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Donnerstag, 25. März 2021

Alles muss raus - oder: ein Rant - TEIL 1

"I'm about this close from gettin' in a tower 
and hurtin' some people!"*
(Suzanne Sugarbaker, Designing Women)


Das ist Tippi. 

Benannt nach Tippi Hedren. Tippi ist knapp zehn Monate alt. Seit etwa einem Monat wohnt sie nun 564r44444444444444444444444444444444444444ere (Nachricht von Tippi) bei uns. 

Wie berichtet, sitzt Corbinian seit dem letzten Sommer im Catio. Vorbei die Tage der Freiheit. Vorbei allerdings auch die Tage, an denen ich mich von alten und neuen Nachbarn beschimpfen lassen muss, weil ich mit einer Tüte Dreamies die Straße hinunterlaufe und nach meiner Katze rufe. Es ist unklar, ob diese Menschen mit mir oder tatsächlich mit Katzen ein Problem hatten. Ich kannte keinen von ihnen näher, in einigen Fällen nicht einmal vom Sehen, und hatte zuvor nie auch nur einen ganzen Satz mit ihnen gewechselt. Aber ich traue ihnen und ihrer Impulskontrolle, die schließlich ganz offenkundig gestört ist, auf keinen Fall mehr über den Weg, wenn es um die Sicherheit meines Tieres geht. 

Corbi war über die neue Lage nicht froh. Es war klar, dass er, nun unverständlicherweise inhäusig, Gesellschaft brauchte. Der ursprüngliche Plan war allerdings ein anderer, nämlich eine mittelalte, gemütliche und weibliche Wohnungskatze zu adoptieren, die ungefähr zeitgleich mit Corbi das Zeitliche segnen würde. Aber, wie es mit allem ist - nichts ist jemals einfach. Hilda, zehn Jahre alt und momentan Bewohnerin eines Tierheims in Brandenburg, durfte ich nicht aufnehmen, weil ich zu weit weg wohne. Ja. Whatever. Ich habe mich aufgeregt, das hat niemanden beeindruckt. Und Hilda ist weiterhin ohne eigenes Zuhause. Andere Heime hatten nur Freigänger*innen im Angebot. Aber dann brauchte Tippi wegen eines Umzugs ihrer Familie eine neue Bleibe. Ich sah die Anzeige, ihr Bild und bewarb mich erfolgreich. 

Sie ist jung, schnell, schlau und eher ungemütlich. Und sie plant schon jetzt den Ausbruch aus dem Catio, obwohl sie bisher noch nie Ausgang hatte. Sie will die Welt. Sie atmet sie ein in tiefen Zügen, starrt in die Sonne und hangelt sich am Maschendraht in die Höhe, um das Eichhörnchen zu erwischen. Für mich ist sie eine echte Herausforderung. Und für Corbi ist sie ein ganz neues Leben. Stundenlang wird in der Wohnung nun gespielt, zusammen gerannt und alles verwüstet. Er ist elf und ein Riese neben ihr, aber er versucht, angemessen mitzuhalten.

Da Tippi im Grunde brandneu auf dieser Erde ist, erzähle ich seither jeder, die es hören oder nicht hören will, dass ich nun offenbar noch mindestens zwanzig Jahre leben muss, um sie zu versorgen bzw. zu überleben. Denn als meine und eine Wohnungskatze hat sie natürlich ziemlich gute Aussichten, was ihre Lebenserwartung angeht. Ich rede über diese zwanzig Jahre so viel, weil sie mich in Angst und Schrecken versetzen. Aus verschiedenen Gründen.

Denn seit ihrer Adoption habe ich zum einen eiskalte Sorge, dass ich die zwei Jahrzehnte womöglich nicht mehr schaffe. In zwanzig Jahren bin ich siebzig. Mein Vater war 67, als er mit einem Herzkasper vor der Staatsoper in Hamburg zusammenbrach. Meine Mutter war 66, als sie mir im Universitätskrankenhaus Eppendorf davonstarb. Genetisch bin ich offenbar schon einmal nicht gerade brilliant aufgestellt.

Und dann mal grundsätzlich- WTF? Wie bin ich überhaupt jemals so alt geworden? Wie konnte es mir jemals passieren, näher am Tod als an meiner Geburt zu sein? Wie habe ich so einfach und wie nebenbei meine Lebensmitte überschritten und dabei noch gar nichts begriffen und nichts wirklich erreicht? Meine Bucket List ist meilenlang und ohnehin ist es mir vollkommen schleierhaft, wie ich bitteschön überhaupt in der Lage bin, eine mittelalte Frau zu sein. Zumindest als Kind dachte ich immer, dass frau dafür eine Reihe von Qualifikationen erwerben und Lebensereignisse abarbeiten müsse. Mir war nicht klar, dass es einfach so passiert. Und ich kann in letzter Zeit ohnehin nichts so recht von dem glauben, was ist.

Fettaktivismus my ass.

Und der ganze Müll liegt hier auch schon wieder viel zu lange rum. Ein ganzer Ordner voll mit unerfreulichem Material zu Themen, die ich hier behandeln wollte. Dazu ein Stapel Bücher. Keines davon verspricht eine erbauliche Lektüre; alle sollten tatsächlich nur gelesen werden, weil ich aus irgendwelchen Gründen glaube, dass ich es der Welt schulde, den Schrott auseinanderzudröseln. Dabei macht es nicht den Eindruck, dass irgendetwas, was wirksamem oder auch nur ernstgemeintem Fettaktivismus nahekommt, in Deutschland in den letzten Jahren eine Chance gehabt hätte, einen Zeh in die Tür der Medienlandschaft zu bekommen.

Vor einiger Zeit hat mich eine Freundin gefragt, ob ich ihr ein Buch über Fettakzeptanz auf Deutsch empfehlen könnte. Konnte ich irgendwie nicht. Und kommt mir bloß nicht wieder mit Magda Albrecht

Happy Size macht im Katalog jetzt Reklame für ein Buch, das Tanja Marfo geschrieben hat - über Selbstliebe. Würg. Jetzt kann ich bei Happy Size nix mehr kaufen. So wie ich keine Geflügelwurst von Gutfried mehr kaufen konnte, als Johannes B. Kerner begann, in den Werbespots aufzutreten. Ich erinnere mich ja immer wieder gern an das von ihr geleitete Seminar zum gleichen Thema, bei dem wir zu dritt vor einem Tablet in einem Imbiss saßen (das war der Veranstaltungsort) und die zweite Teilnehmerin in wilde Tränen ausbrach, weil sich ihr dicker Selbsthass just in dieser Situation so richtig Bahn brach. Es ist alles Betrug. Frau Marfo war noch nie an der Selbstliebe anderer interessiert. Alles, was sie je wollte, war irgendwie eine Karriere mit Medien. Als dicke Frau entschied sie sich sodann, den Body-Positivity-Zug für ihre Zwecke kapern. Sie macht aber bekanntlich auch ohne zu zögern Reklame für Diätpulver und Fitnesstrainer, wenn sie glaubt, dass sie das weiterbringt. Und auch das wird sie  schamlos als Selbstfürsorge verkaufen. Noch einmal, an alle, die es noch immer nicht begriffen haben: Ein "Umstyling" hat nichts mit Selbstliebe zu tun. Genau genommen bedeutet es das Gegenteil.

Mein Instagram Feed ist naturgemäß voll mit Accounts, deren Kernthema eigentlich "Body Positivity" ist. Bei den Bildern handelt es sich in letzter Zeit immer seltener um OOTDs o.Ä. und zunehmend um nackte oder in Reizwäsche gekleidete dicke Frauen, die gern auch mal auf diesem Wege Werbung für ihr "OnlyFans-Account" machen. Von mir aus soll selbstverständlich jede, die das will, ins Pornogeschäft einsteigen. Entschuldigt, wenn ich trotzdem nur noch kotzen könnte, wenn mir noch einmal irgendwer weismachen will, dass es ein Fortschritt ist, wenn dicke Frauen in der Pornographie, bei Modelwettbewerben und Misswahlen endlich genauso intensiv zur Objektifizierung von Frauen beitragen "dürfen" wie normattraktive. Wenn ihr mich fragt, ist "Body Positivity", wenn das Konzept überhaupt je etwas wert war, inzwischen totgetrampelt worden. 

Göttin, ich habe das alles so satt. Ach ja, und dann war da auch noch das...

Die wirklich allerletzte Presseschau: The Curvy Magazine

Ich habe eine Ausgabe des Curvy Magazines erworben (die Ausgabe für Sept, Okt, Nov. 2020). Bekanntlich habe ich für Frauenzeitschriften nicht viel übrig. Und ja, ich glaube, dass die Möglichkeit, schöne Kleider zu tragen, nicht den Mittelpunkt fettaktivistischer Arbeit ausmachen kann. Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass weite Teile des Publikums das anders sehen, bzw. dass schöne Kleider in großen Größen und dicke Models in Magazinen ihnen reichen würden, weil ihr Ärger über die eigene Diskriminierung sie schlicht noch immer nicht weiter trägt. 

Nun ja, auf jeden Fall ist das Modemagazin für dicke Frauen vollgestopft mit Fat Shaming. Quelle surprise, I know. Die Brigitte könnte hier regelrecht noch etwas lernen. Zwischen den Seiten tut sich auch in diesem Fall wieder genau die Hölle auf, in die alle Beteiligten immer geraten, wenn dicke Frauen, die die Ambivalenz dem eigenen Fett gegenüber niemals überwunden haben (siehe Barbara Schöneberger), einfach so tun als ob, weil sie glauben, dass es sich vermarkten lässt. Was dann oft nicht einmal der Fall ist. 

Auf Seite 11 beginnt Susanne Ackstaller ihren Kommentar "Dick sein als Chance" mit der Überlegung, dass sie "die Vorteile eines dünneren Ü50-Ichs durchaus (sieht)!" Auf ihrem Instagram-Account gab es übrigens zu den Festtagen im letzten Jahr auch eine gute Portion Selbstherabsetzung: "Platze gerade aus meiner Jeans, weiß jetzt, warum es "Plätzchen" heißt."

Etwas weiter im Magazin schickt sich dann die dänische Comedienne Sofie Hagen an, noch etwas mehr am eigenen Klischee-Gefängnis zu zimmern: Fett ist "powerful, schön, weich, belastbar, einfach herrlich". Und ich so: Was, wenn Fett nicht belastbar ist, bzw. die Person, zu der es gehört? Dass Fett nicht einfach sein kann, dass es immerzu noch zusätzlich etwas sein muss, das es rechtfertigt oder aufwertet, macht mich inzwischen so sauer.

Im Vogue-Interview behauptet die Gründerin des Curvy Magazins, Carola Niemann, man müsse "ab Größe 42 genauer, liebevoller mit einem Körper umgehen", denn ab da sind alle Körper "plötzlich unterschiedlich" und das macht die Herstellung von Kleidung über 42 angeblich so kniffelig. Sie hat das Magazin gegründet, um Frauen Vorbilder zu liefern, "die auch nicht perfekt sind, aber toll aussehen..." Auch nicht perfekt. Sie verspritzt weiterhin nichts weiter als Gift. Und bemerkt absolut nichts. 

Damit also keine ihrer Leserinnen jemals auf die Idee kommt, nicht ganz schön scheiße und obendrein nicht zu dumm zu sein, sich morgens etwas anzuziehen, kommt dann ab Seite 70 ihrer Publikation die große "Beratung": "Welches Business-Outfit passt zu deinem Körpertyp". Und ich traute meinen verdammten Augen mal wieder nicht.

Oben schmal, unten breiter: "Locker sitzende Hosen aus weich fließenden Materialien (...) umspielen die Hüften und Oberschenkel und gleichen so deine Proportionen (...) aus. Eine Bluse (...) mit V-Ausschnitt sowie Stiefeletten mit Absatz strecken zusätzlich."

Schmale Taille: "Es gilt, deine Körpermitte zu betonen."

Rundliche Körpermitte: "In dem locker sitzenden Jumpsuit ist alles gut verpackt und durch den lässigen Schnitt trägt auch nichts auf. Mit einem weiten Mantel kannst du deine Körpermitte umspielen."

Oben breiter, unten schmal: "Deine Beine können sich sehen lassen. (...) Obenrum auf Schnickschnack verzichten. (...) der Ausschnitt streckt und lässt deinen Oberkörper schmaler wirken."

Schwer zu glauben, wenn frau nicht dabei war, aber das Motto auf dem Cover lautet tatsächlich "Respekt!". Wie jede Frauenzeitschrift ist auch diese nichts als ein Cocktail aus beschränkten, toxischen Kleinmädchenträumen, fahrlässiger Feigheit und skrupelloser Selbsterhöhung. 

Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Schon gar keine Vorbilder.

Fortsetzung folgt.


*Achtung: Schwarzer Humor. 
Ich bin so kurz davor, auf einen Turm zu steigen und ein paar Leuten wehzutun!
Suzanne Sugarbaker ist eine Hauptfigur in einer meiner Lieblingssitcoms. In "Designing Women" parodierte Delta Burke eine ebenso exzentrische wie reaktionäre Südstaatlerin. "Designing Women" war in den 80ern und frühen 90ern zusammen mit dem anderen berühmten Frauen-Ensemble seiner Zeit, "Golden Girls", bekannt und beliebt dafür, die Plattform, die das Fernsehen bot, auch zum Kampf gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus zu nutzen. 

Das Zitat bezieht sich auf einen Massenmord im Jahre 1966, als der Ex-Marine Charles Whitman bis unter die Zähne bewaffnet auf den Turm des Hauptgebäudes der Universität von Texas in Austin stieg, von dort aus wahllos in die Menge schoss und 18 Menschen ermordete. Designing Women thematisierte auch das noch immer hochaktuelle Thema Waffenkontrolle mit Suzanne als komplett verantwortungsloser Inhaberin einer Schusswaffe.


NH

Dienstag, 24. Juli 2018

Dick, dumm, faul und hässlich


Ein neuer Versuch - 2018

Bei Instagram war frau nicht amused. Oder zumindest schien es so. 3 Leute mochten es. Also, das T-shirt, als ich es am 22. April 2016 fotografierte und dort postete. Nur eine einzige Instagramerin (Simone : )) erkundigte sich nach dem Zweck.

Es ging um die Thematisierung der gängigsten Vorurteile gegen Dicke am eigenen Leib. Natürlich kann ich verstehen, wenn man die Konfrontation mit der Aufschrift zu anstregend und pessimistisch findet. Oder sie gar für albern, übertrieben oder unwahr hält. Aber es hilft ja nichts...

Dick: Unbestritten zutreffend. Aber im gängigen Gebrauch natürlich höchst negativ konnotiert.

Faul: Ich erzähle ja immer wieder gern die Geschichte von meinem ersten "Schulzeugnis", das eher ein Entwicklungsbericht war und in dem es hieß: "Nicola ist ein großes Mädchen, das sich (...) sparsam bewegt." Leute halten uns für faul. Weil wir dick sind. Das bedeutet automatisch, dass wir zu faul sind, abzunehmen. Und uns natürlich nicht genug bewegen. Denn wenn man sich genug bewegt, ist man eben nicht dick. Ist doch klar. Dass wir etwas anderes zu tun haben könnten, kommt unserer Umgebung nicht in den Sinn. Welche anderen Prioritäten könnte eine dicke Person haben. Herrje, Menschen in Studien würden lieber einen Arm oder ihr Augenlicht verlieren, als dick zu sein. Wie kann irgendein dicker Mensch auch nur an irgendetwas anderes denken, als daran, dünn zu werden? 

Well, guess what*...viele von uns denken über beträchtlich lange Lebensphasen hinweg tatsächlich an kaum etwas anderes. Und werden trotzdem nicht (langfristig) dünn. Wir sind dick, weil wir zu oft abgenommen haben. Wir haben hart daran gearbeitet, endlich einen "richtigen" Körper zu haben und in der Zwischenzeit haben wir uns obendrein mit geächteten und verächtlich gemachten Körpern durch den Alltag und vermutlich eine Reihe von Lebensriten (Schule, Ausbildung, Beziehungen, etc.) geschleppt. 

Wären unsere Körper nicht oft bereits in unserer Kindheit gegen uns verwendet und moralisch in Geiselhaft genommen worden - viele von uns hätten die so freigewordene Energie verwenden können, um spielend die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wir sind nicht faul. Wir leisten all das, was andere auch leisten unter seelisch und gesellschaftlich erheblich erschwerten Bedingungen.

Dumm: Ach. Sie haben studiert? Diese Frage bin ich in meinem Leben nicht nur einmal mit gebührend demonstriertem Erstaunen gefragt worden. Auch gern mal von medizinischem Personal. 

Ja, hab ich. 

Und zwar höchstwahrscheinlich sehr viel länger als die meisten Menschen in den meisten Räumen, die ich je betreten habe. Von 46 Lebensjahren habe ich weit über die Hälfte in Schulen, Hochschulen und an Universitäten im In- und Auslad verbracht - nicht mit beruflicher Zielvorgabe, sondern nur aus purer Freude an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem jeweiligen Fach und der Erfahrung des Studierens. Das ging alles so, weil ich die Eltern hatte, die ich hatte. Denen waren Bildung und Interesse wichtig, wirtschaftliche Verwertbarkeit eher kein Begriff. So landete ich unter anderem z.B. auch bei der Philosophie. Ich weiß außerdem, dass ich nicht dumm bin. Das ist irgendwann mal gemessen worden. Trotzdem stand in meinem ersten schulischen Entwicklungsbericht, dass "Nicola immer besonders genaue Anweisungen braucht, um eine Aufgabe erfüllen zu können." Heute weiß ich, dass das nicht daran lag, dass ich als Erstklässlerin keine Vorstellung davon hatte, wie man was macht, sondern dass ich im Gegenteil zu viele Ideen hatte, wie man etwas erledigen bzw. deuten könnte. Darum habe ich genau nachgefragt, um die exakte Vorstellung der Lehrkraft zu ermitteln. Schließlich sollte die ja das Ergebnis bewerten. Und davon, bewertet zu werden, verstand ich als "großes" Kind in der ersten Klasse bereits eine ganze Menge. Das Problem des Überhinterfragens habe ich heute bekanntlich noch immer. Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass ich als kleines Kind mitunter so viel gefragt habe, dass sie mir oft gern entnervt eine geklebt hätte.

Das "große" Kind war also aus Sicht der LehrerInnen, mit denen meine Schullaufbahn begann, ein wenig einfältig und obendrein körperlich behäbig. Also tatsächlich dumm und faul? Von Anfang an? Und selbst als Erwachsene noch immer zu dumm, um richtig zu essen und zu faul, um regelmäßig zu turnen? Nun, es scheint fast so. ; )

Hässlich: Damit fängt alles an. Der ganze Ärger. Genau genommen handelt es sich hier ja um kein Vorurteil. Wenn man etwas sieht - sagen wir mal z.B. das eigene Kind - und es gefällt einem nicht, was man sieht, dann ist das doch eher ein Urteil. Und eine Tatsache, zumindest im persönlichen Universum. Meiner Mutter gefiel ihr "großes" Kind nicht. Darum setzte sie es bereits im Kindergarten auf Diät, anstatt es einfach erst einmal in Ruhe weiterwachsen zu lassen. Beim Versuch, das Kind zu verringern, ging es nicht primär um dessen Gesundheit. Es ging um Angleichung an die Norm und die Sorge, das monströse Kind könnte es später als Monster-Teenager und Godzilla-Erwachsene ob seiner Optik gesellschaftlich schwer haben. Und so kam es dann ja auch.  

Die Gesellschaft, in der meine Mutter operierte, war so fettphobisch wie die heutige. Und meine Mutter war es auch. Die Gleichung Fett = hässlich war damals bereits so gültig wie heute, und (Norm)Schönheit war für Frauen im Grunde das Wichtigste. Daran hat sich nicht nur nicht viel geändert - es gibt Stimmen, die warnen, dass sich dieses Prinzip im letzten Jahrzehnt womöglich noch verstärkt hat und dass der Druck zur optischen Selbstoptimierung eher größer als kleiner geworden ist. Da ändert erst recht keine Alibi-Fotostrecke mit großen Größen oder die Wahl eines "kurvigen Topmodels" etwas. Tatsächlich beweisen solche Vorstöße nur die Verhärtung eigentlich überkommener Frauenbilder.

Ich erinnere mich (etwas ungenau) an ein Fernsehinterview mit der Talk-Show-Moderatorin (und womöglichen Präsidentschaftskandidatin 2020) Oprah Winfrey, das ich vermutlich in den Neunzigern gesehen habe. Darin beschrieb sie, wie sie die Stufen auf die Bühne einer Preisverleihung erklomm, um sich auf dem damaligen Höhepunkt ihrer Karriere vor großem Publikum eine bedeutende Auszeichnung abzuholen, und wie sie bei diesem bis dato wichtigsten und eigentlich glücklichsten Ereignis ihres Lebens an nicht anderes denken konnte, als daran, wie dick sie in ihrem Abendkleid von hinten aussehen musste. Das, gab sie im Rückblick zu, verdarb ihr im Grunde die ganze Veranstaltung und raubte ihr den Stolz und die Freude. Die Konsequenz, die sie daraus zog, war, noch eine Diät zu machen. Die Jo-Jo-Diäten der Frau Winfrey (sie begann damit in den Siebzigern) haben naturgemäß immer öffentlich stattgefunden und sind mittlerweile legendär. Sie hatte Großes geleistet. Und es bedeutete am Ende nichts, weil sie dick und damit als Frau definitiv "hässlich" war. Damit hatte Sie in der Hauptdisziplin, dem Schönheitswettbewerb, ohnehin komplett verloren.

Was denken sie von uns?

Und nein, das war nicht alles nur in ihrem eigenen Kopf. Natürlich fanden die Zuschauer reihenweise, dass sie zu fett war und damit bedauerlicherweise hinter ihren äußerlichen Möglichkeiten erheblich zurückblieb und dass das auch die Bedeutung ihrer eigentlichen Leistung schmälerte. Die Lüge von der Selbstliebe, mit deren Hilfe frau sich die Welt macht, wie sie ihr gefällt, wird niemanden daran hindern, genau DAS über dicke Menschen zu denken, zu sagen, zu schreiben, zu publizieren und über die Straße zu rufen: Dumm, faul, hässlich. Die Gesellschaft macht schließlich noch immer kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Körperfett. Da helfen nur offene Gegenwehr und Diskussion.

Darum das T-shirt.


*Na, stell dir mal vor...

NH



Vielleicht braucht ihr ja frischen Lesestoff zum Thema :) - den gäbe es hier:




Donnerstag, 19. Juli 2018

Warum Amy Schumers "I feel pretty" ein wirklich lahmer Film ist

"I feel pretty" war ein schwächliches Filmchen.

Der Grund, warum die Beschäftigung mit dem Thema "Schönheitsnormen" in Mainstream-Medien meistens schief läuft, ist, dass zu viel Verwirrung in den Köpfen der Macherinnen herrscht. Und niemals auch nur ansatzweise genug freie Radikalität. Das ist in diesem Falle allerdings umso verwunderlicher, als dass frau immer dachte, Amy Schumer mangele es zumindest an Letzterem nicht.

Die Protagonistin Renee, dargestellt von Amee Schumer, knallt im Spinning-Kurs vom Heimtrainer, schlägt sich bös den Kopf an und sieht sich fortan mit neuen Augen: Sie hält sich für umwerfend normschön. Tatsächlich war das ein von ihr vorher geäußerter Wunsch, einmal im Leben zu erfahren, wie es ist, "undeniably pretty" (unbestreitbar hübsch) zu sein. Allerdings ist sie die einzige, die sich selbst als "wunderschön" im Spiegel sieht. Alle anderen sehen genau das, was auch schon vorher da war. Und da fängt der Ärger für die aufmerksame Zuschauerin schon gleich an. Denn es ist also ein Missverständnis, dessen beharrliche Nicht-Auflösung mit jedem neuen Begebnis ein immer größeres Rätsel wird und ganz klar macht, dass keiner der Beteiligten besonders hell bzw. mit normalem Menschenverstand ausgestattet ist, das den ganzen seichten Film trägt. Die Freundinnen begucken die neue, unausstehlich selbstverliebte Renee, als ob sie den Verstand verloren hat, fragen aber nie so richtig nach. Die fragen nie: Was hat dich denn bloß so verändert? Auch alle anderen um Renee herum sind offenbar schlicht viel zu höflich, um auch nur ansatzweise Verwunderung oder leichte Indignation zu äußern, wenn Renee die eigene, umwerfende Schönheit besingt. Sogar Naomi Campbell wird nicht deutlich genug. Warum Renee eine grässliche und hektische Aufschneiderin werden muss, bloß weil sie glaubt, neuerdings einem Supermodel zu gleichen, bleibt übrigens ebenso ungeklärt. Kurzum: Eine Handlung, die nur läuft, weil alle Mitwirkenden sich komplett unnatürlich verhalten, bringt mich regelmäßig dazu, den Bildschirm anzuschreien. Im Kino war das ja aber nicht möglich. Ich muss sagen, dass war alles ausgesprochen stressig für mich. Obendrein litt ich zwischendrin immer wieder unter üblen Ugly-Betty-Flashbacks.

Und was ist jetzt eigentlich der verdammte Punkt?

Renee, die glaubt, nun für alle Welt sichtbar normschön zu sein, aber es gar nicht ist, wird allein durch diese innere Veränderung kühner, selbstsicherer und damit auch in der Außenwelt erfolgreicher - im Beruf (bei einer Kosmetikfirma) und bei Männern. Besonders bei Männern. Und sie traut sich, an einer Schönheitskonkurrenz teilzunehmen und sich auf der Bühne Wasser über das T-shirt zu schütten.

Fazit wäre dann vermutlich wieder das gute, alte "Liebe dich selbst, ändere deine Einstellung, und dann wird alles gut". Wir haben es ja angeblichh selbst in der Hand, wie uns die Welt begegnet. Und wir sind selbst verantwortlich, zuständig und selbst schuld, wenn's doch nicht gut läuft. Als Beweis muss im Film ein Model mit Selbstzweifeln und Beziehungsproblemen herhalten. Die kriegt ihr Leben trotz perfekter Hülle nicht auf die Reihe. Das ist ein echt uralter, abgegrabbelter Hut und außerdem eher nicht zutreffend als doch. Außerdem wird die bloße Gültigkeit sowie die Notwendigkeit/Wichtigkeit von Körpernormen und Schönheitsstandards mal wieder nicht in Frage gestellt.

Der Film ist, wie gesagt, eine Enttäuschung.

Aber nicht aus den Gründen, aus denen Amy Schumer und ihr "neuer Film" nach seinem Erscheinen im Internet shitstormartig kritisiert wurden. Dort warf frau ihr vor, dass sie selbst zu normattraktiv sei, um die Rolle überhaupt zu spielen, denn wenn so jemand wie sie sich wegen ihres Aussehens angeblich so fertig macht, was sollen denn dann bitteschön erst die machen, die noch viel weniger ins Schema passen? Sie fanden also, Amy Schumer sei nicht "hässlich" genug, um sich glaubwürdig im eigenen Körper schlecht zu fühlen - und betrieben damit unterschwellig und auf regelrecht idiotische Weise Bodyshaming. Offenbar gab es (auch mal wieder) in ihrer Welt, Körper, deren Inhaberinnen sehr wohl gute Gründe hätten, sich ihres Aussehens wegen mies zu fühlen. Aber der von Amy Schumer gehört (noch) nicht dazu. Nun könnte man sich natürlich fragen, wo genau da die Grenze verläuft. Ab wann sollte ich mich denn unzulänglich fühlen dürfen? Wie sähe ich denn dann aus? Nun...bei meinem Gewicht würden mir die verwirrten Kritikerinnen von Amy Schumer wahrscheinlich mehr Verständnis in dieser Hinsicht entgegenbringen. Natürlich demonstriert diese Art der Kritik aber auch nur wieder die unlösebare Verhaftung der meisten Leute im Glauben an die Bedeutung und und Gültigkeit von Schönheitsstandards. Sie sollten alle nachsitzen. Und tausendmal "Schönheitsnormen schaden allen Menschen" an die Tafel schreiben.


NH

Sonntag, 9. August 2015

Noch eine Runde BODY SHAMING BULLSHIT BINGO!

Irgendwie lustlos vor mich hindümpelnd bin ich beim Surfen auf YouTube auf Fernsehsendungen zum Thema Diäten gestoßen, was natürlich nicht sehr schwer ist. Weil ich ja keinen Fernseher habe, und mir damit in den letzten Jahren so ziemlich alles entgangen ist, was in dem Kasten passiert, wurde ich plötzlich wach und hellhörig, als mir das systematische, unbelehrbare und perfide Body Shaming zu Augen und vor allem zu Ohren kam, dass da offenbar in sogenannten Reportagen und Dokumentationen stattfindet.


Also habe ich einfach mal gesammelt - despektierliche, herabsetzende Textfragmente nur aus den Off-Kommentaren (das, was die gezeigten Personen gesagt haben, habe ich gleich gar nicht berücksichtigt, denn das hätte jeden Rahmen deutlich gesprengt).

Ich habe mir jeweils nur die ersten zehn Minuten (!) von drei Programmen zum Thema Diät angesehen, wobei die Erwartung gewesen wäre, dass das "Niveau" der Quellen von eins (Pro 7) über zwei (SAT 1) bis drei (ZDF) steigt. Es hat sich herausgestellt, dass das nur bedingt so ist. Beim Thema Körperfett schenken sich die Kanäle und Formate im Bullshit Bingo und beim Body Shaming nicht wirklich viel.

Alle Ausschnitte waren schon ein paar Jahre alt - ich bin nicht sehr optimistisch, dass es im Fernsehen inzwischen anders aussieht.

1. Pro 7 - U20 - "Deutsche übergewichtige Teenies" 

Massives Übergewicht, schämt sich, Frustfressen, gute Vorsätze mal wieder über Bord, verputzt munter fettige Pizza, Molly-Maße, angewidert, unförmiger Körper, überall quellen dicke Fettringe hervor, Gewabbel, Kalorienbomben, Walross in Baumwolle, quetscht sich in das Oberteil, jeder Versuch endet im Desaster, strapaziert die Nähte, Fresslust im Bauch, Frust in Fett ertränken, Fressattacke, das schlechte Gewissen, Abspeckkur, kann ihren Schweinehund nicht überlisten, faul vor dem Computer geflätzt.

2. SAT 1 - Akte 07 - "Schlank im Schlaf"

Schämt sich, Überwindung, Problemzone, leidet an Übergewicht, isst angeblich wenig, unkontrollierte Heißhungerattacken, auch wenn sie es nur ungern zugeben, literweise Limonade, noch dicker, wieder Hoffnung, schlank werden und dann endlich ganz normal leben.

3. ZDF Info - "Fett weg!"

Stark übergewichtig (94kg, Anm. d. Dicken Dame), großes Problem, deutlich zu dick, hoffen auf ein Wunder, durch starkes Übergewicht entstehen jährlich Kosten in Höhe von, Fettleibigkeit, ein gesellschaftliches Problem, wird dick und dicker, deutlich zu viel, was er da so in sich reinstopft, schiebt seinen gewaltigen Bauch stolz vor sich her, viel zu reichlich, gewaltiges Übergewicht, Ehefrau nicht gerade begeistert, ebenfalls ein Schwergewicht.

Und dann stand ich doch gestern vor dem Süßigkeitenregal und stellte fest: Sogar Schokolade betreibt heutzutage Body Shaming bzw. moralisiert!

Wie sagte Peter Lustig immer: "Ihr könntet also genauso gut schon mal abschalten."

NH