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Mittwoch, 13. Mai 2020

Fettphobie erkennen leicht gemacht



"Es liegt mir fern, mich zu streiten ohne Dir meine Meinung aufzwingen zu wollen." (Aus einem Facebook-Kommentar zum Blogpost "Dick, dumm, faul und hässlich")


Klar, das ist ein Typo, aber wie freudsch können Vertipper bitte sein? Oder die Autokorrektur auf dem Gerät der Verfasserin kann sie schlicht nicht leiden. ; )

Eigentlich diskutiere ich ja nicht. Ich blocke und lösche. Auf dem Blog schalte ich fettphobische Kommentare in der Regel gar nicht erst frei. Und das tue ich, damit meine Leser*innen sich mit dem Scheiß nicht abgeben müssen. Viele von ihnen sind dick, und sie werden nicht ausgerechnet hier am Strand in den Kommentarspalten noch mehr Beleidigung und Missachtung aushalten müssen. Wenn ich also Trollbeiträge zulasse (hier oder auf anderen dazugehörenden Social-Media-Outlets), dann nur in sehr geringer Zahl, exemplarisch und von mir angemessen beantwortet.

Heute nun dachte ich so bei mir, komm ist Corona, hast gerade etwas Zeit, ist ja eigentlich auch schön, wenn jemand einen Kommentar schreibt, versuch mal, milde zu sein, auch wenn dir jetzt schon gar nicht mehr danach ist. 

Denn Fettphobie kann ich quer über den Stadtpark hinweg riechen. Das ist meine Superpower. Außerdem, und das habe ich bestimmt schon einmal erwähnt, unterstelle ich immer vorsorglich böse Absicht. Damit liege ich bei den Trollen meistens richtig und spare Zeit und Nerven. 

Aber um ganz ehrlich zu sein, dachte ich mir diesmal auch, dass aus dem Ganzen womöglich Material für einen guten Blogpost herausspringen könnte.Und siehe da - auf fettphobische Rechthaber*innen ist Verlass - die reagieren und liefern immer. Wenn halt auch immer das Gleiche. In diesem Fall in einem Schwall von laaangen, schnell aufeinander folgenden Kommentaren von ein und derselben beharrlichen Frau, die sich das letzte Wort diesmal am Ende trotzdem nur dadurch sichern konnte, mich zu sperren. 

Wie gesagt: In der Kommunikation mit fettphobischem Publikum läuft es fast immer gleich ab (wenn frau sich darauf einlässt). Wortreiche und gehäufte Einlassungen (die ich im Folgenden um der Erträglichkeit willen gekürzt habe) sind nur das erste Merkmal dafür, dass hier jemand mit hoher emotionaler Investiertheit auf dem Kriegspfad ist - und zwar gegen das Recht anderer auf Gleichbehandlung. 

Zweitens wird wiederholt betont, dass es nicht das Ziel sei, zu beleidigen. Selbst wenn die Beleidigung auf dem Fuße folgt. Auch wird immer gern alle Gute gewünscht, vermutlich, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, man/frau wäre aggressiv oder auch nur unhöflich gewesen. Durch falsche Höflichkeit versuchen Trolle, das Siegertreppchen gleich von Anfang an zu besetzen. Sie werden dir ins Bein schießen, und wenn du Ihnen dann den Mittelfinger zeigst, hast du in ihrer Welt verloren, weil du nicht höflich geblieben bist.

Inhaltlich beginnt alles immer gern damit, dass frau kurzerhand die Opferrolle an sich reißt:

Frau XY: Das sind aber ganz schön viele Vorurteile Menschen gegenüber, die nicht dick sind.......Das meiste in dem Text sind Vermutungen und Unterstellungen (...) denn nicht alle Menschen halten "Dicke" für dumm, faul und/oder hässlich. Es soll tatsächlich Menschen geben, denen der Charakter wichtiger ist als die Figur.

Ich: Nein, natürlich nicht alle. Aber im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang verbessert das die Situation von Dicken leider nicht wirklich. Und das bilden sich Dicke nicht ein. Um Fettphobie aus nächster Nähe zu betrachten, muss frau weiterhin nichts Anderes tun, als den Fernseher einzustellen oder eine Frauenzeitschrift zu öffnen. Oder - in vielen Fällen - mit ihren Freundinnen Kaffee trinken und ihnen dabei zuhören, wie sie darüber klagen, zu dick zu sein. Dabei bemerken sie oft gar nicht, dass ihnen ja eine dicke Person gegenüber sitzt. Die meinen das dann nicht einmal böse. Die Angst vor dem Fett sitzt nur so verdammt tief.

Ich fand das (für meine Verhältnisse) wirklich diplomatisch. Aber es kam sofort, wie es kommen musste - der Verweis auf die vermeintliche Gefahr für die Gesundheit, also DIE Nahkampfwaffe aller Fat-Shamer*innen. Außerdem setzt augenblicklich die Belehrung der dicken, doofen Frau ein, dass sie an ihrem Unglück ganz allein schuld ist und die Welt einfach nur deshalb falsch versteht, weil sie mit sich selbst eben nicht zufrieden ist.

Frau XY: (...)ich selbst bin normalgewichtig und möchte nicht übergewichtig sein. (...) Das bedeutet jedoch nicht, dass ich erwarte, dass alle so denken wie ich. In meiner Familie und im Bekannten-/Freundeskreis gibt es Menschen die ganz dünn sind und stark Übergewichtige. Wenn das Thema Übergewicht mal zur Sprache kommt (...), dann geht es immer um die Gesundheit oder die körperlichen Einschränkungen, NIE um das Aussehen/Äußere. Mein Gefühl (und meine Erfahrung) ist, dass häufig Negatives in Gesagtes interpretiert wird. Häufig scheinen das Menschen zu sein, die selbst mit sich unzufrieden sind.(...)

Ich: (...) Allein der Gebrauch der Begriffe Normal- und Übergewicht zeigt ja, dass an Dicken offenbar etwas "unnormal" ist. Auch aus der Sicht von jemandem, dem der Körperumfang doch eigentlich egal ist.

An diesem Punkt ist das Repertoire der meisten Fat-Shamer*innen im Prinzip bereits erschöpft. Wenn frau mal von offenen Beleidigungen absieht. Es umfasst tatsächlich nicht viel mehr als das:

1. Das Betonen der eigene Opferrolle - hervorgerufen dadurch, dass sie vermeintlich nicht oder falsch verstanden werden. Denn auch das ist stets die Schuld des Gegenübers.
2. Verharmlosung von Diskriminierung, bzw. die Weigerung anzuerkennen, dass Menschen Erfahrungen mit Diskriminierung haben, die man/frau selbst nicht hat und darum nicht persönlich kennt. (siehe: Thin Privilege)
3. Belehrung von oben herab, dass Dicke es selbst in der Hand haben, wie sie sich fühlen und von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Zum einen könnten sie ja abnehmen. Zum anderen könnten Sie auch einfach ihre negative Einstellung ändern, denn dann würde die Welt sie auch besser behandeln. (Hier schwingt immer gern Esoterik mit, bzw. die gute alte Schule des gezielten positiven Denkens, von dem wir mittlerweile alle wissen sollten, dass es nicht nur nicht funktioniert, sondern auch psychisch regelrecht krank machen kann.)
4. Dicksein ist in ihrer Welt auf jeden Fall schlecht für die Gesundheit und das gibt jedem und jeder das Recht, sich in die Angelegenheiten von Dicken einzumischen, um sie vor sich selbst zu schützen.
5. Bezweifeln, dass ein dicker Mensch sich überhaupt, so wie er ist, wohlfühlen kann.
6. Betonen, dass man/frau Dicken ja nicht zu nahe treten will bzw. nichts gegen Dicke hat, ABER...

Ab hier kann frau dann nur noch mit Variationen der immer gleichen Motive rechnen.

Frau XY: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht....."Normalgewicht".... Allerdings lese ich dort eine Unterstellung heraus.?! (...) Horch doch einmal in dich hinein und sei ehrlich zu dir selbst. Auch in mir siehst du eine Böse, statt es positiv zu sehen. Schade...

Ich: Diskriminierung ist keine Einbildung. Bei dem Thema geht es um etwas mehr als blöde Blicke und unbedachte Bemerkungen. Noch nie darüber nachgedacht? Dann ja vielleicht jetzt.

Frau XY: Neee, da gibt es wichtigere Dinge, über dich gewillt bin nachzudenken.Das Leben ist immer das was jede/r Einzelne daraus macht. Wer es sich unnötig schwer macht (...) muss selbst damit klar kommen. (...) Wer sich liebt (...) wie er/sie ist, wird auch positiv durchs Leben gehen. Die Fehler (...) bei anderen Menschen zu suchen ist einfach. (...) Darüber könntest du vielleicht mal nachdenken, wenn es dir wichtig genug ist. (...)

Ich muss zugeben, jetzt wurde ich langsam doch ein wenig knatschig, obwohl ich mich ja bewusst in den Austausch begeben hatte.

Ich: Oh, du große Göttin. (...) Dass das Leben das ist, was man daraus macht, kannst du ja auch gern mal einem hungernden Kind in der Sahelzone erzählen. Das Leben ist Zufall. Und du hast offenbar Glück gehabt, dass du so locker über Benachteiligung reden kannst. Entweder, weil du keine Erfahrung damit hast, oder nicht darunter leidest, bzw. dahingehend resilienter bist als andere. Aber auch das ist dann Glück.

Frau XY: Nun ja, du bist meinen Argumenten ausgewichen und wirst nun leider unsachlich. Dann fühlst du dich vielleicht ganz wohl in deiner dir selbst auferlegten "Rolle". (...)

Ich: Welche Argumente? Dass Dicke selbst an ihrer Diskriminierung schuld sind? Das ist tatsächlich ganz genau das, was Fettphobiker immer irgendwann sagen. Es ist sozusagen ihre Vereinslosung.

Frau XY: Es liegt mir fern,mich zu streiten ohne Dir meine Meinung aufzwingen zu wollen. In deinem letzten Kommentar interpretierst du meine Kommentare und ich bin sprachlos.(...) Nicht jeder Mensch ist die negativ gesinnt. Mein Eindruck ist, dass du regelrecht danach suchst. (...) Wer sich so akzeptiert wieder/sie ist, ist auch nicht angreifbar. (...)

Ich: Es bringt auch nichts, den gleichen falschen Sermon immer und immer wieder auszuschütten (...). Wie willst du denn z.B. einer Frau mit dunkler Hautfarbe erklären, dass ihre Diskriminierung, die du hoffentlich nicht auch relativieren würdest, mit ihrer Selbstliebe zusammenhängt? Bitte, komm gar nicht erst auf die Idee.

Needless to say - natürlich kam sie auf die Idee. Und so kam es dann auch zu einem bemerkenswerten Finale. Danach nahm sie mir, wie erwähnt, die Möglichkeit, ihr erneut zu antworten. Ich habe unsere Unterhaltung auf Facebook inzwischen gelöscht, damit man sie nicht identifizieren kann. Obwohl ich bei meinen Leser*innen nun wirklich nicht befürchten müsste, dass sie ihr nachstellen. ; )

Nun, vielleicht ist ihr das Aussehen von Menschen auf gönnerhafte Weise wirklich nicht wichtig. Dass Hautfarbe oder Körperumfang keine Rolle spielen dürften, steht außer Frage. Trotzdem hält sie es in ihrem letzten Kommentar für auffällig nötig, das noch einmal zu betonen, so als hätte ich, die doofe Dicke, schon wieder etwas nicht verstanden. Irgendwie kann ich hier ziemlich klar das Echo von "Ich habe ja nichts gegen Dicke (Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind), aber..." hören. Es ist schon bemerkenswert, wie konsequent die ungerechte Lebensrealität anderer offenbar ausgeblendet bzw. händewedelnd abgetan werden kann, wenn man/frau selbst nicht betroffen ist.

Frau XY: Diskriminierung ist etwas ganz Schlimmes (...). Eine Frau mit dunkler Hautfarbe hat eine dunkle Hautfarbe.....na und? Der Mensch zählt, der Charakter (...) Und das muss die betroffene Person verstehen. (...) Ich weiß nicht wie alt du bist.....vielleicht fehlt ein wenig Lebenserfahrung (Anmerkung der dicken Dame: Hahaa, ja klar. In meinen Träumen.) Respektlos finde ich, dass du meine Meinung als falsch abstempelst. (...) Allerdings stellst du dich damit auf eine Stufe mit den Menschen, die du hier "anklagst". Du wertest...(...) Habe nun Besseres zu tun und wünsche dir, dass du zumindest über meine (...) Anregung nachdenkst. Vielleicht kannst du dann etwas positiver durchs Leben gehen. (...) Dann wirst du gar nicht mehr so viele "Diskriminierungen" erleben.


Und jetzt ein paar Worte zur Selbstliebe

Nachdem vielen von uns ein Leben lang eingehämmert worden ist, dass sie im falschen Körper unterwegs sind, der der Welt obendrein angeblich lauter Negatives über die Persönlichkeit der Körperinhaberin verrät, ist sie oft ein sehr hart erkämpfter Schatz, wenn frau sie erlangt hat. Ein positives Selbstbild, Selbstakzeptanz oder Selbstliebe puffern und schützen und machen es uns leichter, in in einer fettphobischen Welt unser Leben selbstbewusster, freier und mutiger zu leben - oder an manchen Tagen auch nur zu überleben. 

Darum bin ich tatsächlich davon überzeugt, dass es ein sinnvolles und lohnendes Ziel ist, seine Selbstakzeptanz zu entwickeln und zu stärken. Denn natürlich müssen wir jetzt gerade in der Welt zurechtkommen, in der wir uns augenblicklich befinden. Ich gebe dazu hier ein paar Tipps zum Einstieg. Für die meisten von uns ist Selbstakzeptanz aber auch ein langwieriges Projekt - vermutlich mit einigen Rückschlägen. Davon kann ich in der Tat ein langes Lied singen.

Eine Verpflichtung dazu, sich selbst zu lieben oder zu akzeptieren hat allerdings niemand. Genauso wenig, wie es eine Verpflichtung zum Aktivismus oder zu politischer Mitarbeit gibt. Und was stets klar sein muss, ist, dass wir nicht schuld daran sind, wenn wir uns mit unserem Körper und unserem Selbstbild als Dicke im Krieg befinden. Wir wären nie von allein darauf gekommen, unsere Körper nicht zu mögen, wenn wir es nicht durch die Welt beigebracht bekommen hätten. Wir sind obendrein nicht dafür zuständig, uns mit ausreichend stabiler emotionaler Rüstung auszustatten, nur damit für alle anderen alles so bleiben kann, wie es ist.

Ich verwende den Vergleich immer wieder gern: Sich Selbstakzeptanz zu erarbeiten und zu erhalten ist für Dicke in unserer Gesellschaft wie unter einem Wasserfall schwimmen zu lernen. Die Missachtung, Respektlosigkeit und Diskriminierung durch Gesellschaft, Medien und Politik hören nicht auf, während wir versuchen, einen freundlichen Blick auf uns selbst zu entwickeln. Wir arbeiten also daran, gut zu uns selbst zu sein, während Vorurteile und Verächtlichmachung uns weiterhin auf den Kopf prasseln. Das ist ein ziemlicher Kraftakt.

Selbstakzeptanz entfaltet jedoch keine magische Wirkung im Außen. Schon gar nicht grundlegend im Hinblick auf die Benachteiligung von dicken Menschen. Das tun nur Protest und klar geäußerte Forderungen. Da draußen muss sich etwas ändern. 


NH

Vielleicht braucht ihr ja frischen Lesestoff :) - den gäbe es hier:


Freitag, 6. Dezember 2019

Adventsblog 4: Ich komme nicht ins Fernsehen


Weil ich zu dünn bin. Ungelogen. In der Redaktion, die verantwortlich zeichnet für "Dickes Deutschland - Unser Leben mit Übergewicht" (ein Sendeformat für RTL2), hatte man offenbar meinen BMI ausgerechnet, und um eine geeignete Kandidatin für die sogenannte "Sozialreportage" zu sein, hätte er bei 50 liegen müssen. War aber nur 39.

Ich hatte mithin nicht darum gebeten, überhaupt in die Auswahl zu kommen. Bevor ich eine Anfrage von der Redaktion bekam, hatte ich noch nie etwas von der Sendung gehört. Die Mail versprach: "Kein Drehbuch, kein Scripting - nur die wahre Geschichte." Und ich dachte, ihr habt doch schon wieder nicht die leiseste Vorstellung, mit wem ihr es zu tun bekämt, wenn ihr euch wirklich dafür entscheiden würdet, mit mir zusammenzuarbeiten. Denn das ist in der Regel so: Die meisten, die eine Kooperation vorschlagen, haben vorher sehr wahrscheinlich nicht viel mehr von mir gelesen und gesehen als den Titel des Blogs. Da steht etwas von "dicker Dame". Auf dem Foto daneben ist eine dicke Frau - das muss reichen. Die Dicke schreibt mit uns bestimmt gern ein Buch über "Gewichtsmanagement" oder rezensiert garantiert gern mein Buch über Esssucht. Und bestimmt lässt sie sich gern dabei filmen, wie sie sich morgens halbnackt aus dem Bett rollt, mitten in der Fußgängerzone in Mieder und BH für Fotos posiert oder sich ein Magenband einsetzen lässt. Oft sind Anfragende beleidigt, wenn ich Ihnen erkläre, dass sie sich vertan haben. Überrascht sind sie immer.

Im Falle von "Dickes Deutschland" rief ich allerdings zurück und sagte, ich würde mitmachen - unter der Voraussetzung, dass ich im Blog ganz genau über die Dreharbeiten berichten könne. Angeblich hätte ich das gedurft. Auch als ich anklingen ließ, dass ich gern dabei wäre, weil ihrem ausbeuterischen und voyeuristischen Format etwas Fettaktivismus und Medienkritik durchaus gut zu Gesicht stünden, war die Unterhaltung keinesfalls schlagartig beendet. Vielmehr folgte noch das lange Abarbeiten eines Fragebogens. Gehen Sie gern schwimmen?  Eher selten. Gehen Sie tanzen? Nie. Haben Sie gesundheitliche Probleme? Nein. Würde Ihr Partner mitmachen? Eher friert die Hölle ein. Was essen Sie gern? Gemüse. Würden Sie eine Magen-OP für sich in Betracht ziehen? Nein. Erstaunt war ich über die Frage, ob ich finanzielle Probleme hätte...dick und arm? Ernsthaft? Ist das wirklich noch immer die Erwartung der Zielgruppe?

Na schön, im Rückblick lässt sich leicht erkennen, dass mein Plan der halboffenen Unterwanderung nicht erst an meinem BMI scheiterte. So offen und menschenfreundlich-progressiv die nette Frau aus der Redaktion vielleicht auch sein wollte (sie war neu in dem Team und fürchterlich nett sind die Anfang immer alle) - natürlich war ich für ihre Zwecke kein Material für störungsfreie Drehtage. Vielleicht lag es aber auch schlicht daran, dass ich mich im Bewerbungsvideo, das ich dann doch zusätzlich noch einreichen sollte, nicht mehr an den Titel der Serie erinnern konnte...wer weiß. ; )

NH


Samstag, 30. Januar 2016

Dicke Frauen erfahren (noch viel) mehr Stigmatisierung als gedacht

In der Februar-Ausgabe des Journal of Health Psychology wird eine Studie veröffentlicht*, die von WissenschaftlerInnen** der Western New England University und der University of Connecticut durchgeführt wurde um festzustellen, wie viel Stigmatisierung dicke Frauen aufgrund ihres Dickseins im Alltag regelmäßig erleben.

Anders als vorangegangene Studien mit ähnlicher Zielsetzung wurden dicke Frauen diesmal nicht nur über ihre Erfahrungen in der Vergangenheit befragt, sondern gebeten, ein Tagebuch darüber zu führen, wie oft sie sich im Verlauf von einer Woche wegen ihres Gewichtes stigmatisiert fühlten. Die Stigmatisierung von Dicken kann im Alltag viele Formen annehmen: Persönliche Beleidigung und Herabsetzung, physische Barrieren (ich berichtete), schlechtere Chancen bei der Jobsuche, etc. Der Einfluss der zumeist negativen Darstellung von Dicken in den Medien und das tägliche Bombardement mit dünnen Schönheitsstandards wurden in der vorliegenden Studie mithin gar nicht erst berücksichtigt.

Die 50 Teilnehmerinnen der Studie waren im Schnitt 38 Jahre alt und hatten einen BMI von 42,5. 40% von ihnen hatten Ehemänner, ein Drittel hatte eine akademische Ausbildung und 90% waren weiß. Sie erhielten eine umfangreiche Liste mit stigmatisierenden Beispielsituationen und sollten jeden Abend notieren, welche davon ihnen am Tag persönlich widerfahren waren.

Das Ergebnis war sehr viel gravierender, als das wissenschaftliche Team im Hinblick auf die Resultate vorheriger Studien erwartet hätte: In der einen Woche registrierten die dicken Frauen 1077 stigmatisierende Vorfälle. Damit hatte jede Frau im Durchschnitt pro Tag drei Begebenheiten notiert. 84%  von ihnen hatten sich mit einer zu engen Welt, also physischen Barrieren wie z.B. Stühlen in Restaurants herumgeschlagen, 74% hatten sich dumme Bemerkungen oder Beleidigungen gefallen lassen müssen (in der Mehrzahl von Bekannten und Familienmitgliedern), 72% waren unangenehm angestarrt worden, aber dafür gaben "nur" 12% an, wegen ihres Dickseins körperlich attackiert worden zu sein (!?!WTF!?!). Je höher der BMI einer Frau, desto gefährdeter war sie, Stigmatisierung zu erleben. Das galt auch für Frauen mit höherem Alter oder mit einer weniger qualifizierten Ausbildung.

Was die AutorInnen der Studie weiterhin untersuchten und herausfanden, bestätigt das, was schon länger als wissenschaftlich gesichert gilt. Der Stress der ständigen Stigmatisierung und Herabsetzung macht Dicke nicht nur nicht dünner, er macht sie kränker. Nicht nur körperlich sondern vor allem und, wenig überraschend, auch psychisch.

Tatsächlich ist eine Schlussfolgerung der Studie, dass Fat-Shaming in all seinen Formen bei den Betroffenen zu einem erhöhten Risiko führt, an Depressionen und Essstörungen zu erkranken. Auch führt Stigmatisierung mitunter dazu, dass Betroffene ihren verhassten Körper in der Tat vernachlässigen und z.B. bei echten Erkrankungen nicht mehr zum Arzt gehen. Darüber hinaus senkt Fat-Shaming deutlich die Freude an/den Mut zu sportlicher Betätigung, und die ist, anders als Abnehmen, vermutlich schon von gesundheitlichem Nutzen.

Stigmatisiert? Ich?

Ich habe ja immer wieder mal gesagt, dass ich mit offener Feindseligkeit was mein Dicksein angeht, eher wenig Erfahrung habe. Das soll nicht heißen, dass ich gar keine Erlebnisse gehabt hätte und diese mir auch heute noch nachhängen. Aber Menschen haben mich nur sehr selten auf freier Wildbahn beleidigt, und wenn sie starren, ist es mir ehrlich nicht bewusst. Wobei ich eigentlich glaube, dass ich es wahrnehmen würde, wenn es so wäre.

Die Hauptaggressoren waren bei mir, wie bei den dicken Frauen der Studie, meine Familie. Meine Eltern, um genau zu sein. Die Liste der täglichen Verletzungen die ich im Verlauf meiner Kindheit und bis ins hohe Erwachsenenalter (meine Mutter starb, als ich 38 war) ausgehalten habe, würde gefühlt einmal um den Erdball reichen.

Heutzutage sind es eher (mehr oder weniger) unbedachte Äußerungen von anderen über ihre Körper, die sie zu dick finden, oder über die Schwierigkeit im Allgemeinen, nicht "zu dick" zu werden, die mir regelmäßig begegnen. Manchmal frage ich mich, ob ich bei solchen Gesprächen gar nicht oder nur nicht als dick gesehen/wahrgenommen werde. Vermutlich hat sich das abfällige Geplapper über den Kampf gegen das Fett so in unsere DNA gefressen, dass es den Mund überall und in jeder Gesellschaft so unreflektiert verlässt wie Spucketröpfchen. In jedem anderen Fall würde es uns wahrscheinlich auffallen, dass wir das Gegenüber gerade so richtig fies überrollen. Wer würde einer Frau im roten Kleid auf einer Party gegenüber stehen und völlig arglos einen langen Vortrag darüber halten, was für eine schreckliche Farbe Rot ist?

Und natürlich ist der sicherste Weg, regelmäßig die aufschlussreiche Erfahrung anonymen Fat-Shamings zu machen, ein Blog für Fettakzeptanz zu betreiben. Oder sich bei einem Online-Dating-Portal anzumelden.


NH

* Erstveröffentlichung war bereits 2014.
**Jason Seacat et. al.

Sonntag, 22. November 2015

Würde ich wieder ein dickes Leben wollen?

"Being fat has been a gift -

and it has been worth it." 

Meghan Tonjes 

Die Sängerin und Fettaktivistin Meghan Tonjes hat ein Video veröffentlicht, in dem sie darlegt, dass sie ihren Lebens(ver)lauf, der durch ihr Fett entscheidend geprägt wurde, heute als stimmig und gar als Geschenk begreift. Das Dicksein als grundlegendes Hindernis hat sie im Leben zu Höchstleistungen angespornt, denn sie wollte die Peiniger ihrer Kindheit nicht gewinnen lassen. Sie hat sich sozusagen dadurch "gerächt", dass sie heute trotz aller Widrigkeiten ein "schönes" Leben hat. Obendrein ist sie dankbar dafür, dass die negativen Erfahrungen, die sie gemacht hat (und sie zählt all das Ungemacch auch auf), sie heute in die Lage versetzen, anderen Dicken zu helfen und um gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen. Sie sagt, all die Mühen und Traurigkeit waren es am Ende doch wert. Und sie würde sich immer wieder für ihr dickes Leben entscheiden - genau so, wie es eben war.

Würde ich noch einmal genau das gleiche dicke Leben wählen, wenn ich wählen sollte/könnte?

VERDAMMT, NEIN! Ich bin doch nicht verrückt! Die romantische Idee vom besseren Ich, das aus dem Leiden hervorgeht - zur Hölle damit! Was einen nicht umbringt, macht einen vielleicht stärker. Fröhlicher, zumindest meiner Erfahrung nach, eher nicht. Wieso um alles in der Welt sollte sich irgendwer wünschen, noch einmal zur Außenseiterin zu werden und das durch die gesamte Schulzeit hindurch aushalten zu müssen? Warum sollte ich mich abermals selbst hassen und vor der Welt verstecken wollen? Warum sollte ich mich dafür entscheiden, vor der schier unlösbaren Aufgabe zu stehen, mich noch einmal mit einem Selbstbewusstsein, das die meiste Zeit meines Lebens im Keller war, beruflich irgendwie zu etablieren? Warum sollte ich mir freiwillig erhebliche Einschränkungen bei der Partnersuche einhandeln? Oder Angst davor, zum Arzt zu gehen? Peinlichkeit? Groll? Probleme beim Kleiderkauf? Befürchtungen, nicht in den Kinosessel zu passen? Abfällige Blicke? Als Neutrum wahrgenommen, oder gleich ganz von der Welt ignoriert zu werden? Nein, tut mir leid: Wenn ich wählen könnte, käme ich beim zweiten Durchgang dünn auf die Welt. Körbchengöße und Gesicht dürften so bleiben, aber insgesamt wäre ich außerdem sehr viel lieber etwas dümmer und dafür besser gelaunt.

Nur damit das auch gleich klar ist: All das oben Gesagte heißt übrigens nicht, dass Dünnsein auch heute noch auf meiner Wunschliste stünde, käme eine gute Fee vorbei.

Ich verstehe und teile Meghan Tonjes' Überzeugungen - und jemand muss die Arbeit einer Fettaktivistin tun, wenn sich irgendetwas ändern soll. Sie hat diese Arbeit und die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hat, als etwas empfunden, das sie ausreichend entschädigt hat für Anfeindungen, Enttäuschungen, Hindernisse und Lebensversäumnisse. Aber nicht jeder ist so stark wie sie. Ich bin es sicher nicht. Und Menschen sollten sich meiner Auffassung nach grundsätzlich nicht mit Demütigung und Diskriminierung herumschlagen müssen, egal wie sehr das die Persönlichkeit bildet und den Boden bereitet, auf dem eine womöglich zur Überfliegerin werden kann.

Im Prinzip sind diese Überlegungen natürlich ohnehin komplett müßig. Niemand wird fragen, ob wir das Ganze noch einmal machen wollen und wie. Die Dinge sind wie sie sind. Genau genommen ist das natürlich auch immer das Tragische an Lebensläufen, die sinnloser Herabsetzung, Diffamierung und Selbstverachtung zum Opfer fallen. Das hier ist keine Generalprobe.

Und um noch einmal selbst darauf zu kommen, welche Bedeutung Fettakzeptanz für mich hat (und gesellschaftlicher Aktivismus an sich): Es geht aus meiner Sicht durchaus vorrangig darum, zukünftige (dicke) Lebensläufe zu retten. Inwieweit man sich selber retten kann, wenn das eigene Leben schon halb rum ist, bleibt, zumindest in meinem Fall, weiterhin abzuwarten.

NH

Samstag, 31. Oktober 2015

Was bedeutet Fettakzeptanz für euch?

In Anlehnung an die Internetaktionen Who needs feminism? (I need feminism, because...) / Wer braucht Feminismus? machten sich vor ca. zwei Jahren US-amerikanische Bloggerinnen daran, entsprechende Aussagen zu I need fat acceptance zu sammeln. Wenn ich recht gegoogelt habe, gab es eine solche Umfrage bzw. Aktion auf Deutsch nicht.

Und das hier soll eigentlich auch keine werden. Zumindest habe ich im Augenblick nicht den Plan, eigens eine Website anzulegen. oder so etwas in der Art. Aber interessieren würde es mich als fettaktivistische Bloggerin natürlich sehr, wie relevant das Thema, mit dem wir uns hier am Strand mittlerweile seit ein paar Jahren schwerpunktmäßig beschäftigen, für euch ist.

Darum würde ich mich sehr über Feedback / Kommentare freuen: Ist Fettakzeptanz für euch wichtig und warum (oder eben nicht)?

NH


Sonntag, 18. Oktober 2015

Warum hassen manche Ex-Dicke Dicke?

"The worst kind of fat haters are the ex-fat people."*




VORSICHT: NICHTS ALS UNGEHALTENES GEMECKER

Ich gebe die Antwort auf die in der Überschrift gestellten Frage am besten gleich. Die Sache ist nämlich ganz einfach: Weil sie sich selbst hassen.

Sie haben sich als Dicke gehasst, sie hassen die Erinnerung an ihr vormals dickes Ich - und sie haben eine Scheißangst, wieder dick oder in der nächsten Runde noch dicker zu werden. Diese Angst, wie wir alle wissen, ist mehr als berechtigt. Statistisch stehen die Chancen, das Ergebnis einer Diät über fünf Jahre zu erhalten denkbar schlecht. Je nach Studie schaffen das nur bis zu 5%.

Für die, die es schaffen wollen, muss die Diät zwangläufig zur Lebensaufgabe werden. Auch das verkraftet die eine Kandidatin besser, die andere schlechter. Getrieben von oben erwähnter Scheißangst, wieder dick zu werden, werden einige anderen Dicken gegenüber nicht nur denkbar biestig, sondern entwickeln den flammenden Fanatismus und das groteske Missionierungbestreben wiedergeborener Christen.

Und wenn man sich nach erfolgreichem und größerem Gewichtsverlust ohnehin lebenslang Tag für Tag mit Ernährungsprogrammen, mit Verboten, Reglementierungen und der eigenen immer wieder dazwischenfunkenden Willensschwäche auseinandersetzen muss, liegt es oft auch schlicht nah, Diäten kurzerhand zum Beruf zu machen und z.B. zum "Coach" für andere Abnehmwillige zu werden - auf die Weise muss man sein Diät-Universum nicht einmal mehr verlassen, um Geld zu verdienen.

Sie haben das Licht gesehen, aber wissen, dass sie nie ganz aus dem Tunnel herauskommen werden. Zudem befinden sie sich auf einem Laufband, das sie im Tunnel fortwährend in die entgegengesetzte Richtung zu fahren droht, so dass sie sich wirklich keine Verschnaufpause gönnen können, wenn sie nicht auf direktem Wege wieder in der fetten Hölle landen wollen. Bei so einer Perspektive für die Zukunft kann man schon mal grantig werden. Das verstehe ich sogar ziemlich gut. Aus eigener Erfahrung.

Natürlich kann es auch sein, dass das Dünnsein sie schlicht nicht für all die Strapazen, die sie auf dem Weg zur Erschlankung überstanden haben und weiterhin überstehen werden müssen, entschädigt. Auf anderen Dicken herumzutrampeln und sich selbst so zu erhöhen, ist sozusagen ein Bonus, dessen sie jetzt, da sie nicht mehr (ganz so) dick sind, habhaft werden können, und den sie gierig an sich raffen, weil ihr dünnes Leben ansonsten gar nicht so abhebt, wie sie sich das vielleicht gedacht haben.

Den Anlass für diesen Beitrag (wenn auch bei weitem nicht den einzigen für meine allgemeine Verstimmung) lieferte ein eigentlich komplett neutraler und freundlicher Kommentar einer Leserin, der dann aber von mir nicht freigeschaltet wurde, weil er einen Link zu ihrem Blog enthielt. Auch das wäre eigentlich kein Problem gewesen, wenn es sich nicht um ein äußerst rabiates Diät-Blog handeln würde, dessen ehemals dicke Autorin es insbesondere mit dem Missionieren und dem Dicken-Bashing verdammt ernst meint.

Bei ehemals dicken Dickenhasserinnen kommt das Fat-Shaming dann immer gern aus der selben Richtung, aus der es beim Rest der fettphobischen Gesellschaften auch kommt: Weil es ja unter Erwachsenen irgendwie nicht mehr so richtig zulässig ist, jemandem zu sagen, dass sein Fett schlicht hässlich und grässlich ist, muss das Gesundheitsargument als moralisches Schutzschild und argumentative Atombombe herhalten. "Fett ist ungesund!" schreien sie uns pausenlos entgegen. Und behaupten, uns nur zu unserem Besten anzuschreien. Tatsächlich würden sie uns aber viel lieber sagen, wie unbeschreiblich widerwärtig sie unser (und ihr Fett) finden (fanden).

Und weil sie ja schließlich mal mit uns in einem Boot gesessen haben, aber dann erlöst wurden, wissen sie ganz genau über uns Dicke Bescheid. Wir sind in der Tat faul und verfressen. (Denn sie waren faul und verfressen.) Wir können uns unmöglich in unseren Fettschichten wohlfühlen. (Denn sie konnten sich in ihrer Fettschicht nicht wohlfühlen.) Dicke erfinden Ausreden, warum sie nicht abnehmen können. (Weil sie Ausreden erfunden haben.) Wir haben alle Plattfüße, ächzende Knie, Bluthochdruck und Diabetes. (Denn sie hatten all das, oder - wieder mal - eine Scheißangst, all das zu kriegen.)

Eine Bekannte sagte, vielleicht sei da auch Neid in der Mixtur. Der Neid auf die, die die Kraft aufbringen, sich gegen den Abnahmezwang zu stemmen und sich nicht mehr von Angst und Anpassungsbedürfnis in den Tunnel saugen zu lassen. Wer weiß.

Ich plane bekanntlich auch, noch einmal eine Diät zu machen. Hier am Strand gilt natürlich noch immer und immer wieder, dass jeder mit seinem Körper tun und lassen soll, was er will. Aber er soll verdammt noch einmal auch alle anderen machen lassen, was sie wollen. Selbst wenn Dicksein ungesund wäre - READ MY LIPS: Meine Gesundheit geht andere einen SCHLEIMIGEN KRÖTENKOT (hoppla, da kommt die dicke Hexe wieder durch) an.

Ich habe sie alle so satt, die nicht einfach andere anders sein lassen können. Und insbesondere die, die es aufgrund ihrer persönlichen Geschichte und ihrer eigenen Erfahrung von Herabsetzung und Diffamierung erst recht besser wissen müssten.


NH

*"Die schlimmsten Fetthasser sind die Leute, die mal dick waren."


Sonntag, 11. Oktober 2015

THE THIN PRIVILEGE PROJECT - Der Auftakt

Ich bleibe dabei: Es war eine wirklich interessante Idee, sich noch ein einziges Mal und diesmal mit vollem Bewusstsein einen "Thinsuit" überzustülpen, und das Ergebnis des Projektes hätte ausgesprochen aufschlussreich und erhellend sein können.
Trotzdem habe ich es nun endgültig verworfen. Aus dem Grund, den ich bereits früher als mögliche Begründung genannt habe: Der Mann, der heutzutage in meiner Küche steht, kocht einfach viel zu gut.

(Nachtrag vom 10. Juni, 2017)

***

So dick sehen wir uns nicht wieder. Jedenfalls nicht in den kommenden Monaten.

Ich weiß, wie es ist, dick zu sein. Denn die meiste Zeit meines Lebens galt ich als dick, oder war es tatsächlich. Ich habe "a fat mind", und ich verwende einen englischen Ausdruck in Ermangelung eines treffenderen auf Deutsch. Ich werde in meiner Interaktion mit der Welt von einem inneren, dicken seelischen und weltsichtlichen Programm gesteuert. Ich sehe alles durch eine "dicke" Brille. Daran ist nicht Verwunderliches. Wer im Kindergarten seine erste Diät macht, dem ist diese naturgemäß irgendwann auf der Nase festbetoniert. Im Unterschied zu früher, weiß ich nun, dass sie da ist, und wo sie herkam.

Ich weiß tatsächlich nicht, wie es ist, dünn zu sein. Das ist mir, wie so vieles, erst in letzter Zeit klar geworden. Aber es ist wahr. Denn ich war als Dünne immer ohne Bewusstsein. Buchstäblich wie gelähmt. Im Kopf weiter dick. Weiterhin auf der Flucht vor Spiegeln, bzw. auf Kriegsfuß mit meinem Äußeren und was meine Behandlung durch andere anging, zumeist mit nach innen gerichtetem Blick und mit der Decke über den Kopf gezogen, wie ein Kind in Gespensterangst.

Ich erinnere mich schon an plötzliche Komplimente und an das Gefühl großer, unter bitterer Entbehrung erstrittener Erleichterung, die sich hauptsächlich aus der Vorstellung speiste, dass ich dünner auch nicht mehr so unangenehm auffallen würde. Stolz war ich trotz des gewonnenen Kampfes gegen meinen eigenen Körper auf mein Post-Diät-Ich in der Regel eher nicht so sehr. Und mit den Komplimenten hatte ich immer Probleme und nahm sie eher zur Kenntnis als an - für gewöhnlich mit innerlich schnaubender Indignation und dem Gedanken: "Das könnt Ihr euch jetzt auch dahin schieben, wo die Sonne nicht scheint."

Obendrein war ich als Erwachsene ohnehin nie lange genug am Stück gleich dünn, um mich im Land von Thin Privilege einzurichten und genau umzusehen, oder um überhaupt zu begreifen, dass ich dort jetzt, zumindest theoretisch, wohnte.

Das hole ich jetzt nach. Wenn ich es schaffe.

Immer wieder mal ziehen sich dünne Leute im Rahmen eines Experiments für einen Tag einen Fat Suit an. Meistens sind sie hinterher demonstrativ erschüttert über die Behandlung, die sie als künstlicher Moppel erfahren haben. Ich kann mir immer gar nicht vorstellen, dass der Unterschied, insbesondere in so kurzer Zeit, so deutlich und offensichtlich wahrnehmbar ist. Ich bin als Dicke im Leben wenig persönlich gehänselt oder beschimpft worden - auch als Kind nicht. Meine Erfahrung dicker Stigmatisierung war immer eher dadurch geprägt, unsichtbar zu sein, ignoriert zu oder still gemieden zu werden. Leute haben hinter meinem Rücken über mein Fett geredet. Das heißt nicht, dass es auf mich keine Auswirkungen hatte.

Ich werde nun mein eigenes Experiment machen und versuchen, mir einen Thin Suit zuzulegen. Wie anders ist es wirklich dünn(er) zu sein? Wie anders wird man behandelt? Wie wird man wahrgenommen und gespiegelt? Wie viel leichter ist es, sich Gehör zu verschaffen, sich durchzusetzen oder Zustimmung zu erwirken? Wie viel freundlicher, interessierter und aufmerksamer begegnen einem andere Menschen? Wie viel mehr kann man sich erlauben, ohne automatisch die Sympathie anderer zu strapazieren/verlieren?

Thin(ner) Privilege

Thin Privilege steht für die Existenz von Bevorzugung und Vorteilen, die Menschen erleben, weil sie dünner sind als andere. Ebenso umfasst es die Abwesenheit von Stigmatisierung und Diskriminierung, die dicke(re) Menschen im Gegensatz erfahren, weil sie eben dick(er) sind. Tatsächlich greift Thin Privilege in Abstufungen: Eine dünnere Dicke kommt eher in den Genuss von Bevorzugung als eine dickere Dicke. Thin Privilege funktioniert, wenig überraschend, ganz genau dem selben Grundsatz folgend, wie unsere fettphobische Gesellschaft/Kultur auch: Je dünner desto besser.

Mehr Informationen, Beispiele und eine gründliche Erläuterung des Konzeptes "Thin Privilege" gibt es hier: This is Thin Privilege.

Versuchsaufbau

Es geht hier nicht darum, sich doch endlich all das zu holen, was einem als dicker Menschen alles entgeht. Das Ziel ist nicht, sich Vorteile zu verschaffen, indem man sich nun doch anpasst. Das ist schon deshalb nicht so, weil ich ja gar keine rechte Kenntnis habe, was mich erwarten könnte. Wie gesagt, ich leide unter ziemlicher Amnesie, was die Außenwelt in meinen dünnen Zeiten angeht. Es geht darum, heute zu guter Letzt zu begreifen, was für Vorteile Thin Privilege überhaupt mit sich bringt, und wie weitreichend sie sind. Es geht, genau genommen, um die Einschätzung des Ausmaßes der Benachteiligung, der ich als Dicke im Alltag in sämtlichen Lebensbereichen ausgesetzt bin und war, indem ich mir die Erfahrung des Gegenteils aus erster Hand verschaffe.

Für all das muss ich abnehmen. Klar. Das an sich bedeutet ja mittlerweile keinen totalen Bruch mit meinen Grundsätzen mehr, weil ich im Bemühen, meinen Zuckerwert unter Kontrolle zu bringen, gezwungenermaßen ohnehin seit geraumer Zeit möglichst wenige Kohlenhydrate esse und mein Gewicht nach und nach reduziere. Für das Experiment wäre es allerdings günstig, etwas schneller Gewicht zu verlieren. Idealerweise sollten Leute die Veränderung plötzlich und deutlich mitbekommen und keine Zeit haben, sich graduell daran zu gewöhnen.

Wie viel dünner muss ich wohl werden, um Thin Privilege zu erleben? Nun, auch das werde ich auf diesem Wege wohl herausfinden. Ich weiß ja, wie man abnimmt. Das wissen schließlich alle Dicken. Und natürlich weiß ich alles über die Risiken. Nicht zuletzt bin ich mir über die fette Chance auf einen erneuten Clash mit Jojo sehr wohl bewusst. Und erst die Haut, oh, die Haut, die bei all dem Auf und Ab immer so leidet... Trotzdem - die Diät wird hier nicht zu Thema werden. Jedenfalls nicht im Hinblick darauf, wie ich abnehmen werde. Höchstens könnte ich die psychischen Auswirkungen stark reglementierter Ernährung thematisieren, denn auch hier gilt das, was für das Dünnsein ebenso stimmt: Ich habe nie wirklich darauf geachtet, was eine Diät mit der Seele eigentlich alles macht. Am liebsten war es mir bei Diäten natürlich immer, dass die Seele möglichst wenig Theater veranstaltet. Das ist ja auch, wie ich heute vermute, das berühmte "Klick", das es einem erlaubt, eine Diät durchzuhalten: das Klicken, wenn sich die rebellische Seele selbst ausknipst.


P.S. Und morgen nun Speed Dating. Und ich hab keine Ahnung, was ich anziehen soll. Oh Göttin...


NH

Sonntag, 9. August 2015

Noch eine Runde BODY SHAMING BULLSHIT BINGO!

Irgendwie lustlos vor mich hindümpelnd bin ich beim Surfen auf YouTube auf Fernsehsendungen zum Thema Diäten gestoßen, was natürlich nicht sehr schwer ist. Weil ich ja keinen Fernseher habe, und mir damit in den letzten Jahren so ziemlich alles entgangen ist, was in dem Kasten passiert, wurde ich plötzlich wach und hellhörig, als mir das systematische, unbelehrbare und perfide Body Shaming zu Augen und vor allem zu Ohren kam, dass da offenbar in sogenannten Reportagen und Dokumentationen stattfindet.


Also habe ich einfach mal gesammelt - despektierliche, herabsetzende Textfragmente nur aus den Off-Kommentaren (das, was die gezeigten Personen gesagt haben, habe ich gleich gar nicht berücksichtigt, denn das hätte jeden Rahmen deutlich gesprengt).

Ich habe mir jeweils nur die ersten zehn Minuten (!) von drei Programmen zum Thema Diät angesehen, wobei die Erwartung gewesen wäre, dass das "Niveau" der Quellen von eins (Pro 7) über zwei (SAT 1) bis drei (ZDF) steigt. Es hat sich herausgestellt, dass das nur bedingt so ist. Beim Thema Körperfett schenken sich die Kanäle und Formate im Bullshit Bingo und beim Body Shaming nicht wirklich viel.

Alle Ausschnitte waren schon ein paar Jahre alt - ich bin nicht sehr optimistisch, dass es im Fernsehen inzwischen anders aussieht.

1. Pro 7 - U20 - "Deutsche übergewichtige Teenies" 

Massives Übergewicht, schämt sich, Frustfressen, gute Vorsätze mal wieder über Bord, verputzt munter fettige Pizza, Molly-Maße, angewidert, unförmiger Körper, überall quellen dicke Fettringe hervor, Gewabbel, Kalorienbomben, Walross in Baumwolle, quetscht sich in das Oberteil, jeder Versuch endet im Desaster, strapaziert die Nähte, Fresslust im Bauch, Frust in Fett ertränken, Fressattacke, das schlechte Gewissen, Abspeckkur, kann ihren Schweinehund nicht überlisten, faul vor dem Computer geflätzt.

2. SAT 1 - Akte 07 - "Schlank im Schlaf"

Schämt sich, Überwindung, Problemzone, leidet an Übergewicht, isst angeblich wenig, unkontrollierte Heißhungerattacken, auch wenn sie es nur ungern zugeben, literweise Limonade, noch dicker, wieder Hoffnung, schlank werden und dann endlich ganz normal leben.

3. ZDF Info - "Fett weg!"

Stark übergewichtig (94kg, Anm. d. Dicken Dame), großes Problem, deutlich zu dick, hoffen auf ein Wunder, durch starkes Übergewicht entstehen jährlich Kosten in Höhe von, Fettleibigkeit, ein gesellschaftliches Problem, wird dick und dicker, deutlich zu viel, was er da so in sich reinstopft, schiebt seinen gewaltigen Bauch stolz vor sich her, viel zu reichlich, gewaltiges Übergewicht, Ehefrau nicht gerade begeistert, ebenfalls ein Schwergewicht.

Und dann stand ich doch gestern vor dem Süßigkeitenregal und stellte fest: Sogar Schokolade betreibt heutzutage Body Shaming bzw. moralisiert!

Wie sagte Peter Lustig immer: "Ihr könntet also genauso gut schon mal abschalten."

NH

Donnerstag, 11. Juni 2015

Ich bin nicht schwanger. Ich bin dick.*

Beim Surfen im Internet und auf Fat-Acceptance-Seiten bin ich auf ein T-shirt mit obigem Zitat gestoßen. Es wird *Benazir Bhutto zugeschrieben. Die ehemalige Premierministerin Pakistans soll sich so gegen die unangebrachten Nachfragen von Journalisten gewehrt und außerdem noch hinzugefügt haben: "Und als Premierministerin ist es auch mein gutes Recht, dick zu sein, wenn ich das will."

Wir hier arbeiten ja mittlerweile auf Hochtouren daran, zu verinnerlichen, dass wir in dieser Hinsicht alle Benazir Bhutto sind, und alle das Recht haben, so zu sein, wie wir sein wollen. Und wie unsere Körper sind, geht andere einen feuchten Dreck an.

Dass dicke Frauen für schwanger gehalten und darauf dann auch noch angesprochen werden, ist ein gängiges Vorkommnis im Fundus der Demütigungen, die Dicken regelmäßig und offenbar weltweit widerfahren. Mir selbst ist es auch passiert: Ich war fünfzehn und nicht dick, aber bekleidet mit einem großen Schlabberpullover, weil ich ja immer dachte, ich sei dick und damit außerdem automatisch zu hässlich, um vollständig gesehen zu werden. Eine aufdringliche und offenbar komplett umnachtete Verkäuferin robbte sich breit grinsend an meine Mutter und mich heran und unterstellte meiner perplexen Mutter, dass sie "sich doch sicher freue, bald Oma zu werden". Mir ist immer mal wieder aufgefallen, dass Menschen, die nie von ihrer Umwelt für "zu dick" gehalten wurden, entsprechende Attacken und Peinlichkeiten aus dem Hinterhalt zunächst gar nicht so recht als solche begreifen, wenn sie mit ihnen konfrontiert werden. Erst als ich dann sagte, dass ich nicht schwanger sei, der Verkäuferin das Lachen aus dem Gesicht fiel und sie sich merklich entsetzt entschuldigte, wurde meine Mutter scheinbar überhaupt darauf aufmerksam, dass hier etwas vorgefallen war. Vielleicht tat sie aber auch nur so, als hätte sie nichts verstanden. Jedenfalls war sie keine Leuchte darin, mir hinterher dabei zu helfen, mich nicht mies und auf der Stelle ausgelöscht zu fühlen. Wie sollte sie denn - schließlich war sie ja auch immer und ständig die treibende Hauptakteurin in meiner Diät- und Selbsthasslaufbahn. Und um genau zu sein, erinnere ich mich gar nicht mehr, ob sie irgendetwas Tröstendes oder Stärkendes zu der Angelegenheit zu sagen hatte. Aber wie ich mich gefühlt habe, werde ich nie vergessen: Ich fühlte mich zutiefst wertlos und erschüttert, und das aus genau zwei Gründen: Erstens, weil mir diese grässliche Person wieder mal bestätigt hatte, dass ich offenbar wirklich unförmig fett sein musste, denn sonst hätte sie diesen "Fehler" nicht gemacht. (Und fett zu sein, war in meiner Welt schließlich schlimmer als alles andere.) Und zweitens hatte sie es für möglich gehalten, dass ich als Teenager Mutter wurde, und das, in meiner damaligen Welt, stempelte mich obendrein als asoziales Dummchen ab, das zu blöd war, um zu verhüten. Ein unbedachter, unverschämter Satz von einer taktlosen Idiotin, und ich lag am Boden. Lange. Noch heute wünsche ich ihr, dass ihr Haare auf dem Rücken wachsen mögen. So sie noch lebt.
*
Die Tatsache, dass diese Art der "Fehleinschätzung" wohl immerzu und überall passiert, scheint auf den ersten Blick einfach und unschuldig erklärt. Es ist halt ein leicht gemachter Fehler. Würden vermutlich die behaupten, die ihn machen.Mir hingegen ist es ja schlicht unbegreiflich, wie man einen schwangeren Bauch mit einem dicken Bauch verwechseln kann. Sie sehen überhaupt nicht gleich aus. Sie sehen schlicht komplett anders aus. Auch ein dicker und schwangerer Bauch unterscheidet sich meiner Auffassung nach deutlich von einem dicken Bauch...aber eigentlich ist das auch total egal.

Ich unterstelle ja gern vorsorglich immer erst einmal böse Absicht. Meiner Erfahrung nach spart das Zeit - und kommt meistens schon ziemlich genau hin.

Das Problem wäre nicht ganz so groß, wenn "schwanger" und "dick" gleichwertig, bzw. neutral besetzt wären. Die Feststellung, dass das nicht der Fall ist, erübrigt sich. "Schwanger" ist gut und kommt ja sozusagen mit einem "Mehwert" daher. Die einhergehende "Unförmigkeit" wird zumeist entschuldigt und ist ja bitteschön auch nur temporär (wenn nicht, wird es ganz schnell wieder kritisch). "Nur dick" ist immer schlecht. Und unentschuldbar. Und so kommt die Demütigung der Dicken automatisch mit der Auflösung (und der offensichtlichen Enttäuschung der peinlich berührten Angreifer) - denn nicht der kurzsichtige Schwachkopf, der sich geirrt hat, wird am meisten dabei beschädigt, sondern diejenige, die nur einfach mit ihrem Körper zur falschen Zeit am falschen Ort war. Sie und ihr Körper sind gar nicht "gut". Das Fett wird als das enttarnt, was es ist - als nutzlos, wertlos, unweiblich und als Zeichen von Faulheit und Versagen.

Ich bin überzeugt, dass diese Variante der Beleidigung Dicker in einer Vielzahl der Fälle durchaus bewusst angewandt wird, um deviante, weibliche Fettklopse daran zu erinnern, dass sie nicht nur unmögliche und hässliche Körper haben, sondern, dass sie, so die unterschwellige Botschaft, auch keine "echten Frauen" (weil unförmig aber nicht schwanger) sind.

Oben habe ich gesagt, dass es im Grunde egal ist, ob man schwangere und dicke Bäuche auseinander halten kann, oder nicht. Wenn ich es nicht könnte, würde mir hier trotzdem niemals ein nennenswerter Fehler unterlaufen.

WEIL ICH, VERDAMMT NOCHMAL, IM LEBEN NICHT DARAUF KÄME, UNGEFRAGT DIE KÖRPER VON WILDFREMDEN MENSCHEN ZU KOMMENTIEREN, WÄHREND ICH IHNEN INS GESICHT SEHE.

Ich würde niemals an einer Kasse stehen und zu der schwangeren Frau vor mir sagen: "Wann ist es denn soweit?" Denn es geht mich nichts an! Es soll ja Leute geben, die (mitunter ohne zu fragen) an ihnen unbekannte Bäuche fassen. Was die meiner Ansicht nach für ein solch ungeheuerliches Übertreten persönlicher Grenzen verdienen, mag ich hier gar nicht sagen. Denn obwohl Schwangerschaftsbäuche bei uns kulturell grundsätzlich bejubelt werden, habe ich gehört, dass auch das in der Praxis verdammt unangenehm und übergriffig werden kann.

Prinzipiell sage ich Menschen nur freundliche Dinge über ihren Körper. Aber das selbstverständlich dann auch nur in Situationen, in denen es erwartet und/oder wirklich angebracht ist. Ein Liebhaber freut sich bestimmt über Komplimente. Wenn ich dem Mann an der Kasse vor mir sage, was für schöne Hände er hat, macht er sich womöglich Sorgen, ob ich ihm später heimlich im Auto zu seiner Wohnung nachfahre. Darum lasse ich das halt lieber sein.

Auf einer anderen Website, einer Art Knigge für Männer, las ich dann folgenden Rat: Wenn mann glaubt, eine Frau sei schwanger, und er ihr deshalb seinen Sitzplatz im Bus anbieten will, soll er schlicht aufstehen und sagen: "Ladies first!" Damit kann ihm dann der oben erwähnte Fehler auf keinen Fall unterlaufen.

Ein schwangerer Körper ist nicht besser, als ein dicker Körper. Weil kein Körper besser ist, als der andere. Wir sind alle gleich viel wert. Egal wie schnell wir rennen oder wie hoch wir springen können, egal wie viele Zehen, Augen oder Beine wir haben. Egal wie alt, wie groß, wie klein, wie dünn, wie dick, wie männlich, wie weiblich wir sind.

*Nachtrag: Ich bin darauf hingewiesen worden, dass es natürlich auch body shaming ist, wenn ich mich über starke Behaarung an Frauenkörpern lustig mache. Das sehe ich ein, und wünsche der Verkäuferin nun stattdessen...eingewachsene Fußnägel - an ALLEN Zehen. Oder dass die Henkel ihrer Handtasche jedes Mal reißen, wenn sie gerade über die Ampel läuft. 

Ach, und noch etwas: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in Zukunft einen männlichen haarigen Rücken shame, ist weiterhin relativ groß. 


NH

Donnerstag, 23. April 2015

Theo und die Maskulisten

"If you're not outraged, you're not paying attention."*

(Die Damen vom Women & Women First Book Shop, Portlandia, Staffel 1, Episode 1)


Erster Buchtipp der Woche


Schrift wird ohnehin komplett überbewertet. ; ) www.hotguysandbabyanimals.com

Die Maskulisten

Maskulisten oder Aktivisten/Anhänger der modernen Männerrechtsbewegung, betrachten Männer als Opfer in einer Welt, die mittlerweile von Frauen dominiert wird. Ihr Ziel ist es, die "feministische Unterwanderung" der Gesellschaft zu stoppen und die Rechte von Männern zu stärken. Die Subkultur der Maskulisten überlappt deutlich mit denen von Familienfundamentalisten, Hobbybiologisten, Homophobikern, Rassisten und Neonazis.

Ihr Hauptaktionsfeld ist noch immer das Internet, wo Maskulisten sich gern in den Kommentarspalten oder bei Twitter tummeln, um die eigene Weltanschauung zu verbreiten und zu verteidigen. Zwei der wichtigsten Anlaufstellen im Netz sind "Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land" und "WikiMANNia".

Zu den bekanntesten Vertretern der Bewegung in Deutschland zählen u.a. der Autor Arne Hoffmann, Bernhard Lassahn (ja genau - der hat Käpt'n Blaubär erfunden) und Eugen Maus (Gründer von "MANNdat").

Und es kam schlimmer: Die dicke Feministin. 

Das maskulistische Weltbild ist zum Bersten vollgestopft mit Feindbildern - neben gierigen Exfrauen und herrischen Kindsmüttern, sind da nicht nur Feministinnen an sich, sondern gern auch mal Schwule und "Ausländer" und...andere Männer im Allgemeinen. Denn Männer die nicht gegen eine Gleichstellung der Geschlechter sind, werden in der Szene u.a als "lila Pudel" bezeichnet.


Ein neueres, aber selbstverständlich nur allzu offensichtliches Feindbild ist die Fettakzeptanz-Bewegung. Die dazugehörige Gleichung ist keine Überraschung: Dicke Frau = hässlich = erfolglos bei Männern = Lesbe = Feministin. In den USA, wo Fat Pride und Fat Feminism natürlich öffentlich ohnehin viel sichtbarer sind, als hier, nimmt auch der maskulistische Widerstand in diese Richtung verstärkt zu. Fast amüsant finde ich die Tatsache, dass die Argumente der Wahl oft ausgerechnet auf die angebliche Gesundheitsgefährdung der fetten Feministin abstellen. Andere bemühen gar kulturgeschichtliche Betrachtungen oder die Evolution als Kampfmittel.


"Wenn der Staat Gleichberechtigung verordnen will, 
sollte er (...) mit gutem Beispiel vorangehen" 

Das war eine Unterüberschrift zu einem Artikel in der Zeit (Nr. 11, 12.03.2015) von Elisabeth Niejahr. Es ging um gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, und nur um das klar zu sagen: Die Elisabeth ist schon dafür. Was mir als ehemaliger und genervter Zeitleserin nur gleich wieder auffiel, war der trotzige Seitenhieb beim Einstieg...

Denn das Lamentieren und Sticheln über "staatlich verordneten Feminismus" und den drohenden Untergang der Männlichkeit/Männer in unserer Gesellschaft wurden in der Zeit in den letzten Jahren so vehement betrieben, dass ich bekanntlich auf die Lektüre der "Bravo für Abiturienten" (Volker Pispers - ja ich wiederhole es immer wieder gern;)) mittlerweile komplett verzichte und auf dem Klo nur noch das manager magazin (kein Witz übrigens) lese, denn das ist nicht ganz so anti-feministisch und reaktionär.

Außerdem kann man das Elend ja irgendwann nicht mehr mit ansehen, auch nicht in der wöchentlichen Zeitung...Jungen versagen grundsätzlich alle in der Schule, weil die Lehrerinnen sie hassen, und die, die danach nicht durch eine feministische Opferkultur verunglimpft als Vergewaltiger im Knast landen, schuften sich zu Tode, um den Unterhalt für Ex-Ehefrauen und Kinder zu sichern, wobei sie ihre letzte Energie im Kampf ums Besuchsrecht lassen und dann im zarten Durchschnittsalter von 78 Jahren und ewig lange vor den Frauen (die werden im Durchschnitt 83 Jahre) verglühen. Und dann will ihnen Alice Schwarzer auch noch das Recht streitig machen, sich zwischendurch gelegentlich eine Zwangsprostituierte zu kaufen.

Im Ernst: Die Männerrechtsbewegung (Maskulismus) ist vielleicht hauptsächlich, aber eben nicht nur eine Subkultur zutiefst verstörter und wütender (zumeist weißer, heterosexueller) Männer, die sich im Zuge ihres privaten, verzweifelten Ringens um Identität und männliche Selbsteinordnung vor dem Bildschirm (zumeist anonym) Luft machen. Die Weltbilder und die Wut der Frauenhasser (ja, das sind sie - und nicht vorrangig Männerechtler) schwappen auch zunehmend wieder in den Mainstream, in Form von mehr oder weniger vorsichtig dosierter Feminismuskritik. Die Zeit macht mit, der Spiegel macht mit, der Focus macht mit, die FAZ macht mit, die Welt macht erst recht mit. Die Uni Düsseldorf macht mit und richtet "Männerkongresse" aus, auf denen es eher maskulistisch als wissenschaftlich zugeht. Und damit das Ganze dann gar nicht so frauenfeindlich wirkt, werden gern weibliche Antifeministen vorgeschickt.

Theo

Vielleicht sollte frau einfach mal einen Mann fragen, wie es sich aus seiner Sicht mit der voranschreitenden Entrechtung des männlichen Geschlechts verhält.

Um genau zu sein, sollte frau Theo fragen, denn frau kann sich darauf verlassen, dass er eine Meinung hat. Außerdem gehört Theo natürlich zu der Bevölkerungsgruppe, die weltweit augenscheinlich am allerwenigsten (soll heißen so gut wie nie - außer vielleicht im Damenklo oder bei einer Stillgruppe) Diskriminierung erfährt. Er ist männlich, weiß, Westeuropäer, heterosexuell, mittelalt, akademisch gebildet, wirtschaftlich stabil, groß, hatte insgesamt viel Glück im Hinblick auf das Erfüllen geltender körperlicher Attraktivitätsstandards und hat keine Behinderung. Dennoch ist er einer, für dessen Rechte Arne Hoffmann et. al. "kämpfen".



Ich: Willst du denn, dass die für deine Rechte kämpfen?

Theo: Für welche Rechte?

Ich: Zum Beispiel dein Recht auf blaue Überraschungseier.

Theo: Also, von der Häsin hier wirst du nicht viel abkriegen.

Ich: Wie findest du das, dass es spezielle Überraschungseier für Mädchen gibt?

Theo: Kommt darauf an, was drin ist...Oh, das ist ne Katze! Mit so einer kleinen Schleife im Haar!...Oder ist das ein Fuchs? Das könnte auch ein Fuchs sein!

Ich : Auf jeden Fall ist es ein Ring.

Theo: Ach, das ist ja toll!...Ist mir aber zu klein. Wie ich das finde, dass es Mädcheneier gibt?

Ich: Als sie vor ein paar Jahren auf den Markt kamen, gab es eine Protestwelle von Feministinnen. Die haben gegen die systematische "Pinkisierung" von Mädchen protestiert. Dann hat die Feministin Antje Schrupp eine sehr interessante Analyse geschrieben, die besagt, dass das pinkfarbene Ei für Mädchen nur eine"zusätzliche" Option ist. Sie können beides - "Mädchen" und "Für alle". Jungs nicht. Das pinkfarbene Ei ist eher so ein Warnschild für sie, denn wer sich als Junge in Mädchenwelten begibt, muss mit erheblichem Spott rechnen.

Theo: Aber Jungs können sich die Eier doch auch kaufen, wenn sie wollen. 

Ich: Das werden sich die meisten nicht trauen.

Theo: Das sollte man schon ihnen überlassen. Vielleicht ja irgendwann doch.

Ich: Es gab, soweit ich weiß, bisher kein blaues Überraschungsei - jedenfalls nicht durchgängig. Ist das unfair?

Theo: Ja, natürlich ist es das.

Ich: Ich habe dich ja vorhin schon gefragt, ob du von der Männerrechtsbewegung eigentlich schon mal gehört hast, und du hast gesagt...

Theo:...nein. Aber von einer Bewegung von Vätern, die keine Rechte an ihren Kindern haben, und sich zur gegenseitigen Unterstützung organisieren. Ich nehme an, deren Anliegen haben schon ihre Berechtigung.

Ich: Leider gibt es oft recht deutliche Verbindungen zwischen Väterrechtlern und Maskulisten. Und beide Gruppen stilisieren sich gern zu Opfern. Bist du Maskulisten noch nie im Internet begegnet?

Theo: Nein, nicht bewusst.

Ich: Und bist du bisher überhaupt groß mit Feministinnen in Berührung gekommen?

Theo:...Naja...Mit einer Feministin zumindest. Und wenn das alles so extreme Tanten sind, wie du...

Ich: Sind Feministinnen Männerhasserinnen?

Theo: Ich könnte mir schon vorstellen, dass es verschiedene Strömungen und dass es auch durchaus Männerhass unter einigen Feministinnen gibt. Grundsätzlich ist es mein Eindruck, dass die Botschaft oft schon sehr unlocker bis aggressiv rüberkommt. Aber nicht jeder Rezipient ist schlau genug, um zu begreifen, dass Ton und Botschaft nicht das Gleiche sind. Und dann erreicht man die Dummen wohl noch schlechter, als vermutlich ohnehin schon.

Ich: Fühlst du dich Frauen gegenüber in unserer Gesellschaft benachteiligt?

Theo: Nein.

Ich: Hast du dich aufgrund deines Mannseins jemals diskriminiert gefühlt?

Theo: Nein. Und es bringt auch nichts, auf alten Privilegien herumzureiten. 

Ich: Dann brauchst du auch keine Männerechtsbewegung, die für deine Rechte kämpft? Und es braucht keine Gegenbewegung zum Feminismus für Ausgewogenheit?

Theo: Nein. Der Feminismus gehört unterstützt. Bis auf so Männerhasserinnen wie dich.

Ich: Schau mal auf diese Website und sag mir, ob du nun womöglich ein "lila Pudel" bist?

Theo: Nein, bin ich nicht. Sich für Frauenrechte auszusprechen, ohne allerdings aktiv irgendwas beizutragen, ggf. mit Ausnahme dieses Interviews, macht noch keinen Pudel. Des Weiteren bin ich durchaus "pro Mann" - als Mitglied dieses Geschlechts. Das ist aber nicht gleich "gegen Frau".

Ich: Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land?

Theo (spielt mit dem Ring aus dem Ei):...Was?...Wie viel Gleichberechtigung verdient das Land?

Ich: ...VERTRÄGT das Land. Das ist der Titel einer maskulistischen Plattform im Netz.

Theo: Na, so viel wie nötig, oder? Wenn es darum geht, Diskriminerung durch eine entsprechende Gesetzgebung zu verhindern, dann kann man aufhören, wenn alle gleich wenig diskriminiert werden. Es wäre natürlich schöner, Menschen könnten so etwas ohne Vorschriften regeln. Mir scheint allerdings, die Frage selbst dient ohnehin nur dazu, Unfrieden zu stiften.

Ich: Du hast mal gesagt, du würdest dich gern mal mit Alice Schwarzer unterhalten.

Theo: Oh Gott, hast du etwa ihre Telefonnummer? Ich fand sie früher richtig gut - als Kind schon. Als ich sie immer in Talkshows gesehen habe. Heute ist sie ja leider durch so ein paar Entwicklungen doch eher ein beschädigter Popstar. Wie man hört, macht sie sich wohl heute auch viele Feinde im eigenen Lager. Aber sie war natürlich auch schon immer so eine Kampflesbe wie du...

Ich: (sehe mir einfach wieder Theos Bizeps an und stelle mir vor, wie aufregend er erst mit einem flauschigen Katzenkind auf dem Arm aussähe...Hoppla, war das jetzt etwa männerfeindlich? ; ))

Letzter Buchtipp der Woche


The Guy's Guide To Feminism von zwei Männern:  Michael Kaufmann und Michael Kimmel (Seal Press,  2011)

Das "Feminismus-Handbuch für Männer" ist eine  humorvolle, schnelle und klar aufgebaute Aufstellung von zum Feminismus gehörenden Stichworten: Sex, Berufswelt, Religion, Gewalt, Männerrechte, etc. Die Erläuterungen und Überlegungen sollen Männern im Prinzip vermitteln, dass sie selbst in ihrem Leben und Alltag von der Gleichstellung von Frauen durchaus  profitieren. 

Das Buch enthält einen Fragebogen, mit dem Mann überprüfen kann, ob er sich womöglich bereits mit Feminismus "angesteckt" hat, ohne es zu wissen. Denn die Definition von "Feminist" ist einfach: Jemand, der für die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter ist. Das kann fast jeden treffen. ; )


*"Wenn du nicht empört bist, passt du nicht gut genug auf."

NH

Samstag, 21. März 2015

So ziemlich



"Du bist ziemlich dick. Darf Dein Partner denn auch ziemlich dick sein ? Oder betreibst Du hier eine Art von Doppelmoral ?"(Nachricht an mich, erhalten bei finya.de am 20.03. um 18.05 Uhr von einem Mitglied mit dem Profilnamen "Firstforward", nach eigenen Angaben 44 Jahre alt, Profil ohne Foto - die liebe ich ja ohnehin immer ganz besonders.)


Man könnte weinen. Wenn es nicht so komisch wäre. Und ja - es wird wirklich höchste Zeit, Worten auch Taten folgen zu lassen und endlich alle meine Profile auf Dating-Plattformen platt zu machen, bevor sie mich doch noch schaffen.  
Natürlich habe ich Fuckfucker oderwieauchimmer nicht direkt geantwortet, sondern habe ihn nur geblockt. Aber ich werde seine Frage beantworten. Hier. Weil ich mir ziemlich sicher bin, dass sie vielen auf den ersten Blick gar nicht so abwegig und anmaßend vorkommt, wie sie tatsächlich ist. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass viele Leute unbedarfterweise sagen würden, dass man "sowas" doch durchaus auch mal fragen dürfen muss.
Also:
Erstens: Dicke haben selbstverständlich keinerlei Verpflichtung, andere Dicke attraktiv zu finden. Schon gar nicht als potentielle Partner. So wie für jemanden mit blauen Augen oder langen Haaren oder großen Füßen ganz sicher keine Obligation besteht, sich zu Partnern mit blauen Augen, langen Haare oder großen Füßen hingezogen zu fühlen. Im Hinblick auf Vorlieben bei der Partnerwahl Moral ins Spiel zu bringen (so es sich nicht um Pädophilie handelt), passiert meiner Erfahrung nach nur Menschen, die noch viel, viel, viel verbitterter sind als ich. Wir alle sind jedoch sehr wohl dazu verpflichtet, andere nicht auf der Basis körperlicher Eigenschaften herabzusetzen, zu diskriminieren und ihrer Würde zu berauben.
Zweitens bin ich tatsächlich nicht dumm genug, um nicht ziemlich genau zu verstehen, was der unsympathische Steller der vorangestellten Frage tatsächlich gemeint hat: Der Frager findet schlicht, dass Dicke hässlich sind. Um sich überhaupt mit ihnen abzugeben, muss man in seinem Universum schon ganz gehörig Toleranz und Milde mitbringen, um dann erfüllt von Edelmut über die ekelerregende Hülle hinwegzusehen und sich womöglich für innere Werte zu interessieren. Und wenn Dicke einen solch enormen Kraftakt von anderen verlangen, werden sie ja wohl bereit sein, diesen ebenfalls auf sich zu nehmen. Was da außerdem ganz deutlich mitschwingt ist dieses: Wer hässlich ist, kann nicht einfach ankommen und womöglich mehr verlangen, als ihm zusteht. Denn es steht Hässlichen nun einmal nicht viel zu. Am besten bleiben sie also ohnehin gleich unter sich.
Tja. Was soll man dazu sagen? Zunächst siehe natürlich „Erstens“. Und dann erlaube ich mir, hier auf einen offensichtlichen und zutiefst egozentrischen, aber natürlich oft gemachten Denkfehler hinzuweisen: Denn das, was ich selbst hässlich finde, muss noch lange nicht für den Rest der Welt auch hässlich sein…Aber natürlich war ich all meinen Fettliebhabern immer ausgesprochen dankbar, dass sie sich so großzügig überwunden haben, mir ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl sie selbst so gar nicht dick und hässlich waren. ; ) Allerdings ist es ja auch längst kein Geheimnis mehr, dass ich dieser Tage sehr viel mehr Probleme habe, meine inneren Werte dauerhaft an den Mann zu bringen, als meine äußeren.
Damit drittens keiner auf die verwirrte, nörgelnde Idee kommt, ich würde mich vor einer persönlichen Antwort drücken: Klar könnte mein Partner dick sein. Er könnte aber auch muskulös oder dünn sein. Denn ich gucke zuerst in Gesichter und Augen. Und dann auf Hände. Dann kommt die Stimme. Der Geruch. Und dann das Gehirn. Wenn ich all das wirklich will, will ich vermutlich auch den Rest. Denn das ist dann ohnehin schon ein Lottogewinn.
Und viertens habe ich das dringende Bedürfnis, vorzuschlagen, dass Idioten endlich unter sich bleiben sollten. Zu ihrem eigenen Besten. Denn dann müssen sie auch unter dem Rest von uns nicht immer so schrecklich leiden.

NH

Sonntag, 1. Februar 2015

Follow me around 15: Them skinny bitches...


I'm bringing booty back -                                                                                                          go ahead and tell them skinny bitches that. (Meghan Trainor)



Dünnhäutig

Meghan Trainors "All about that bass" handelt davon, sich dem allgemeinen Schönheitsdiktat, dünn zu sein, nicht mehr zu beugen, und auf den eigenen Körper mit seinen Rundungen stolz zu sein. Und es war natürlich ein schmissiger Riesenhit. Der bemerkenswerteste Aspekt an der Erfolgsgeschichte von Trainors Liedchen ist aus meiner Sicht jedoch noch immer das, was im Internet verbreitet als "The skinny bitch backlash" bezeichnet wurde. Einige Frauen fühlten sich diffamiert durch die oben stehende Textzeile und durch die Beschreibung dünner Frauen als "stick-figure, silicone Barbie doll".

Argumentiert wurde, dass Trainor "skinny shaming" betreibe und dass das ganz genauso verwerflich sei, wie "fat shaming", was sie ja in ihrem Lied auch gerade kritisieren würde. Um glaubwürdig zu bleiben, dürfe sie das Pendel nicht plötzlich in die andere Richtung schubsen. Auch der im Text eingestreute Hinweis, dass die "Beleidigung" nicht ernst gemeint sei, also quasi vorsorglich als satirische Überspitzung erklärt wird, hat offenbar nicht ausgereicht, den Ärger vieler, die sich als "skinny bitch" angesprochen fühlen, zu verhindern oder zu mindern.

Was soll man ihnen bloß raten? Wie wäre es damit, "skinny bitch" in etwas Positives umzuwerten und es sich zu eigen machen? So, wie die Fettakzeptanzbewegung sich eigentlich negativ besetzte Begriffe wie "fat" bzw. "dick" zurückerorbert und ihnen eine neue, stärkende Bedeutung gibt. Schließlich gibt es ja auch längst Diätratgeber, die unter dem Titel "Skinny Bitch" zu Bestsellern geworden sind. Eigentlich will in unserer Kultur doch jede eine "Skinny Bitch" sein, oder? Eine selbstbestimmte, selbstbewusste Frau, die gängigen Schönheitsstandards entspricht und auch sonst alles unter Kontrolle hat? Sie ist ohnehin schon das Ideal. Sie muss sich mithin gar nichts erkämpfen.

Und da tut sich auch schon ganz genau das Problem auf, das ich mit den Anklägerinnen habe, die sich dazu verstiegen haben, gegen ein Lied zu protestieren, in dem sich jemand auf vergleichsweise milde Weise über sie lustig macht. Man kann jemanden nur sehr begrenzt damit beleidigen, zu sagen, dass er dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Um genau zu sein, ist es eigentlich gar nicht möglich. So wie man jemanden nicht wirklich damit herabsetzen kann, ihm vorzuwerfen, er sei zu klug. Der Grund, warum es z.B. nicht akzeptabel ist, sich über Behinderte lustig zu machen, ist, dass sie noch immer gesellschaftlich in einer vergleichsweise schwachen Position sind und täglich gegen Diskriminierung, Benachteiligung und Vorurteile kämpfen müssen. Es ist problematisch, sich über Schwächere lustig zu machen. Es ist aber zulässig, sich über die lustig zu machen, die kulturelle und gesellschaftliche Wirklichkeit dominieren, also Macht haben. Würde man Satiriker fragen, ist es sogar unsere Pflicht, weil es ein Mittel gesellschaftlicher Weiterentwicklung ist, Macht und geltende Standards herauszufordern. Diesen Zusammenhang und die eigene, privilegierte Position darin zu erkennen, ist eine Denkleistung, die z.B. auch viele Männer nicht erbringen können, wenn sie sich über weiblichen Spott beklagen.

In den letzten zwei Jahren bin ich einer substantiellen Anzahl von Männern begegnet, die dachten, es schmeichelt mir, wenn sie sich negativ über schlanke Frauen äußern und mir versicherten, dass "so traurige Gerippe" sie nicht anmachen würden, weil eine "richtige Frau" nun einmal aussehen müsste wie ich. Mit dieser Art von Komplimenten macht man sich bei mir nicht beliebt. Weil ich es nicht lustig finde, Frauen gegen Frauen auszuspielen - basierend auf Äußerlichkeiten oder sonst irgendetwas. Und weil ich der festen Überzeugung bin, dass jeder Körper ein guter Körper ist, alle Körper gleich gut sind und jede Frau eine richtige Frau ist.

Oh, die Ironie!

Und dennoch - im Hinblick auf die Beschwerden über Meghan Trainor und ihren total unausgewogenen Song erlaube man mir den kurzen Verweiß darauf, dass öffentliche Verächtlichmachung sehr viel massiver und bösartiger Art etwas ist, was Dicke tagtäglich aushalten - weil ihnen nichts Anderes übrigbleibt, wenn sie nicht auf eine einsame Insel ziehen wollen...was sind wir Dicken doch für starke Biester, dass wir nicht immerzu und überall Flüsse aus eingeschnappten Krokodilstränen heulen. Man erlaube mir ein paar Sekunden erstaunter Genugtuung. Und ein amüsiertes Kopfschütteln.

Heimweh

Ich habe obendrein das Bedürfnis, meine Begeisterung über die Einkaufsmöglichkeiten im Internet zu teilen. Denn nach ziemlich vielen Jahren kann ich mich nun wieder von dem ernähren, wovon ich während meiner Studienzeit in den USA auch vorrangig und mit Vorliebe gelebt habe: New England Clam Chowder von Campbell's (Muschelsuppe) und Grape Nuts (ungesüßte Getreide-Cluster) mit Joghurt und altmodischen Golden Delicious.



Außerdem habe ich im British Shop in meiner Gegend alle Dosen Erbsensuppe mit Minze aufgekauft. Großartiges Zeug! : ) Und das Aufwärmen von Dosensuppen ist eine wirksame Strategie der Küchenchaosvermeidung.

Vielen Dank für die Blumen!


Und zu guter Letzt habe ich noch einen Blumentopf gewonnen. In den letzten drei Monaten war ich als Aushilfslehrerin an einer öffentlichen Gemeinschaftsschule beschäftigt. Und zur Verabschiedung wurde mir eine Pflanze überreicht. Eigentlich hätte ich bis zum Ende des Schuljahres, also bis zum Sommer dort arbeiten sollen, aber nun wurde der Vertrag doch nicht verlängert. Dass ich ab Montag keinen Job im öffentlichen Dienst mehr habe, habe ich gestern (Freitag) erfahren. Dabei geht es bei den Behörden noch knapper: Von meiner Einstellung erfuhr ich am Sonntagabend vor Arbeitsantritt. Die Tatsache, dass Lehrkräfte mitunter behandelt werden, wie Springer in Fast-Food-Ketten (was übrigens auch nicht akzeptabel ist), ist nur ein Aspekt des deutschen Schulsystems, der mich seit meinem Ausflug in eben dieses, erheblich beunruhigt. Fortsetzung folgt.

NH