Dienstag, 16. Oktober 2012

Es wird eng



Und dabei war ich eigentlich stolz wie ein Esel, der Ascot gewinnt. Denn ich habe das Budget, insbesondere das für Nahrungsmittel, in diesem Monat noch nicht überschritten. Von den Hartz-IV-Empfängern zugestandenen € 128,46 sind noch € 36,82 übrig. Gut, der Monat ist erst halb rum, aber ich bin zuversichtlich. Wie von Michael angeregt, habe ich mich mit „Basics“ eingedeckt – Brot, Nudeln, Eier, Ketchup, Remoulade, Butter, billigem Käse, Tiefkühlspinat etc. Außerdem habe ich aufgelistet, was es bisher zum Abendessen gab:
4.10.12
Bratnudeln mit Ei und Gewürzgurke
5.10.12
Fried Cheese (gebratene Toastscheiben gefüllt mit Käse und Paprikastückchen) und Pommes
6.10.12
Spinat-Käsetaschen (tiefgefroren, aus Großpackung von Lidl) und eine halbe Salatgurke

7.10.12
Kartoffel- und Möhrenpüree mit Gewürzgurken
8.10.12
Kartoffel- und Möhrenpüree mit einem Omelette und Gewürzgurken
9.10.12
Spinat-Käsetaschen (siehe oben) mit Tomaten.
10. 10.12
Gebackener Fetakäse mit Tomaten, Paprika und Pommes (Tiefkühlkost)
11.10.12
Bratreis mit Ei und Erbsen (aus dem Glas)
12.10.12
Cheddar-Lauch-Pasteten von Ikea (Tiefkühlkost) und Tomatensalat
13.10.12
Toast und Tomaten überbacken mit Mozzarella und der restliche Bratreis
14.10.12
Nudeln mit Spinat-Frischkäse-Soße
15.10.12
Nudeln mit Spinat-Frischkäse-Soße

Mittags oder nachmittags gab es Butterbrote und/oder Suppe. Zum Frühstücken komme ich glücklicherweise gar nicht.
Wenn man mal von der Kürbissuppe in der ersten Woche absieht, macht sich der konsequente Verzicht auf frisches Gemüse in der Brieftasche diesmal absolut bemerkbar – und gleichzeitig kann ich eigentlich nicht sagen, dass mich Fett und Kohlenhydrate bisher nicht mit genug Energie versorgen würden – obwohl ich auch wieder geringfügig abgenommen habe. Allerdings sind Süßigkeiten, wenn ich sie nicht geschenkt bekomme (und ich bekomme VIEL ZU WENIG), eine absolute Ausnahme – hier kommt es dann in der Tat auch zu etwas, was ich als Mini-Heißhungerattacken beschreiben würde. Somit kann ich berichten, dass ich letztens an der Tankstelle höchstens 5 Sekunden gebraucht habe, um einen Mars-Riegel um die Ecke zu bringen.

Und was sagt Michael, als er meine Liste sieht: „Also wir müssen versuchen, die Speisepläne etwas fröhlicher zu gestalten. Das hört sich sonst doch zu eintönig und traurig an.“ Traurig!!! Er fand meine Ernährung traurig! ; ) Was aber nicht zuletzt damit zusammenhängen könnte, dass ich in den letzten zwei Wochen als Mauerblümchen jeden Abend beim Schein einer staubigen Glühbirne allein zu Haus gegessen habe, während er als Party Animal die Stadt regelmäßig rot anstreicht ; ). Das allerdings bringt ihn in diesem Monat auch in ganz neue Schwierigkeiten, die er vormals als preisbewusster Praktikant und frisch nach Hamburg gezogen noch nicht hatte: „Ich bin im Oktober auch schon einige Male und vor allem großzügig eingeladen worden. Das machen die Spender mal einen Monat mit - aber auf Dauer? Dann wären sie bald keine Freunde mehr. Und welcher Hartz-IV-Empfänger hat denn Freunde, die so viel Geld haben, nicht nur für sich, sondern auch für andere immerzu mitbezahlen zu können? Und trotz der Einladungen hatte ich auch Kosten. Am letzten Wochenende zum Beispiel: Freitag waren wir tibetanisch essen. Mein Essen und die Getränke habe ich selbst bezahlt. Danach wollte die Gruppe noch was trinken gehen. Was soll ich also machen? Allein nach Hause fahren? Nein! Also musste mich jemand einladen. Die zwei Apfelstrudel (Wodka, Zimt und naturtrüber Bio-Apfelsaft) kosteten 14 Euro. Ich habe mich mit einem Euro am Trinkgeld beteiligt. Am nächsten Tag waren die Kosten für meine Freunde noch höher. Ich habe ein kleines Richtfest in meiner Wohnung gegeben. Ich hatte aber nur noch Bier zu Hause, das meine Mitbewohnerin mal dagelassen hat. Also hat ein Freund Sekt mitgebracht. Hunger hatten die Gäste auch. Es wurde Pizza bestellt. Die Rechnung teilten sich zwei Leute (ich war nicht dabei). Von meiner Wohnung aus, sollte es zum Kiez gehen. Während meiner Praktikumszeit fuhr ich natürlich mit der Bahn. Wenn man sich aber erst mal ans Taxifahren gewöhnt hat, hat man natürlich keine Lust, sich für 45 Minuten in die zugige Bahn zu setzen. Also kam ein Taxi. Gezahlt hat wieder ein Freund. Dann musste ich aber natürlich doch auch mal etwas übernehmen und bezahlte den Eintritt für alle (für 4 Leute: 12 Euro). Getränke im Club gingen wieder auf die anderen (ich denke, das waren für mich so ca. 30 - 40 Euro). Dienstag wurde ich auch zum Essen eingeladen und habe für ca. 60 Euro gegessen und getrunken - wenn ich selbst gezahlt hätte, wäre das Budget schon an diesem einen Abend weg gewesen!“
Natürlich hat Michael nicht nur auswärts gegessen, aber glamouröser als meiner war sein Speiseplan in den letzten Tagen auf jeden Fall:
Freitag: kurz gebratener Thunfisch Teriyaki mit frischem Gemüse (Restaurant)
Samstag: Pizza Bombay von Joey‘s
Sonntag: Rührei, Vollkornbrot mit Heringssalat, Miracoli
Montag: Ciabatta mit Käse und Pute, Miracoli
Dienstag: Bagel mit Frischkäse, halbes Brötchen mit Fleischsalat, Einladung zum Essen (Pimientos de Padrón, Datteln im Speck, Chorizo in Weißwein, Kalbsleber mit Portwein, frittierte Sardellen, gemischter Käse)
Mittwoch: 1 Scheibe Vollkornbrot mit Teewurst, 2 Cheeseburger, überbackener Toast mit Käse und Thunfisch
Donnerstag: 1 Scheibe Vollkornbrot mit Teewurst, Currywurst mit Brötchen, getrüffeltes Kartoffel-Steinpilzpüree, Rosmarin-Möhrengemüse und Spiegelei
Freitag: 1 Scheibe Vollkornbrot mit Teewurst, Linseneintopf mit Würstchen und Ruccolasalat, griechischer Nudelauflauf mit Hack, Zucchini, selbstgemachtem Zaziki und Baguette
Samstag: Schnittchen mit Serano, Zaziki, Frischkäse, Schinkenwurst, abends Rindergulasch mit Rotkohl und Kartoffelklößen
Sonntag: Einladung zum Brunch, abends Gnocchi mit Steinpilzen, getrockneten Tomaten, Speck, frischen Kräutern und mit Käse überbacken
Montag: Scheibe Brot mit Teewurst, abends Gulasch, gebratene Knödel und Rotkohl, 1 Long Island Ice Tea (Happy Hour)
Obwohl Michael zur Monatsmitte noch über € 175,30 des Gesamtbudgets verfügt, ist sein Zwischenfazit, dass es offenbar besonders schwierig ist, mit dem Hartz-IV-Regelsatz auszukommen, „wenn man sich erst einmal an einen gewissen Standard gewöhnt hat und nicht irgendwann auf sein soziales Umfeld verzichten möchte.“ Obwohl er das Budget im Oktober sicher nicht überschreiten wird (bei mir bin da noch nicht so sicher), glaubt er nicht, dass das Experiment dann auch tatsächlich die reale Situation eines Hartz-IV-Empfängers wiederspiegelt. Freunde, die einen einladen, weil es sich um eine Ausnahmesituation handelt, Vorräte, die noch in der Speisekammer und in der Tiefkühltruhe zur Verfügung stehen – all das sei „im normalen Hartz-IV-Leben und auf unbestimmte Zeit ja gar nicht umsetzbar!“

Recht hat er. Unzureichende und eintönige Ernährung ist eine Sache – am kulturellen und gesellschaftlichen Leben keinen Anteil mehr zu haben, ist eine andere. Vermutlich ist es sogar der schwerwiegendere und destruktivere Effekt eines Lebens mit Hatz IV. Wenn das Budget für Bildung nicht einmal mehr für die Eintrittskarte ins Museum reicht. Oder der Betrag für Gaststättendienstleistungen nicht genug ist für zwei Stück Geburtstagskuchen mit Kaffee.
Trotzdem müssen Michael und ich nun erst einmal aus den gewonnenen Einsichten und Eindrücken herausschälen, WAS wir in der zweiten Hälfte aus unserem Experiment tatsächlich lernen können – außer der Tatsache, dass man vielleicht doch so gerade über die Runden kommen kann. Zumindest einen Monat lang. Und in meinem Fall mit viel vorangegangener Übung. Gedacht hatten wir uns, das Ganze könnte regelrecht so eine Art "Heilfasten" werden, in dessen Verlauf wir auf das stoßen, was wirklich wichtig ist. Dafür, so scheint es, war das Experiment in den letzten zwei Wochen für uns beide doch ein wenig zu stressig. Und was wir wirklich festgestellt zu haben scheinen, ist, dass Geld verdammt wichtig ist.

NH

7 Kommentare:

  1. Mich würde interessieren, was ein Ernährungswissenschaftler, der auf dem neuesten Stand ist (das sind leider nicht alle, vor allem nicht die, die ins Fernsehen eingeladen werden) zu Eurem Experiment sagen würde. Deine Heißhungerattacken auf Süßes sind bei dieser Kohlenhydratüberdosis total normal, weil der Insulinspiegel dadurch nach dem Essen steil ansteigt und dann wieder ins Bodenlose sackt und nach schnellem Nachschub verlangt. Gemüse aller Art müsste subventioniert werden.

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  2. Hallo liebe Dicke Dame,

    durch dich und unser Umfeld inspiriert, hat einer unserer Autoren nun einen Hartz4 Kochblog eröffnet.

    Gesund essen mit Hartz4, mit Angaben zu Nährwerten, was gedeckt wird, auf was man achten muss und dergleichen. Inklusive der 'in etwa' Preisangaben.

    Vielleicht findest du ja was für dich, oder hast einen Wunsch.

    Die entsprechenden Werte sind nach neuesten Erkentnissen berechnet...nur für den Durchschnitt, aber zumindest etwas.

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  3. Das sind auch meine Erfahrungen. Abgesehen davon, dass ich sehr schlecht damit zurecht komme, mich ständig einladen zu lassen (weil ich kein Geld habe), belastet diese Situation so gut wie jede Freundschaft/Beziehung.
    Am gesellschaftlichen Leben in keinster Form mehr Teil haben zu können, das war für mich das Schlimmste. Mit Essen und Kleidung, das habe ich noch immer irgendwie geschafft, da ich z. B. Second Hand kaufe, und für Lebensmittel sogar zur "Tafel" gegangen bin. Aber von der Gesellschaft quasi ausgeschlossen zu sein, nach und nach von immer weniger Freunden (sind es Freunde?) angerufen zu werden weil man eh nirgends dabei sein kann, das war für mich schlimm und hat immer wieder zu depressiven Schüben geführt.

    P.S. Zum obigen Kommentar: die Idee mit dem Hartz4-Kochblog finde ich sehr gut!

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  4. vybz,

    das ist leider so..man mag meinen dass die Politiker versuchen wollen das Volk noch weiter zu spalten mit so etwas.

    Das soziale Vereinsamen ist an dem allem das Schlimmste.

    Manchmal hat man Glück und kann auf Pickniks, Grillabende wo jeder was mitbringt, oder öffentliche Veranstaltungen ausweichen.

    Schau doch mal rüber auf den blog und sag was du denkst.

    Liebe Grüße

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  5. Also, ich denke, so ziemlich jeder Ernährungswissenschaftler (bis auf Herrn Pollmer) würde vermutlich die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Ob zu Recht oder nicht, ist bei der Fülle ständig neuer Ernährungsempfehlungen und -konzepte schwer zu sagen, finde ich. Fest steht auf jeden Fall, dass diese Ernährung auf Dauer wenig Spaß macht.

    Aber ich mache die Entscheidung für oder gegen Lebebnsmittel heute eher von ethischen Gesichtspunkten abhängig - darum am liebsten vegan, und darum lieber bio und fair trade und eher nicht Dicounter. Aber das geht ja im Augenblick natürlich nicht.

    @Wildbirds
    Wir finden das Projekt http://gesundundguenstig.blogspot.de/ sehr interessant. Besonders der letzte Beitrag über mundraub.org und die Möglichkeiten, kostenlose Nahrungsmitteln quasi in der Natur zu finden, hat mich auf Ideen gebracht.

    Mir ist in dem Zusammenhang auch eingefallen, dass man sich eigentlich noch einmal im Zuge des Experiments als "Urban Forager" versuchen, und wirklich mal in den Containern des örtlichen Supermarkts nachsehen könnte, was dort weggeworfen wird, und wie viel noch gute Nahrung im Müll landet. Mal sehen, ob ich das hinbekomme. Da gibt es dann doch auch eine echte Hemmschwelle.

    Danke für Eure Kommentare und viele Grüße
    Nicola

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  6. @ Nicola: Zum zuletzt angesprochenen Thema (Lebensmittel im Müll) kann ich nur den Film "Taste the waste" empfehlen. Kennst du den? Einfach unglaublich, was alles im Müll landet und das nicht nur in den Supermärkten. Ok, das schweift ein wenig vom eigentlichen Thema ab, passt aber zum "Containern". Bin gespannt, ob du das machen würdest. Ich hätte wahrscheinlich keine Probleme die Sachen aus dem Müll zu holen. Aber mittlerweile schließen die Supermärkte ihre Container ein!!!

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  7. Hallo!

    Tolles Experiment. Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Vielleicht bin ich auch zu weit weg.

    Ich weiß nur eins, dass man sich genau überlegen muß, ob man Kinder in die Welt setzt. Kommt es dazu, dass man Arbeitslos wird oder man läßt sich scheiden, ist jeder Pfennig nötig.

    Ich habe drei Jahre lang eine Mahlzeit pro Tag gehabt, da ich von heute auf morgen allein erziehend war.

    Auch denke ich, dass man lieber seinen Leuten im Heimatland zuerst hilft bevor man an großspurige Projekte denkt, die weit weit weg sind und wo es schwer ist zu überblicken wohin die Gelder gehen.

    Toller Blog!

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