Und so ganz ist es eben doch nicht vorbei. Am Abend meines
42. Geburtstags stand ich im fahlen Licht der Damentoilette eines
thailändischen Restaurants und erstarrte beim Blick in den Spiegel über dem
Waschbecken. So verrückt es klingen mag – zuerst erkannte ich mich nicht. Also…natürlich
nicht buchstäblich, sondern emotional. Es war ein Schock. Seit Monaten hatte
ich mich nicht von meinem eigenen Spiegelbild so abgetrennt und verraten gefühlt.
Ich sah mich, und was ich sah, war abgrundtief hässlich. Ein
teigiges, wabbeliges Monster starrte mit
müden Augen zurück und atmete Zweifel, Entsetzen, Lebensverpfuschung, tote
Hoffnungen und Selbstverachtung aus. Plötzlich ergriff die wilde Legende von der
dünnen Frau, der eigentlich ein großartiges, dünnes Märchenleben zustehen
würde, wenn sie nicht dummerweise in einen fetten, grausigen, schwachen Körper
eingemauert worden wäre, für einen schauerlichen Moment wieder Besitz von
meinen Gedanken und meinem Blick – und alles, was ich auf einmal nur noch sehen
konnte, war mein Doppelkinn. Es schien um meinen Hals zu schlackern, wie eine
ausgeleierte, klumpige Halskrause, und ich wusste, gar nichts ist sicher. Was man auch glaubt, auf dem Weg zu dickem
Selbstrespekt erreicht und geschafft zu haben.
Nach vier Jahrzehnten der Selbstverachtung ist
Selbstakzeptanz im ersten Jahr noch immer ein verdammt wackeliges Häuschen.
Ohne Vorwarnung hallt einem plötzlich der Einwand „JA,
ABER…“ wieder durch die Seele. Die innere Richterin ist noch immer da – und sie
hält nicht die Klappe. Sie bewertet weiterhin ungefragt, aber umso
vorhersehbarer. Dünn gut. Fett schlecht.
Und so gibt es tatsächlichh noch immer Fett an mir, dass ich zumindest gelegentlich hasse. Ich
hasse mein Doppelkinn. Und meine geschwollenen Füße. Ich hasse, hasse, hasse
sie! Aber besonders das Kinn. In meinem Kopf ist es noch immer die Grenze, an der das Fett das
Gesicht zu überwältigen droht…Ich nehme an, Rückfälle sind normal.
Nur habe ich mit ihrer Wucht nicht gerechnet. Dabei ist das Unwetter, das einen heutzutage unvermittelt einholt, vermutlich genau jenes, das einen früher immerfort und unablässig umgab. Als ich noch so ziemlich alles an mir hasste. Als ich lieber gar nicht mehr in Spiegel sah. Irgendwo habe ich gelesen, man solle auf den Teil des Weges, den man zurückgelegt hat, immer stolz sein. Selbst dann, wenn der Rest noch immer verdammt lang ist. Das stimmt. Und verlangt wiederum Akzeptanz. Rachele von The Nearsighted Owl schlägt indessen vor, das zweite oder dritte Kinn mit Stolz herzuzeigen – wie ein schickes Accessoire…….Nein. Nicht ich. Zumindest nicht jetzt. Und auch keine Fotos, bitte.
NH