"Die Furcht vor dem weiblichen Fleisch ist die Furcht vor der weiblichen Kraft. Wenn wir unsere Körper zurückfordern, muss damit einhergehen, dass wir auch unsere Macht zurückfordern. Dies kann nicht erreicht werden, indem wir einfach eine teure Bodylotion kaufen." (Laurie Penny - "Fleischmarkt")
Kris nennt sie "Beautyterrorblogs“. Ich nenne das
Genre ja gern Backlash-Blogging. Wir
beide meinen die erstaunliche Schwemme weiblich geführter Blogs, die eine
faszinierend-schaurige Gleichschaltung auf tradierte weibliche Themen
aufweisen, und dieses weltweit. Wenn ich den Begriff „Backlash“ verwende,
beziehe ich mich natürlich auf Susan Faludis Buch aus dem Jahre 1991, in dem
sie die medialen, politischen und gesellschaftlichen Mechanismen beschreibt,
mit denen der Gleichberechtigung von Frauen nach einer Welle des Vorankommens jeweils
ein Klima des Zurückruderns entgegengesetzt wird.
Nun muss man natürlich auch heute noch nur irgendeine Frauenzeitschrift
aufschlagen, um zu sehen, dass Frauen am Backlash auch immer kräftig mitarbeiten.
Wenn jedoch die Blog-Kultur in weiten Teilen ein zuverlässiger Indikator für
die tatsächliche Bedeutung frauenbewegter Fragestellungen im Bewusstsein
schreibender und veröffentlichender Frauen ist, dann GUTE NACHT.
Nun stellt sich vielleicht die Frage: Warum um alles in
der Welt sollten Mädchen keinen Spaß an Mädchenkram haben? Sollen sie doch. Und
ich bin die Erste, die beim Schlussverkauf bei Zara gefährdet ist, mit einer
Tasche voller Schuhe mit Zehn-Zentimeter-Absatz nach Hause zu kommen und die
Letzte, die wieder aus den Tiefen einer Mac-Filiale auftaucht (und nein, ich
rede nicht von Computern).
Was erschütternd ist, ist jedoch die scheinbare Ausschließlichkeit
der Themenwahl (Schönheit, Kleider, Kochen) in Verbindung mit einer immer
identischen und in ihrer Penibilität hier und da fast ein wenig zwanghaft
anmutenden Aufbereitung. Einige Inhaltsformen (z.B. Vlogs) sind sogar immer gleich
aufgebaut und folgen, wie Pornofilme, einer in der Szene allgemein gültigen
Choreographie. Wer sich das nicht so recht vorzustellen vermag, sollte bei
YouTube einfach mal den Suchbegriff „Glossybox“ eingeben und die offenbar international
gültigen, rituellen Strukturen bestaunen, die sich hier im Zusammenhang mit dem
monatlichen öffentlichen Auspacken einer Schachtel mit Kosmetikproben entwickelt
haben. Testgrößen-Porn? Unsäglich seichtes Weiblichkeitsgedudel in
tatsächlicher Ermangelung anderer Interessen? Oder was ist da los?
Die Journalistin Laurie Penny, selbst erst Mitte zwanzig,
legt in „Fleischmarkt“ sehr eindringlich dar, dass das, was Naomi Wolf
bereits 1991 als Schönheitsmythos und politische Waffe gegen die Gleichstellung
von Frauen beschrieben hat, noch immer nicht überwunden ist, bzw. in Zeiten des
Backlash, und in diesen befinden wir uns weiterhin, immer weiter an Bedeutung
und Einfluss auf die globale, weibliche Verfassung gewinnt. Laut Penny hat sich
vor allem das Stereotyp der „hässlichen und maskulinen“ Feministin bis heute
aus einem einzigen Grund gehalten: „Es terrorisiert Frauen mit der Angst,
radikale Politik würde ihre Sexualität und Geschlechtsidentität zerstören.“
So oder so, junge Frauen, die sich vorrangig mit der
Konsistenz von Lippenstiften befassen, stellen für männliche Machtstrukturen
kaum eine Bedrohung dar. Noch sicherer ist die Sache allerdings, wenn Frauen
ihre Zeit nicht nur aus Spaß mit solchen Banalitäten verbringen, sondern
tatsächlich glauben, dass ihr Leben durch den Gebrauch bestimmter Produkte
besser und aufregender wird, weil sie dadurch SELBST besser und aufregender
werden (in ihrem Frausein). Kurz gesagt: Frauen, die überzeugt sind, unablässig
an ihrem Äußeren arbeiten zu müssen, haben am Ende des Tages weniger Energie,
Männern die Beine ihrer Vorstandssessel anzusägen. Außerdem erhalten sie die
Weltwirtschaft am Leben, indem sie ihr Geld kräftig für Produkte und Maßnahmen
zur äußeren Selbstoptimierung ausgeben. Es ist frustrierend zu sehen, dass sich
seit 1991 offenbar nicht viel verändert hat, und dass heute eine übergroße Zahl
von Bloggerinnen den vorhandenen öffentlichen Raum nicht anders, kreativer und
wirksamer nutzt.
Fett ist noch immer „A Feminist Issue“*, verdammt!
Vor einigen Tagen habe ich dann beim Browsen durch deutsche
Fettakzeptanz-Blogs gelesen, dass dicke Frauen sich mehr „anstrengen“ müssen,
weil man sie generell für ungepflegt halte. Um zu beweisen, dass sie das nicht
sind, müssten sie nun einmal härter an sich arbeiten. (Also, ungefähr so, wie
Frauen besser sein müssen als Männer, um zu beweisen, dass sie deren Jobs
genauso gut erledigen können.) Hier wird der dicken Leserin, die auf der Suche
nach Ermutigung und Unterstützung ist, also explizit empfohlen, den Makel Fett,
der ja angeblich keiner mehr ist, stets in ihre Planung und ihr Selbstmanagement
einzubeziehen. Frauen müssen immer kämpfen, um zu gefallen, aber dicke Frauen
eben doch noch mehr. Ganz nebenbei: Was passiert eigentlich Schlimmes, wenn
eine Frau, sagen wir mal, Schweißflecken unter den Armen hat? So wie ich, als
ich Sonntagabend nach Hause kam, meine Jacke auszog und mein erster Gedanke
ganz automatisch war: „Oh Göttin, was für ein Glück, dass ich mich entschieden
habe, heute nicht mit zu ihm zu gehen.“ Später ist mir dann in den Sinn
gekommen, dass das möglicherweise gar nichts ausgemacht hätte. Man sollte bei
Gelegenheit einfach mal nachfragen, was eigentlich wirklich weniger beliebt
ist: Schweiß oder KEIN Sex?**
Ich erschrecke mich hin und
wieder noch immer, wenn ich mich plötzlich im Vorbeigehen selbst in der Scheibe
eines Schaufensters sehe. Aber einige Fatshion-Blogs
haben mir auf meiner Reise zur Selbstakzeptanz als dicke Frau bis hierher sehr geholfen.
Die Idee, sich durch entsprechende Kleidung endlich sichtbar zu machen und
damit gleichzeitig Spaß zu haben, sein Selbstbewusstsein zu steigern und eine
gesellschaftspolitische Nachricht zu senden, finde ich noch immer ausgesprochen
attraktiv und vielversprechend. Trotzdem: Der Grat zwischen der kämpferischen
Freude an der Provokation, die sich an Fatshion knüpft und einem verräterischen
„Dicke Mädchen sind AUCH hübsch“ ist verdammt schmal. (Und oh, die Ironie…) Die Emanzipation der dicken Frau vom
Schlankheitsterror befindet sich auf äußerst dünnem Eis, wenn sie nichts weiter
zu bieten hat, als konventionelle Ideale von weiblicher Gefälligkeit, die
lediglich ein paar Kleidergrößen größer sind. Wo Fatshion kein eigenes
Universum mit eigenen Regeln kreiert und seine Radikalität im Aufguss
herkömmlicher Weiblichkeit und in manchen Fällen sogar noch verstärktem „Weibchensein“
verliert, ist dann auch für die Besucherin des Blogs nicht mehr viel zu holen. Und
Empowerment schlägt nicht nur fehl, sondern um, indem die Gültigkeit gängiger
Schönheitsideale auch bei dicken Frauen greift und nicht mehr hinterfragt und
aufgebrochen wird. Wenn das, was bleibt, ist, dass dicke Mädchen endlich auch
schick sein dürfen/können, ist nichts wirklich gewonnen, sondern nur die Chance
vertan, die Fatshion für alle Frauen hätte sein können.
In diesem Sinne - FROHE OSTERN! Möge jede von uns genau das finden, was sie auch wirklich sucht. ; )
*Susie Orbach
**“Was uns umgibt, ist nicht Sex an sich, sondern (…) eine
Airbrush-Fantasie von Sexualität (…), die so steril wie unbarmherzig ist.“
(Laurie Penny)
NH