Offenbar stellt sich diese Frage. Denn es geschieht gar nicht so selten, dass öffentlich sichtbare Vertreter*innen von Fat Acceptance abnehmen. Genaugenommen wirkt es manchmal gar so, als ob der Rückfall in die Diätkultur für viele dicke Ikonen nur eine Frage der Zeit ist. Gabourey Sidibe, Adele, Melissa McCarthy und Rebel Wilson fallen mir als besonders prominente Ex-Dicke spontan ein.
Selbst Tess Holliday hat offenbar abgenommen und der
Außenwelt das Ergebnis stolz präsentiert. Als Antwort auf den Backlash, der zu
erwarten gewesen war, servierte sie dann eine überstandene Anorexie als Grund.
Mein Ton verrät es vermutlich – ich habe da erhebliche Zweifel. So oder so
finde ich ihr Vorgehen mächtig schattig.
Gerne passiert die Gewichtsabnahme infolge der Einsetzung
eines Magenbandes. Oder mit straffen Diät- und Trainingsprogrammen, für die im
wirklich ungünstigsten Fall auch noch gleichzeitig Werbung gemacht wird. Nach
eigenen Angaben wird immer aus gesundheitlichen Gründen diätet, nie weil frau
doch lieber etwas normschöner sein will. Diese Darstellung ist in
den meisten Fällen bestimmt nicht ganz aufrichtig. Und natürlich sind die, die Hoffnung
in die Unterstützung und Repräsentanz gesetzt oder sich durch das Vorbild
gestärkt gefühlt haben, häufig enttäuscht bis sauer. Zu Recht.
Aber die Antwort lautet:
Ja, dürfen sie. Fettaktivist*innen
dürfen dünn werden. Sie dürfen sich auch kleine Teufelshörnchen in die Stirn
implantieren lassen. (Yes, that is a thing.) Es können selbstverständlich alle
mit ihren Körpern machen, was immer sie wollen.
Die echte, unterliegende Frage ist natürlich, ob eine
Fettaktivistin Diät machen und trotzdem für die Sache eine glaubwürdige
Vertreterin sein kann.
Die Antwort ist:
Nein.
Es ist nicht möglich, das, für dessen Akzeptanz eigentlich
gekämpft werden soll, gleichzeitig mehr oder weniger erfolgreich am eigenen
Leib zu bekämpfen. Egal, was meine Gründe sind. Ich kann mich, an dem Punkt
angekommen, vielleicht noch als Ally (Verbündete) bewerben, aber ich kann auf
keinen Fall weiter Vorreiter*in sein. Ich kann auch nicht privat Pelzmäntel
tragen und öffentlich als Präsidentin von PETA auftreten. Die akzeptierende Haltung
zum Fett ist, wie jede konfliktträchtige gesellschaftliche Baustelle, eine
grundsätzliche und ethische Angelegenheit. Sie ist ernst - und auch in der
Praxis ziemlich klar umrissen. Sie erfordert auf jeden Fall Konsequenz bis in
den privaten Bereich, sonst bleibt sie wirkungslos.
Wenn ich zu dieser Konsequenz nicht mehr in der Lage bin
oder keine Lust mehr dazu habe, dann muss ich abtreten, aus dem Club austreten
und ehrlich sein. Wenn meine bisherige Karriere womöglich darauf aufgebaut war,
als Vorbild und/oder Sprachrohr für die Fettakzeptanz-Community zu wirken, dann
sollte diese Karriere beendet sein. Da hilft übrigens auch kein scheinheiliges
Umschulen auf milde, sinnlose „Body Positivity“.
Wenn ich mich als öffentlich agierende Fettaktivistin dazu
entscheide, mein Gewicht maßgeblich zu verringern, sollte ich das begreifen,
umsetzen und vor allem den Anstand aufbringen, bestimmte Dinge bitteschön ganz zu
unterlassen:
1. Es ist unredlich und eine vollständige Abkehr vom
ehemaligen Grundsatz, wenn sich eine Ex- Fettaktivist*in dazu versteigt,
auch noch Werbung für Diäten, Pulver, Pillen, Tees, Trainingsprogramme oder
Fitnessclubs zu machen.
2. Zumeist zutiefst subjektives, womöglich selbstzufriedenes
und im schlimmsten Falle triggerndes öffentliches Geschwärme über die
Gesundheit, die durch die Gewichtsreduktion erheblich verbessert worden sei,
ist auf jeden Fall zu unterlassen.
3. Es wäre auch nett, das Publikum mit der Behauptung zu verschonen,
es gehe beim Abnehmen nicht ums Abnehmen, sondern um Self Care oder Wellness
oder Healing oder was auch immer für einen blumigen Scheiß. Und die Überwindung
einer Essstörung gar mit großer Geste als Erklärung und Rechtfertigung aus dem
Ärmel zu ziehen, ist respektlos und ekelig.
4. Lauter sorgfältig produzierte aber auch deutlich
erschlankte Selfies von sich zu posten, um dann so zu tun, als seien die
Komplimente, die in einer von Diät-Kultur geprägten Welt auf jeden Fall kommen,
unerwünscht, ist verlogen und rettet auf keinen Fall die eigene Integrität. Vielmehr sind die vorgetäuschte Überraschung und Vehemenz, mit der positive Kommentare
zum Diäterfolg mitunter zurückgewiesen werden, geradezu erbärmlich.
5. Sich als ehemals Dicke noch immer basierend auf der Identität einer betroffenen Dicken gegen die Diskriminierung Dicker zu engagieren wird spätestens dann lächerlich, wenn das Gruppenfoto gemacht wird. Ich kann nicht in den Genuss von Thin Privilege kommen und so tun, als habe sich an meiner Position im Kampfgeschehen nichts Grundsätzliches verändert.
HAPPY EVERYTHING und bis zum nächsten Jahr!
NH