Mittwoch, 27. März 2013

Ballungsräume

 

"Die Furcht vor dem weiblichen Fleisch ist die Furcht vor der weiblichen Kraft. Wenn wir unsere Körper zurückfordern, muss damit einhergehen, dass wir auch unsere Macht zurückfordern. Dies kann nicht erreicht werden, indem wir einfach eine teure Bodylotion kaufen." (Laurie Penny - "Fleischmarkt")

 
Kris nennt sie "Beautyterrorblogs“. Ich nenne das Genre ja gern Backlash-Blogging. Wir beide meinen die erstaunliche Schwemme weiblich geführter Blogs, die eine faszinierend-schaurige Gleichschaltung auf tradierte weibliche Themen aufweisen, und dieses weltweit. Wenn ich den Begriff „Backlash“ verwende, beziehe ich mich natürlich auf Susan Faludis Buch aus dem Jahre 1991, in dem sie die medialen, politischen und gesellschaftlichen Mechanismen beschreibt, mit denen der Gleichberechtigung von Frauen nach einer Welle des Vorankommens jeweils ein Klima des Zurückruderns entgegengesetzt wird.
Nun muss man natürlich auch heute noch nur irgendeine Frauenzeitschrift aufschlagen, um zu sehen, dass Frauen am Backlash auch immer kräftig mitarbeiten. Wenn jedoch die Blog-Kultur in weiten Teilen ein zuverlässiger Indikator für die tatsächliche Bedeutung frauenbewegter Fragestellungen im Bewusstsein schreibender und veröffentlichender Frauen ist, dann GUTE NACHT.
 
Es war noch nie so einfach, Meinungen unters Volk zu bringen und sich öffentlich an Diskursen zu beteiligen. Es war noch nie so selbstverständlich für Frauen, von der Möglichkeit einer eigenen Stimme Gebrauch zu machen und sich und seine Weltsicht zumindest theoretisch global zu präsentieren. Und was sehen junge Bloggerinnen, wenn sie ihre Welt betrachten – und sie sich machen, wie sie ihnen gefällt? Nun, wenn man ihren eigenen Schilderungen glauben darf, sehen sie in der Mehrzahl nicht viel außer Kleidern, Kosmetik und Cupcakes (also rein phonetisch wieder mal die drei Ks). Ach, und Nagellack! Frauen ballen auf ihren Blogs in der Tat gern die Fäuste – leider in der Regel nur, um die neuesten Nagellacktrends zu präsentieren.

Nun stellt sich vielleicht die Frage: Warum um alles in der Welt sollten Mädchen keinen Spaß an Mädchenkram haben? Sollen sie doch. Und ich bin die Erste, die beim Schlussverkauf bei Zara gefährdet ist, mit einer Tasche voller Schuhe mit Zehn-Zentimeter-Absatz nach Hause zu kommen und die Letzte, die wieder aus den Tiefen einer Mac-Filiale auftaucht (und nein, ich rede nicht von Computern).
Was erschütternd ist, ist jedoch die scheinbare Ausschließlichkeit der Themenwahl (Schönheit, Kleider, Kochen) in Verbindung mit einer immer identischen und in ihrer Penibilität hier und da fast ein wenig zwanghaft anmutenden Aufbereitung. Einige Inhaltsformen (z.B. Vlogs) sind sogar immer gleich aufgebaut und folgen, wie Pornofilme, einer in der Szene allgemein gültigen Choreographie. Wer sich das nicht so recht vorzustellen vermag, sollte bei YouTube einfach mal den Suchbegriff „Glossybox“ eingeben und die offenbar international gültigen, rituellen Strukturen bestaunen, die sich hier im Zusammenhang mit dem monatlichen öffentlichen Auspacken einer Schachtel mit Kosmetikproben entwickelt haben. Testgrößen-Porn? Unsäglich seichtes Weiblichkeitsgedudel in tatsächlicher Ermangelung anderer Interessen? Oder was ist da los?
Die Journalistin Laurie Penny, selbst erst Mitte zwanzig, legt in „Fleischmarkt“ sehr eindringlich dar, dass das, was Naomi Wolf bereits 1991 als Schönheitsmythos und politische Waffe gegen die Gleichstellung von Frauen beschrieben hat, noch immer nicht überwunden ist, bzw. in Zeiten des Backlash, und in diesen befinden wir uns weiterhin, immer weiter an Bedeutung und Einfluss auf die globale, weibliche Verfassung gewinnt. Laut Penny hat sich vor allem das Stereotyp der „hässlichen und maskulinen“ Feministin bis heute aus einem einzigen Grund gehalten: „Es terrorisiert Frauen mit der Angst, radikale Politik würde ihre Sexualität und Geschlechtsidentität zerstören.“

So oder so, junge Frauen, die sich vorrangig mit der Konsistenz von Lippenstiften befassen, stellen für männliche Machtstrukturen kaum eine Bedrohung dar. Noch sicherer ist die Sache allerdings, wenn Frauen ihre Zeit nicht nur aus Spaß mit solchen Banalitäten verbringen, sondern tatsächlich glauben, dass ihr Leben durch den Gebrauch bestimmter Produkte besser und aufregender wird, weil sie dadurch SELBST besser und aufregender werden (in ihrem Frausein). Kurz gesagt: Frauen, die überzeugt sind, unablässig an ihrem Äußeren arbeiten zu müssen, haben am Ende des Tages weniger Energie, Männern die Beine ihrer Vorstandssessel anzusägen. Außerdem erhalten sie die Weltwirtschaft am Leben, indem sie ihr Geld kräftig für Produkte und Maßnahmen zur äußeren Selbstoptimierung ausgeben. Es ist frustrierend zu sehen, dass sich seit 1991 offenbar nicht viel verändert hat, und dass heute eine übergroße Zahl von Bloggerinnen den vorhandenen öffentlichen Raum nicht anders, kreativer und wirksamer nutzt.
Fett ist noch immer „A Feminist Issue“*, verdammt!
Vor einigen Tagen habe ich dann beim Browsen durch deutsche Fettakzeptanz-Blogs gelesen, dass dicke Frauen sich mehr „anstrengen“ müssen, weil man sie generell für ungepflegt halte. Um zu beweisen, dass sie das nicht sind, müssten sie nun einmal härter an sich arbeiten. (Also, ungefähr so, wie Frauen besser sein müssen als Männer, um zu beweisen, dass sie deren Jobs genauso gut erledigen können.) Hier wird der dicken Leserin, die auf der Suche nach Ermutigung und Unterstützung ist, also explizit empfohlen, den Makel Fett, der ja angeblich keiner mehr ist, stets in ihre Planung und ihr Selbstmanagement einzubeziehen. Frauen müssen immer kämpfen, um zu gefallen, aber dicke Frauen eben doch noch mehr. Ganz nebenbei: Was passiert eigentlich Schlimmes, wenn eine Frau, sagen wir mal, Schweißflecken unter den Armen hat? So wie ich, als ich Sonntagabend nach Hause kam, meine Jacke auszog und mein erster Gedanke ganz automatisch war: „Oh Göttin, was für ein Glück, dass ich mich entschieden habe, heute nicht mit zu ihm zu gehen.“ Später ist mir dann in den Sinn gekommen, dass das möglicherweise gar nichts ausgemacht hätte. Man sollte bei Gelegenheit einfach mal nachfragen, was eigentlich wirklich weniger beliebt ist: Schweiß oder KEIN Sex?**
Ich erschrecke mich hin und wieder noch immer, wenn ich mich plötzlich im Vorbeigehen selbst in der Scheibe eines Schaufensters sehe. Aber einige Fatshion-Blogs haben mir auf meiner Reise zur Selbstakzeptanz als dicke Frau bis hierher sehr geholfen. Die Idee, sich durch entsprechende Kleidung endlich sichtbar zu machen und damit gleichzeitig Spaß zu haben, sein Selbstbewusstsein zu steigern und eine gesellschaftspolitische Nachricht zu senden, finde ich noch immer ausgesprochen attraktiv und vielversprechend. Trotzdem: Der Grat zwischen der kämpferischen Freude an der Provokation, die sich an Fatshion knüpft und einem verräterischen „Dicke Mädchen sind AUCH hübsch“ ist verdammt schmal. (Und oh, die Ironie…) Die Emanzipation der dicken Frau vom Schlankheitsterror befindet sich auf äußerst dünnem Eis, wenn sie nichts weiter zu bieten hat, als konventionelle Ideale von weiblicher Gefälligkeit, die lediglich ein paar Kleidergrößen größer sind. Wo Fatshion kein eigenes Universum mit eigenen Regeln kreiert und seine Radikalität im Aufguss herkömmlicher Weiblichkeit und in manchen Fällen sogar noch verstärktem „Weibchensein“ verliert, ist dann auch für die Besucherin des Blogs nicht mehr viel zu holen. Und Empowerment schlägt nicht nur fehl, sondern um, indem die Gültigkeit gängiger Schönheitsideale auch bei dicken Frauen greift und nicht mehr hinterfragt und aufgebrochen wird. Wenn das, was bleibt, ist, dass dicke Mädchen endlich auch schick sein dürfen/können, ist nichts wirklich gewonnen, sondern nur die Chance vertan, die Fatshion für alle Frauen hätte sein können.

 

 

In diesem Sinne - FROHE OSTERN! Möge jede von uns genau das finden, was sie auch wirklich sucht. ; )


*Susie Orbach

**“Was uns umgibt, ist nicht Sex an sich, sondern (…) eine Airbrush-Fantasie von Sexualität (…), die so steril wie unbarmherzig ist.“ (Laurie Penny)
 
NH