Der Fisch
(ich) und die Fahrräder*
Ich hatte ja schon ganz vergessen, dass das Profil bei
rubensfan.de überhaupt noch existiert. Und dann schrieb mich plötzlich ein
Gesamtschullehrer aus dem hohen Norden an. Was dann kam, war ganz und gar meine
Schuld. Ich hätte auf meinen Bauch hören müssen. Und mein Bauch sagt mir
grundsätzlich, man sollte sich für potentiell romantische Zwecke überhaupt
nicht mit Männern befassen, die einem äußerlich nicht so richtig zusagen.
Oberflächlichkeit ist Trumpf. Es ist vielleicht edel, Zwerg Nase eine Chance
geben zu wollen, und auf einen charmanten, schillernden Kern zu hoffen, der
alles, was außen stört, wieder rausreißt. Bei optisch angenehmen Herren jedoch
hat man, was böse Überraschungen angeht, immer von Anfang an wenigstens ein
Schaf im Trockenen. Der Typ kann im schlimmsten Falle nur noch ein Langweiler
und Idiot sein - aber zumindest nicht plötzlich unansehnlich. Im anschließenden
Telefonat stellte sich heraus, dass der farblose Deutschlehrer nicht gerne
liest (außer Focus Online), weil er sich ja „in der Schule schon so viel mit
Büchern befassen muss“. Und meine Frage nach seinem Lieblingsbuch bezeichnete
er als „dämlich“.
Erstens erfüllte mich die flachgeistige Quälerei natürlich
mit großer Zuversicht, was die Qualitätssicherung im deutschen Bildungswesen
angeht und zweitens mit einem leichten Groll, der sich bis zum kommenden
Vormittag hielt, als ich versetzt wurde, weil einer das Wochenende
ausschließlich mit seinem Kind verbringen will, nachdem er die zwei Monate
zuvor eine Million Stunden pro Tag / zehntausend Tage die Woche gearbeitet hat.
Resultat: Ab sofort gibt es wirklich keinen Grund mehr für ihn, noch einmal
unangekündigt mit einem Picknickkorb voller Kaviar und wehender Krawatte um die
Ecke zu kommen. Ich habe ihn von der Shortlist gestrichen. Aber nicht, ohne ihm
vorher viel Glück mit dem für seinen Erben zuständigen Lehrpersonal zu
wünschen. Kann ja auch leicht mal schiefgehen…s.o.
Wie es der Zufall wollte, erreichte mich um
Mitternacht noch eine Anfrage – diesmal von einem Herrn aus Sachsen, der wissen
wollte, ob ich auf Pferdeschwänze stünde. Und ich, vergnatzt, gekränkt,
vernachlässigt und mit der Gesamtsituation verdammt unzufrieden, dachte mir,
wenn der geradezu darum bettelt – bitteschön. Was denken sich so grässliche
Typen überhaupt? Und machen die mit ihren einfältigen Maschen eigentlich jemals
günstige Erfahrungen? Wie müssten positive Reaktionen hier wohl aussehen?
Lobhudelei fürs überwucherte Genital, von dem man sodann eine Nahaufnahme
erhält? Oder jungfräulicher Schreck und Empörung, weil sich rausstellt, dass
der Pferdeschwanz (Schockschwerenot!!!) nicht am Hinterkopf sitzt? Ich nehme so etwas ja dann gern mal sportlich und halte es mit Eminem: „I'm
Hannibal Lecter, so just in case you're thinking of saving face, you ain't
gonna have no face to save by the time I'm through with this place.“** Und das ist
durchaus wörtlich zu nehmen. Es gab schon Kandidaten, die haben ihr Konto gleich
ganz gelöscht, nachdem sie den unklugen Schritt gemacht hatten, mir eine
schmierige Nachricht zu schicken. Wobei das ja ohnehin auch zumeist solche
sind, die kein Profilfoto (also kein Gesicht gezeigt) hatten.
Und dann ist
da ja noch DAS EI. Das Ei ist mir eine Freude. Ich wandere gelegentlich auf
Zehenspitzen um seinen Sockel herum und bewundere die eigentümlich schöne
Zeichnung. Manchmal nehme ich ein Taschentuch, hauche drauf, poliere die Oberfläche
ein wenig und frage mich, ob man mich wohl durch die Schale sieht, wie durch
einen Verhörspiegel. Hin und wieder, wenn man es antippt, murmelt es tief im
Innern. Meine Wünsche an den Bewohner sind zugegebenermaßen eher ausladend.
Meine Erwartungen hingegen klitzeklein. Seiner Natur gemäß bewegt sich das Ei nicht
vom Fleck.
....
Und so stand
ich dann allein in der Bar des Goldenen Hirschen und bat um einen Tisch für
eine Person.
Dinner for
one
Es soll
Frauen geben, die so tun, als würden sie telefonieren, wenn sie allein an einem
Tisch im Restaurant sitzen müssen. Bücher und Zeitschriften mitzubringen, ist
scheinbar nicht mehr ganz so angesagt – schließlich wolle frau ja nicht so
erscheinen, als mache es ihr tatsächlich etwas aus, allein zu essen, oder als
würde sie sich ohne Gegenüber langweilen. In einem Ratgeber las ich dann auch
den Tipp, sich auf einem Block Notizen zu machen – dann würden einen alle für
eine Restaurantkritikerin halten. Und die dürfen ohne Anhang im Restaurant
sein. Offenbar gehen viele geschäftsreisende Frauen lieber gar nicht zum
Abendessen aus dem Hotel, sondern bestellen sich ihr Abendbrot aufs Zimmer. Es
gibt allerdings mittlerweile auch Agenturen, die Frauen, die es nicht ertragen,
allein außerhäusig zu essen, zusammenbringt. Dann essen sie gemeinsam, damit
sie niemand für traurige, einsame, alte Jungfern hält. Denn der Verdacht ist,
dass die Umwelt einen genauso einordnet: versetzt von einem Kerl, oder gleich
ganz versetzt vom Leben an sich.
Ein Mantra,
das man leicht selbst verinnerlicht, zumal es an jenem Abend ja sogar der
Wahrheit entsprach – also das mit der Versetzung. Man tritt über die Schwelle
des Lokals und denkt: Was stimmt eigentlich nicht mit dir, dass da keiner ist,
der mit dir isst? Man sieht die Überraschung im Gesicht der Bedienung, die nicht
verbergen kann, dass sie ganz klar kurz überlegen muss, ob sie mir allein einen
Tisch überlassen kann, an dem eigentlich ganze vier Mäuler für Umsatz sorgen
könnten. Und die bereits anwesenden Gäste recken fast unmerklich aber doch nicht
unbemerkt die Hälse, als die dicke Dame sich setzt und um sie herum das
überflüssige Besteck abgeräumt wird.
Frauen und
Nahrungsaufnahme – das ist ja ohnehin oft schon eine schwierige Kombination.
Die Aufgabenstellung ist also vielfältig. Essen, was man will, bis man satt
ist, ohne im Kopf zu zensieren (die einzigen Regeln des intuitiven Essens). Als
dicke Dame. In der Öffentlichkeit. Allein. In einer Umgebung, in der man nicht
in der Menge untergeht und alle Anwesenden im Raum einem sozusagen auf den
Teller starren könnten. Wenn sie wollten. Da werden ganz schön viele
Kümmernisse und potentielle Peinlichkeiten auf einmal abgeklopft und
abgehandelt. Ich bestelle dann auch gleich einen Chardonnay (keinen Chianti!),
als ich endlich an der Reihe bin, und das bin ich als Einzelgast erst eine ganze
Weile später als andere, die nach mir gekommen sind. Gruppen und Paare haben hier
offenbar weniger Schwierigkeiten, an ihren Alkohol zu kommen. Meine Menüfolge
sieht an jenem Abend aus wie folgt: Kürbissuppe, Caesar Salad, schwarze
Bandnudeln mit Garnelen, Crème Brûlée mit gebratenen Pfirsichen, Milchkaffee…Die
anderen kriegen übrigens auch alle viel früher ihren Brotkorb. Egal, wie
aufmunternd ich der hin- und herlaufenden Bedienung auch zulächle. WO BITTE
BLEIBT MEIN BROTKORB?!
Abgesehen
davon, dass ich mir tatsächlich über den Verlauf des Abends auf meinem Tablet
Notizen mache und in den Pausen zwischen den Gängen hin und wieder meine E-Mails
überprüfe, ist das Essen diesmal eine Übung in Achtsamkeit. Wenn einem
niemand gegenübersitzt, der einen Großteil der Aufmerksamkeit in Anspruch
nimmt, nimmt man alles andere wahr. Die anfängliche Unbehaglichkeit, von der
man vor der Tür ja nicht erwartet hätte, dass sie doch so lange anwesend sein
würde. Man sieht sich sein Essen genauer an. Die Farbe der Suppe ist
wunderhübsch. (Meine eigene Kürbissuppe schmeckt mir etwas besser, ist aber
dafür eher grau als gelb. Das liegt natürlich am Rotwein, den ich hineinschütte
; )). Man riecht und schmeckt mehr. Man isst langsamer, kaut gründlicher, fühlt
sich weniger voll und nimmt die eigenen Handbewegungen wahr, die bestimmt
weniger hektisch sind. Was mich betrifft, so bin ich am Ende ganz überrascht,
dass ich nicht einmal etwas verschütte oder verkleckere, denn das passiert mir
in Gesellschaft fast immer. Man spielt mit dem Salat zwischen den Zähnen und
denkt: „Jetzt zieh bloß keine Grimassen“. Und zieht vermutlich Grimassen. Dann
sieht man aus dem Fenster und denkt: „Vielleicht gehe ich heute doch noch zum
Friedhof.“
Natürlich
wird auch das Bild der Umgebung schärfer. Spinnenweben in den Lampen. Man
zählt die Hirsche, die im Goldenen Hirschen herumstehen. Und man stellt fest,
dass man ja Nachbarn am Nebentisch hat. In meinem Fall eine in der Gegend nicht
unbekannte, grelle Geschäftsfrau. Neben ihr sitzt ihre Hermès-Tasche. Ihr
gegenüber ein befreundetes Paar. Ohne es zu wollen, bin ich nun im Bilde über
ihre Bauspeicheldrüse, ihre schwere Kindheit, sowie ihre monströsen
Tischmanieren. Außerdem verwendet sie gern und oft und laut das Präfix „Arsch-“
(wie in „arschteuer“). Ach ja, und ihr neues Bett hat offenbar 6900 Euro
gekostet. Als sie aufs Klo geht, tuschelt das verbliebene Paar über sie. Das
kann Alleinesserinnen nicht passieren.
Ich klopfe derweil
vergnügt die goldene Schale meiner Crème Brûlée*** auf, horche, wie sie leise zersplittert
und bin inzwischen ausgesprochen zufrieden mit mir. Die Bedienung scheinbar auch.
Die wird am Ende immer freundlicher – vermutlich, weil sie meinen Tisch offenbar
ohne mich doch nicht mehr gefüllt hätte, und ich allein doch so schön viel
verputzt habe.
Mutprobe bestanden.
Prüfung des Abends in Selbstakzeptanz, Selbstbewusstsein und Sich-selbst-genug-sein
erfolgreich abgelegt. Lebe so, als ob niemand zusieht. Das zumindest konnte man
auch vom Nebentisch lernen. ; )
NH