, Beine, Rücken, Brust, Gesicht - glatt und frisch poliert macht mir grundsätzlich mehr Freude als stoppelig oder flaumig. Ich habe überdies auch durchaus nichts gegen kurz geschorene Köpfe, die fühlen sich nämlich wirklich gut an.

Ist es unfeministisch, seine Körperhaare zu entfernen?

Insbesondere Achselhaare sind ein neues/altes Symbol für weibliche Rebellion gegen gängige Körper- und Weiblichkeitsnormen. Twitter (#hairyarmpits) und Instagram sind gegenwärtig voll mit Selfies, auf denen zum Teil buntgefärbtes, aber auf jeden Fall unbeschnittenes obwohl weibliches Achselhaar stolz präsentiert wird. Und Madonna als Trendsetterin machte selbstverständlich bereits im letzten Jahr mit ihren Achseln Schlagzeilen.

Ich gebe zu, dass ich noch immer gelegentlich zusammenzucke, wenn ich plötzlich Haare unter Achseln oder unter Feinstrumpfhosen sehe. Aber ich weiß, dass das mein eigenes Problem ist, und nicht das der Achselhaarträgerin. Haarlosigkeit ist ein sich immer weiter durchsetzender und immer mehr verpflichtend werdender Körperstandard, der sich eher zufällig mit meinen persönlichen Präferenzen deckt. 

Trotzdem ist mir natürlich bewusst, dass der Zwang, seinen natürlichen Körper auf bestimmte Weise zu bearbeiten und herzurichten, im Hinblick auf Körperbehaarung für viele andere auch genau das ist - ein gesellschaftlich erzeugter Zwang und dem entsprechend eine Belastung. Das ist falsch und unfair. Schließlich geht es mir mit meinem Körperfett genauso. Das soll ja auch immer weg, wenn man die Gesellschaft fragt. Wie wir hier am Strand dazu stehen, dürfte klar sein: Jeder muss das Recht haben, so zu bleiben, wie er ist, oder sich äußerlich so zu verändern, wie er will, ohne Häme, Verunglimpfung und Diskriminierung fürchten zu müssen.

Es ist immer schwer, der gesellschaftlichen Forderung, den Körper gewissen Normen entsprechend zu gestalten und unter Kontrolle zu bringen, etwas entgegenzusetzen. Schließlich geht es dabei stets um nicht weniger, als darum "nachzuweisen", dass frau auch wirklich weiblich ist. Die Drohung, dass einer der Status "richtige" Frau entzogen werden könnte, wenn frau sich nicht an einen Haufen von Körper- und Verhaltensregeln hält, hängt schließlich immerzu über unseren Köpfen. Das muss man erst einmal aushalten. Am Ende ist es eben auch diese Drohung, die Frauen daran hindert, sich selbst als "Feministin" zu bezeichnen. Oder die Haare schlicht da zu lassen, wo sie sind, wenn sie eigentlich gar keine Lust mehr dazu haben, sich zu rasieren. 

Die Perlen an der absurden Kette der Disqualifizierung sind ohnehin immer die gleichen: Weiblichen Körperstandards nicht entsprechend + kämpferisch/selbstbestimmt = Lesbe = Feministin = unweiblich.

Damenbart

Ich glaube, ich war wohl Anfang dreißig, als ich die ersten zwei drahtigen, dunklen und stets rasant nachwachsenden Stoppeln an meinem Kinn fand. Das fiel zeitlich ungefähr mit der Entdeckung einiger langer an meinen Brustwarzen sprießenden Haaren zusammen. Mittlerweile sind es am Kinn ungefähr ein Dutzend. Haare im Gesicht stehen natürlich ganz besonders stark für "Vermannweiblichung". Und wenn ich sie für ein paar Tage nicht mit einer Pinzette wegzupfe, werden sie schnell - zumindest in meiner eigenen Wahrnehmung - deutlich sichtbar. Darüber bin ich nicht wirklich froh. Aber manchmal habe ich wenig Zeit und finde es zu mühsam, meine Barthaare zu bearbeiten. Und dann gehe ich neuerdings einfach so vor die Tür. Das ist dann quasi meine eigene, gelegentliche Übung in haariger Selbstakzeptanz und selbstbewusster "Unweiblichkeit".


*Eines Morgens bin ich aufgewacht und sah aus wie Arafat.



**Ach, und für alle, die es zusätzlich noch interessiert: Mein Blog-Post zum Thema Körperhaare von 2008. Er war eine Antwort auf einen Artikel in der Emma, in dem der Enthaarungszwang auf, wie ich fand, falschen Prämissen basierend kritisiert wurde:

Regula Stämpfli ist dagegen. Sie findet, die Intimrasur ist ein Politikum: „Im Zeitalter der Bio-Politiken rückt der nackte Körper ins Zentrum. Immer mehr Menschen entledigen sich ihrer Scham(haare).“ Daher fordert sie, das Schamhaar – und damit offenbar auch die Scham – sollen bleiben, wo sie sind – und vielleicht auch noch möglichst schön buschig. Im Zuge der in die Jahre gekommenen PorNO-Kampagne der EMMA, wird in der aktuellen Ausgabe auf zwei Seiten unter der verwirrenden Überschrift „Politisch Korrekt? – Die Scham ist vorbei“ mal wieder gewettert – gegen die Pornographisierung der Kultur, der Gesellschaft, der Welt, die sich natürlich in letzter Instanz am Körper der Frau vollzieht. Da wird hergezogen, nicht nur über das Rasieren von Schamhaaren, sondern natürlich auch über Brüste, „rausgestreckte Ärsche“ und „Plusterlippen“. Da wird verächtlich über „Nuttenlook“ gelästert, so dass man sich als EMMA-Leserin plötzlich vorkommt, als wäre man in einer Nachmittgastalkshow zu Gast (Thema: Du siehst aus wie ein Flittchen – Zieh dir was an!). Besonders unschön wird es, als Regula Stämpfli ihr offenbar bekannten Müttern, die sonst „jeden Kindervergewaltiger am liebsten kastrieren möchten“, vorwirft, ihre Töchter „als Mini-Playboyhäschen“ herzurichten, weil sie den Mädchen erlauben, T-shirts mit Bunny-Logo zu tragen. In der guten alten Zeit des Feminismus war es ja noch so – da galt der Grundsatz, dass eine Frau/ein Mädchen anhaben darf, was sie/es will und dass kein Mann aus der Kleidung oder der Aufmachung einer Frau irgendwelche Rechte herleiten durfte. Insofern dürften sich T-shirts mit Bunny-Logo für die Tochter und Verachtung für Kinderschänder  NICHT wirklich groß behindern. Bei Frau Stämpfli und dem Magazin, das ihre wilde Anti-Schamrasur-Rede gedruckt hat, hat man was das betrifft, offenbar und betrüblicherweise die Orientierung verloren. Aber Frau Stämpfli hat natürlich noch mehr zu beklagen: Amerikanerinnen machen Strip-Kurse und lesen Sex-Ratgeber mit Titeln wie „How to Make Love Lika a Porn Star“, weil sie, wie die Regula nur Kopfschütteln abtun kann, so hoffen, IHRE Weiblichkeit und IHRE Sexualität zu entdecken. Und man kann gerade der „weißen Mittelschichtsfrau“ in Minnesota nur wünschen, dass sie die Suche nicht aufgibt. Die Pornographie generiert mitnichten nur Abbilder weiblicher Unterwerfung. Es ist kein Zufall und auch kein Unglück, dass das Bild des Pornostars heute aus einem bestimmten Blickwinkel auch als Ausdruck einer bestimmten Komponente weiblicher Freiheit betrachtet werden kann. Frauenfiguren in Pornos sind oftmals überaus fordernd, entschlossen, aktiv und bestimmend. Was sie vermutlich eher selten sind, ist gehemmt. Die Hauptrolle spielen sie ohnehin. In vielen Pornos werden Männer ganz und gar durch Plastikspielzeug ersetzt. All das sind Gründe, warum „der Pornostar“ im wahren Leben die meisten Männer wohl eher in Panik versetzen würde, käme er plötzlich wirklich durch die Schlafzimmertür. (Außerdem wüssten viele Männer ohne die Pornographie vermutlich noch immer nichts von der Existenz der Klitoris.) Der gedankliche Fehler, den die EMMA-Frauen mit erschütternder und unerbittlicher Starrhalsigkeit machen, ist die Annahme, dass Frauen das alles (Stripkurse, Unterwäsche, hohe Absätze, Kosmetik, Schönheitsoperationen) täten, um Männern zu gefallen. Das ist aber doch gar nicht wahr. Zumindest  stimmt es für viele nicht. Sie tun es tatsächlich für SICH. Wo Regula systematische Entblößung und Herrichtung der Ware Frau vermutet, spielen Männer oft schon lange gar keine Rolle mehr. Oder sie sind Zuschauer und Statisten. Um männliche Wunschvorstellungen geht es hingegen immerzu in den PorNO-Aktionen der EMMA. Frauen verkleiden sich, spielen mit Phantasien (auch Machtphantasien soll es geben), probieren was aus. Und fühlen SICH womöglich plötzlich zum ersten Mal so richtig sexy, wenn sie unbeobachtet im eigenen Keller um eine Striptease-Stange wirbeln. Fast könnte der Eindruck entstehen, offensive und bunt verpackte weibliche Sexualität ist Emma-Frauen nicht geheuer. Aber es gibt viele Arten des Ausdrucks sexueller Identität. Und die Intimrasur kann eine von ihnen sein. Auch wenn Frau Stämpfli das „stechende und juckende“ Kratzen nach einer solchen beklagt: Tatsache ist auch, dass weniger Haar einen gefühlstechnisch ganz schön weit nach vorn bringen kann ; ). Was wirklich anstößig ist, ist nicht der (angebliche) Verlust der Scham. Was wirklich anstößig ist, Frau Stämpfli, ist es, in einem zweiseitigen Artikel über vermeintlich sexuelle Objektisierung fünfmal das Wort „Kindermöse“ unterzubringen. Da würde frau gleich im Anschluss ihr EMMA-Abo kündigen. Wenn sie noch eins hätte.
Wer jetzt was zur Aufheiterung braucht: Fettes Brot haben ein ironisches, wildes Liedchen darüber gemacht, wie es mit Männerphantasien und ihrer Gültigkeit im echten Leben wirklich so ist. Bezeichnender Titel: „Bettina– zieh dir bitte etwas an“.

NH

Freitag, 7. August 2015

OOTD: Die perfekte Unterhose

Mit den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit, wie sie momentan hier sind, ist SIE das Unter-kleidungsstück der Wahl für alle schweißtreibenden Ausflüge in die Wildnis. Sie ist so eine Art Wohlfühlrüstung.

Und bei heruntergelassenen Jalousien ist sie derzeit auch und vor allem für alle meine einsamen und inhäusigen Wochenendtätigkeiten, schreiben, lesen, staubsaugen, das genau richtige Outfit.


Geräumig, gemütlich, nachgiebig, mit weichen aber zuverlässigen Gummis und Nähten, schon eingetragen, aus blasser, bereits oft gewaschener Baumwolle (keine Chemie mehr drin), saugfähig, mit hohem Bündchen und niedrigem Beinabschluss. Die Superstars in meinem Kleiderschrank und immer nur sehr aufwendig und schwer zu ersetzen.

Und nein - das ist kein Scherz. Sondern eine Lektion in (dicker) Selbstakzeptanz und Selbstfürsorge. Fühl' dich wohl in deiner Kleidung. Scheiß' drauf, ob's anderen gefällt!

NH




Sonntag, 2. August 2015

Ausgelesen: Dicksein

"Dicksein" von Eva Barlösius (Campus, 2014) behandelt ein hochinteressantes Thema auf so langweilige Weise, dass ich tatsächlich Monate gebraucht habe, um es zu beenden. Es geht um die Frage, ob Dicksein sich auf das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft in etwa so auswirkt, wie die Zuordnung zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Das würde z.B. die Frage beinhalten, ob sich Dicksein auf berufliche Chancen ähnlich auswirkt wie soziale Herkunft.

Aber das vergleichsweise dünne Buch ist so saftlos verfasst, wie eine mittelmäßige, wissenschaftliche Hausarbeit, und sowas in der Art ist es halt auch. Tatsächlich habe ich es ab der Hälfte nur noch überflogen. Das ist eben genau das Problem - das Thema Fett und seine sozialen Implikationen werden teilweise sogar von denen stiefmütterlich behandelt, die es trotz allem behandeln.

Die Arbeit basiert auf einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt mit dem Titel "Verbesserung der Wirksamkeit der Adipositasprävention für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche (...blablabla)". Das an sich ermuntert nicht gerade zu großen Erwartungen. Auch verwirrt mich noch immer die Auswahl der Probanden und die Teilnahmevoraussetzung, einer bestimmten sozialen Schicht anzugehören, wenn doch untersucht werden soll/könnte, ob sich nicht gerade Dicksein selbst so auswirkt, wie ein Klassenunterschied. Da scheint mir etwas von vornherein vermischt worden zu sein, was nur zu gern zusammengewürfelt, aber vermeintlich ja auch statistisch in einen Topf  gehört: Dicksein und Zugehörigkeit zu einer bildungsfernen Gesellschaftschicht. Dass man als dicke Frau mancherorts automatisch für "ungebildet" gehalten wird, erfahre ich selbst übrigens auch immer wieder mal - vorzugsweise in Arztpraxen.

Empfehlen kann ich das Buch aus allen oben genannten Gründen eigentlich nicht, aber ich wollte hier wenigstens auf seine Existenz hinweisen.

Die Erkenntnisse, die die Autorin aus Gruppeninterviews mit dicken Jugendlichen aus schwachen sozialen Verhältnissen und deren Eltern gewonnen hat, umfassen u.a. die folgenden Aspekte:

Die Stigmatisierung Dicker hat in den vergangenen Jahrzehnten so zugenommen, dass ihr Ausmaß und ihre Ausbreitung mit denen von Rassismus gleichziehen. Gar "scheint die Diskriminierung und Herabsetzung von dicken Menschen eine der letzten Formen der Herabwürdigung zu sein, die auf gesellschaftliche Zustimmung und Anerkennung trifft". (S.23)

Körperlicher Eigenschaften sind für die Jugendlichen das allerwichtigste Kriterium, wenn es um die Einordnung und Bewertung anderer, aber auch der eigenen Person geht. "Die Typisierung in "dick" und "dünn" besitzt (...) die gleiche Allgegenwärtigkeit (...), wie (...) die (...) Unterscheidung der Geschlechter." (S.58)

Die dicken Jugendlich werteten sich im Gespräch selbst vorsorglich ab und rechtfertigten sich automatisch, weil sie sehr genau wissen, was "die Gesellschaft" über sie denkt. Sie kennen und unterstützen die Vorstellung, dass gewisse Lebensmittel und Körperformen "moralischer" sind, als andere.Tatsächlich reden sie auch nur mit dieser gesellschaftlich vorgegeben Sprache über sich und ihren Körper, weil sie "keine eigene Sprache für ihre Erfahrung mit dem Dicksein" (S. 55) entwickelt haben.

Die Betroffenen, die dicken Jugendlichen, sowie ihre Eltern, stimmen der gesellschaftlichen Annahme, dass Dicksein eine Folge mangelnder Disziplin und Selbstkontrolle ist, und die Benachteiligung Dicker damit verdient ist, weitgehend zu.

Was die geführten Interviews offenbar auch zeigen, ist, dass besonders diese "bildungsfernen" Eltern sehr stark verinnerlicht haben, was "gute und richtige" Ernährung ist und ein ständiges Schuldgefühl mit sich herumschleppen, wenn sie diesen Ansprüchen im Hinblick auf ihre Kinder nicht nachkommen - aus welchen Gründen auch immer.

Das bringt mich abschließend auch mal wieder zu dieser Frage: Könnte der Stress der ständigen Rechtfertigung und der permanenten Schuld/Ermahnung/Kritisierung der Kinder einen Effekt auf deren Körpergewicht haben - Stress, Rebellion und Jojo in Wirkungseinheit womöglich? Weil den gesellschaftlich pausenlos gescholtenen Eltern schlicht das Selbstbewusstsein fehlt, zu glauben, dass man schon das Richtige für die eigenen Kinder tut und weder sie noch man selbst der fettphobischen Gesellschaft etwas schuldet?

NH


Show Stopper.