Nachdem unser
Hartz-IV-Projekt nun schon seit Ende Oktober beendet ist, wird es Zeit, ein Resümee
zu ziehen. Das Ziel war bekanntlich, im Oktober in den Hatz-IV-Kategorien
Nahrungsmittel, Innenausstattung, Bekleidung, Gesundheitspflege, Freizeit, Bildung,
Gaststättendienstleistungen und Sonstiges mit dem Regelsatz von insgesamt
€276,83 auszukommen und möglichst auch innerhalb der Abteilungen im Budget zu
bleiben. Im September, unserem Vergleichsmonat mit „regulären“ Ausgaben, lagen
meine Gesamtausgaben für die o.g. Kategorien bei € 1368,82. Bei Michael waren
es € 1070,42. Allerdings hatte bei uns beiden jeweils eine kurze Reise den
Betrag ein wenig in die Höhe getrieben.
Es ist also zu schaffen.
Zumindest für
einen Monat. Aber Spaß macht es nicht, mit dem Hartz-IV-Regelsatz auskommen zu
müssen. Und leicht war es nach wie vor auch nicht. Im Oktober habe ich für die
Kategorien insgesamt € 274,35 ausgegeben, Michael € 277,24. Michael ist in
allen Bereichen weit innerhalb des Budgets geblieben – bis auf Freizeit und
Gaststättendienstleistungen. Ich lag bei den Nahrungsmitteln wieder um € 20,38 über dem Budget, bei der
Innenausstattung um € 11,06 (durch die eigentlich ungeplante Anschaffung eines
Woks bei IKEA), bei der Gesundheitspflege um € 1,08 und bei der Bildung um €
1,11 (durch den Kauf der Hamburger Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt).
Was haben wir denn nun gelernt?
Am Ende waren
wir nicht einmal mehr stolz, mit dem zugeteilten Geld ausgekommen zu sein. Die
Befriedigung, die sich unter Umständen nach einer erfolgreichen Fastenübung
einzustellen vermag, blieb schlicht aus. Michaels Erklärung hierfür leuchtet ein:
Wir haben ja auf nichts verzichtet, was potentiell einen „negativen“ Einfluss
auf unsere Lebensführung hat: Zigaretten, Computerspiele, Süßigkeiten. Wir
haben hauptsächlich auf Dinge verzichtet, die niemand ernsthaft für schlecht
halten kann – z.B. auf Gemüse. Und
Bücher. Und Opernkarten.
Und wie steht
es nun mit der Ernährung? Zweifelsohne lag das Hauptaugenmerk wieder
durchgängig auf dem Budget für Nahrungsmittel. Und das lag u. a. vermutlich daran,
dass man einen Schuhkauf sehr wohl aufschieben kann – besonders, wenn man weiß,
dass man im kommenden Monat schon wieder in sein „normales“ Leben zurückkehren
wird. Essen kann man nicht aufschieben.
Ich habe in
diesem Monat, wie berichtet, konsequent von preiswerten Kohlenhydraten und Fetten
gelebt. Käse, Butter, Eier, Weißbrot, Kartoffeln, Pommes, Nudeln - und dann war da ja noch die Wiederentdeckung der Gewürzgurke.
Und manchmal war es eine großartige Sache, all das essen zu dürfen, was man
sonst im Hinterkopf immer unter „ungesund“ abgeheftet hatte. Wie ebenfalls
bereits erwähnt, habe ich bei der ganzen Aktion geringfügig, aber anhaltend
abgenommen. Seit Anfang Juli, als ich begann, mich zu wiegen, habe ich bis
heute nach einigen Schwankungen 6 kg verloren.
Im Gegensatz
zu mir, hatte Michael den Eindruck, sich während des Experiments sogar gesünder
(wenn halt auch freudloser), bzw. bewusster zu ernähren, als wenn er nicht auf
das Budget achten muss, weil er normalerweise sehr viel mehr auswärts isst –
auch Fast Food. Allerdings war es schwieriger, sich einzuschränken, als er
gedacht hatte. Eines seiner Fazits war, dass es einfacher ist, gemeinsam arm zu
sein. Als er vor Jahren zusammen mit einer Mitbewohnerin auf sehr kleinem Fuß
lebte, machte das erheblich mehr Spaß als im Single-Haushalt. Ein Fernsehabend
und geteilte Nudeln mit Butter sind halb so schlimm, und man muss sie auch
nicht für die kommenden fünf Tage immer wieder aufwärmen.
Weder Michael
noch ich haben im Oktober negative körperliche Auswirkungen oder einen Mangel
an Energie wahrgenommen. Was bleibt, ist milde Verwirrung. Was ist schon
gesunde Ernährung? Und wie sich Hartz-IV-Empfänger bzw. Menschen, die am
Existenzminimum leben, in Ermangelung besseren Wissens ungesund überernähren
und dadurch maßgeblich zur Verfettung der Nation beitragen sollen, bleibt weiterhin
ein Rätsel.
In einem
vorangegangen Post haben wir auch schon die Gefahr sozialer Isolation
angesprochen. Wer plötzlich mit sehr knappen Ressourcen über die Runden kommen
muss, lernt seine wahren Freunde kennen – so wie in vermutlich jeder
Krisensituation. Michael hatte ihre volle Unterstützung im Oktober. Sie luden
ihn ein, oder blieben einfach alle zusammen zum Videoabend zu Hause, um das
Budget nicht weiter zu strapazieren.
In meinem
Bekanntenkreis hielt man das Experiment dann doch eher für eine exzentrische
Privatsache, was nicht heißen soll, dass man nicht mit haufenweise guten
Ratschlägen versorgt worden wäre. Es war bemerkenswert, wie viel alle Welt plötzlich
über das Leben am Existenzminimum wusste. Und wenn man der Mehrzahl dieser
wohlmeinenden Berater glauben darf, dann ist es auch gar nicht schwer, mit dem
Hartz-IV-Regelsatz klarzukommen. Zwar waren die meisten zunächst überrascht,
wie niedrig dieser ist, aber „Möhren sind doch billig“ und „Von so einer Tüte
Äpfel hat man doch lange was“ – und „Man kann ja Pizza auch selber machen“. Wir haben uns gefragt, warum viele unserer
Gesprächspartner darauf bestanden, es sei leicht, mit wenig auszukommen, wenn
die meisten von ihnen eigentlich absolut keine persönliche Erfahrung damit
haben. Würde man nachhaken, würde man hier und da möglicherweise auf erhebliche
Vorurteile gegenüber Hartz-IV-Empfängern stoßen – übergewichtige, faule,
asoziale, ungepflegte, einfach gestrickte Kreaturen, die den ganzen Tag und
letztendlich ihr ganzes Leben auf Kosten der Steuerzahler auf dem Sofa sitzen.
Wenn „solche Leute“ es „schaffen“, mit dem Regelsatz auszukommen, dann kann es
gar nicht schwer sein. Würde man außerdem ernsthaft zu dem Schluss kommen, dass
Menschen, die aus was für Gründen auch immer auf Hartz IV angewiesen sind, mehr oder weniger zwangsläufig
den Anschluss an die Gesellschaft verlieren (zur Erinnerung: € 1,39 für Bildung
im Monat), müsste man eigentlich auch dafür sein, dass sich daran etwas ändert.
Vielleicht durch eine Erhöhung der Sätze. Aber vielleicht auch durch viel mehr
und viel einfühlsamere Unterstützung bei Arbeitssuche, Weiterbildung und
Kinderbetreuung. Eine Gesellschaft kann nicht bestimmte Mitglieder abschreiben
und erwarten, dass diese am Ende nicht Gefahr laufen, es auch selbst zu tun.
Noch kurz
einen Nachtrag zum „Containern“ – im Supermarkt um die Ecke teilte man mir auf
Nachfrage, ob ich mal in den Containern stöbern dürfte, mit, dass in ihren
Containern nichts Verwertbares mehr sei, weil sie ihre Reste an die Tafel
abgeben. Das würden ohnehin immer mehr Supermärkte in der Gegend tun. Wenn das
stimmt, und davon gehe ich aus, dann ist das natürlich toll. Ich sag’s jetzt
einfach: Ich war zu dem Zeitpunkt einigermaßen erleichtert, denn auf das Experiment
hatte ich wirklich wenig Lust. Gedanklich bleibe ich aber trotzdem mal dran.
Zum Thema passend hier noch ein sehens-/lesenswerter Beitrag.
PS: Hab' ich doch gleich noch was gelernt, bzw. heute Nachmittag beim Einkaufen entschieden: Ich werde in diesem Jahr die Weihnachtskauferei und -verschenkerei ganz erheblich einschränken und stattdessen lieber eine Spende an ein oder zwei etablierte, vertrauenwürdige Projekte/Organisationen überweisen, deren Arbeit ich für wichtig halte. Auch das dürfte im Hinblick auf die Frage, wie man das den verblüfften Nicht-Beschenkten nun wieder vermittelt, abermals nicht ohne Herausforderungen sein. Ich versuch's trotzdem. Außerdem können wir da auch gleich wieder zu vybzbilds Welt schalten, denn da gibt es einen entsprechenden Hinweis auf den Buy Nothing Day.
PS: Hab' ich doch gleich noch was gelernt, bzw. heute Nachmittag beim Einkaufen entschieden: Ich werde in diesem Jahr die Weihnachtskauferei und -verschenkerei ganz erheblich einschränken und stattdessen lieber eine Spende an ein oder zwei etablierte, vertrauenwürdige Projekte/Organisationen überweisen, deren Arbeit ich für wichtig halte. Auch das dürfte im Hinblick auf die Frage, wie man das den verblüfften Nicht-Beschenkten nun wieder vermittelt, abermals nicht ohne Herausforderungen sein. Ich versuch's trotzdem. Außerdem können wir da auch gleich wieder zu vybzbilds Welt schalten, denn da gibt es einen entsprechenden Hinweis auf den Buy Nothing Day.
NH
Sehr interessant, vielen Dank. Ich habe Dein Experiment mit Aufmerksamkeit verfolgt. Es ist irgendwie...deprimierend.
AntwortenLöschenDass man seine wahren Freunde kennenlernt, wenn man mit wenig Geld auskommen muss/will, stimmt sicherlich auch. Das kann unheimlich desillusionierend sein. Sowieso ist das so eine Sache mit Freunden und schlechten Zeiten. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut sind Brocken, die viele Freundschaften nicht überstehen, glaube ich.
@lizzz
AntwortenLöschenDanke für deine Nachricht!
Es ist wirklich deprimierend - und hat mich auch alles andere als beruhigt, was das soziale Netz angeht. Es fühlt sich nach all dieser Ausprobiererei und Nachleserei für mich nicht so an, dass einem dieses Sytem den Boden unter den Füßen zurückgeben kann, sollte man ihn mal verlieren. Da braucht man dann vermutlich extra viel Kraft (die man in bestimmten Situationen aber ja vielleicht zunächst einmal gar nicht hat.)
Und was Solidarität im Krankheitsfall angeht, habe ich das mit den "wahren Freunden" ganz konkret mit meiner Mutter erlebt. Da haben Bekannte mitunter im Supermarkt Haken geschlagen, um ihr nicht zu begegnen und sich nicht auseinandersetzen zu müssen.
Viele Grüße
Nicola
Super, dein Résumée!
AntwortenLöschenDir ist nicht entgangen, wie sehr man plötzlich von allen Seiten gute Ratschläge bekommt, und wie verdammt leicht es sich die Leute vorstellen, dieses Leben mit so extrem wenig Geld.
Etwas anders sieht die Sache dann doch in der Realität aus, wenn die Freunde weg bleiben so nach und nach. Oder wenn man es einfach nach längerer Zeit im Hartz-Bezug nicht mehr ertragen kann, seinen Freunden auf der Tasche zu liegen, und sich mehr und mehr zurückzieht.
Du hast auch ganz klar die Problematik erkannt, dass das bisschen Geld nicht für Dinge wie SCHUHE reicht. Von dem 1,39 € im Monat für Bildung ganz zu schweigen.
Der Druck des Jobcenter durch Sanktionen kommt auch noch dazu.
Nicht wirklich "ein Leben".
Oder?
Toll, dass ihr das Experiment gemacht & das auch durchgezogen habt! Respekt!
AntwortenLöschenDa überdenkt man doch seine aktuelle Lebensweise. Wie verschwenderisch wir eig. mit unserem Geld umgehen. Und andere haben fast nichts..
Wie oft habe ich schon Essen weggeschmissen, dass eigentlich noch ganz gut war?!..
Danke, dass ihr uns daran habt teilhaben lassen!
ich muss da wirklich mal so einiges überdenken..
Liebe Grüße
Natadi
Ich habe mit Interesse verfolgt und gelesen. Nicht nur, weil das Experiment gemacht wurde sondern um zu sehen, was daraus folgt. Letzlich ist es doch genau das, worauf es ankommt. Mensch sein - Mensch bleiben. Geht das mit Hartz VI? Eher nicht. Umso bewundernswert ist jeder, der es dort hinaus schafft. Menschlich gesehen ist das eine großartige Leistung und schon gar nicht normal, wie immer erklärt wird.
AntwortenLöschenIch danke für das sehr interessante, weil persönliche Resumee.
Hejho,
AntwortenLöschenin den vergangenen Monaten habe ich ebenfalls, und nicht gerade frewillig, eine ganze Zeit lang versucht mit etwa 210 Euro auszukommen.
Gerade was den Aspekt Freunde angeht, fehlt, glaube ich, vielen nicht-betroffenen definitiv der Blick. Da mein Freundeskreis durch andere Umstände schon auf Herz und Nieren geprüft ist, gab es keine Enttäuschungen dahingehend - ich konnte mich kaum retten vor Entgegenkommen und dem Angebot, mich einladen zu lassen. Wie sehr es aber am Selbstwertgefühl nagt, sich ständig wie ein "Schmarotzer" zu fühlen, wird vergessen. So sucht man stattdessen nach Ausflüchten. "Kinobesuch?" Zu teuer, aber "geht ruhig ohne mich, ich - äh - will den Film eh nicht sehen!" Und so gemütlich es auch ist, stattdessen gemeinsam eine DVD zu gucken, man will die anderen ja auch nicht dauernd davon abhalten, unterwegs zu sein. Beim Café oder Kneipenbesuch - eigentlich nicht drin! - versucht man, sich Ewigkeiten an einer Tasse Filterkaffee festzuhalten, und lügt sich und anderen was vor, indem man die ganze Zeit versucht so zu tun, als sei man mit einem Bier ohnehin rundum bedient.
Gerade diese 'Unaufrichtigkeit' mir und anderen gegenüber hat mir immer viel zu Schaffen gemacht; auch wenn es strenggenommen banale Sachen waren, hatte ich ständig das Gefühl, mich zu verstellen, nicht ich selbst zu sein, und mochte mich nicht.
Tolle Aktion von euch beiden, und Danke dass du diesen Artikel mit uns teilst!