Wenn ich bisher noch nicht ganz und gar sicher war, dann
bin ich es jetzt, nachdem ich todesmutig im verräterischen Licht einer
Ulla-Popken-Umkleidekabine einen Badeanzug mit einem glitzernden Papagei auf
der Vorderseite anprobiert habe. Über meinen Leib gespannt wurde dieser
zu einem recht stattlichen Viech. Und eins muss man ihnen lassen – sie mögen sich
auf die Verhüllung dicker Frauen spezialisiert haben, aber ihre Umkleiden
machen der Käuferin nichts vor. Zuerst erkannte ich nur eine dicke Frau mit einem echt fetten Papagei am Busen, und krächzte ein paarmal "Lora" vor mich hin. Aber dann sah ich auch den Rest. Mit zwei Spiegeln, die garantiert nicht solche
sind, die ein paar Kilos wegschummeln, hat man einen großartigen Panoramablick
auf Wellen und Dellen und das ganze restliche Gedöns.
Ich weiß: Alle Jahre wieder. Aber zum ersten Mal nahm ich mir auch im hintersten Winkel meiner Seele NICHT mehr vor, das alles eines Tages zu ändern und schön und straff zu werden. Ich SAH die Verwüstung, die das Ergebnis jahrzehntelanger Diäten ist, die hängende, krisselige Haut an den Oberarmen, die silbrigen Dehnungsstreifen, die sich wie glänzende Schneckenspuren über meinen Bauch ziehen und das klumpige, wippende Fleisch an den Oberschenkeln, und BEGRIFF, dass dieser Kampf, selbst wenn ich es wollte, nicht einmal mehr mit operativen Maßnahmen zu gewinnen wäre. Und dass, im Gegenteil, die erneute, wenn auch nicht mehr drastische Gewichtsabnahme die nackten Tatsachen vermutlich aus rein ästhetischer Sicht eher noch verschlechtern wird. Erst da wurde mir klar, dass mich von jetzt an keine Diät der Welt mehr schöner machen wird. Und erretten schon gar nicht. Diäten aufzugeben, heißt für mich gar nicht, den Traum von „Attraktivität“ (was immer das ist) dranzugeben, denn der ist, vermutlich bereits seit Jahren und objektiv betrachtet, längst ausgeträumt. Dummerweise hat das Erwachen ohne mich stattgefunden. Mein Spiegelbild hätte mir das alles schon lange sagen können, wäre ich nicht so geübt darin gewesen wegzusehen und zu hoffen, dass man seine Realität und seinen Körper doch noch immer irgendwie photoshoppen kann, wenn man nur die richtige Zauberformel findet. Die Entscheidung gegen den Kampf um den Traumkörper und das Traumleben in ihm wurde mir vor langer Zeit schon abgenommen. Ich stand da und wusste: Das war’s. Die Spiegel von Ulla sagten: „Diesen Körper kriegst auf keinen Fall mehr hin. Jedenfalls nicht dahin, wo du ihn immer hinhaben wolltest. Und wo er vielleicht sogar vor ewigen Zeiten mal war, ohne dass du das erkennen konntest.“ Man kann es nicht oft genug wiederholen: Was ist das für eine Idiotie, bei der einen die Idee von einem unechten Körper davon abhält, ein echtes Leben zu leben!
Meine Aufgabe ist es nun, endlich mit dem Körper umzugehen, den ich hier und heute tatsächlich habe und ihn gut zu behandeln, damit er möglichst gesund bleibt, weil ich ihn brauche – als zuverlässiges Transportmittel für mein Hirn, das auch noch ein bisschen was vorhat. Und was für eine gute Idee, dass bei Ulla Popken Erfrischungstücher in den Kabinen liegen – ich bin wahrscheinlich nicht die einzige, die beim eigenen Anblick im Papageienanzug in Schweiß ausbricht. Vermutlich aber fangen nicht ganz so viele an zu heulen. Es war eine eigenartige Mischung aus Erschrecken, Abschiedsschmerz und Erstaunen. Erschrecken über die Wahrheit. Abschied von einem Lebenszweck und –ziel. DEM EINEN ZIEL, dem, zumindest gedanklich, alles andere untergeordnet war, und das nie erreicht wurde. Und nun auch nicht mehr erreicht werden wird. Erstaunen, weil ich plötzlich frei bin. Und nur durch etwas, das eigentlich nicht in meiner Natur liegt – sich abzufinden. Hätte ich ich nie eine Diät in meinem Leben gemacht, hätte ich heute einen Körper, der vermutlich hundertmal näher an gängigen Schönheitsidealen wäre, als der, in dem ich jetzt wohne. Aber es gibt keinen Weg zurück. Also muss man auch nicht zurückschauen. Ich käme ja auch nicht auf die Idee, jetzt noch Konzertpianistin werden zu wollen. Manche Züge fahren ohne einen ab, und das muss nicht einmal eine Tragödie sein.
Und wo wir gerade beim Ausmisten sind: Ja, ich habe es getan! Allerdings nicht nach meinem letzten Post, in dem ich es eigentlich angekündigt hatte, sondern erst heute unter dem Eindruck der Ereignisse hinter den Spiegeln: Alles, was kleiner ist, als eine Größe 44, wurde aus meinem Kleiderschrank ausgewiesen (mit einigen Ausnahmen). X und XL wurden jeweils zum Testen auf die Seite geschafft.
Ich hatte einen Schrank voller toter Träume. (Vom toten Kapital ganz zu schweigen.) Im Englischen hat man ja gern mal statt der Leiche im Keller "a skeleton in the closet" - wenn das nicht passend ist.
Geisterparade 1 (Größe 32 bis 40)
Insgesamt wird das Projekt wahrscheinlich noch ein paar Tage dauern - und es wird noch eine lange Nacht. Ich hoffe, die Aussortierten fangen zur Geisterstunde nicht an zu tanzen ; ).
NH
Ich weiß: Alle Jahre wieder. Aber zum ersten Mal nahm ich mir auch im hintersten Winkel meiner Seele NICHT mehr vor, das alles eines Tages zu ändern und schön und straff zu werden. Ich SAH die Verwüstung, die das Ergebnis jahrzehntelanger Diäten ist, die hängende, krisselige Haut an den Oberarmen, die silbrigen Dehnungsstreifen, die sich wie glänzende Schneckenspuren über meinen Bauch ziehen und das klumpige, wippende Fleisch an den Oberschenkeln, und BEGRIFF, dass dieser Kampf, selbst wenn ich es wollte, nicht einmal mehr mit operativen Maßnahmen zu gewinnen wäre. Und dass, im Gegenteil, die erneute, wenn auch nicht mehr drastische Gewichtsabnahme die nackten Tatsachen vermutlich aus rein ästhetischer Sicht eher noch verschlechtern wird. Erst da wurde mir klar, dass mich von jetzt an keine Diät der Welt mehr schöner machen wird. Und erretten schon gar nicht. Diäten aufzugeben, heißt für mich gar nicht, den Traum von „Attraktivität“ (was immer das ist) dranzugeben, denn der ist, vermutlich bereits seit Jahren und objektiv betrachtet, längst ausgeträumt. Dummerweise hat das Erwachen ohne mich stattgefunden. Mein Spiegelbild hätte mir das alles schon lange sagen können, wäre ich nicht so geübt darin gewesen wegzusehen und zu hoffen, dass man seine Realität und seinen Körper doch noch immer irgendwie photoshoppen kann, wenn man nur die richtige Zauberformel findet. Die Entscheidung gegen den Kampf um den Traumkörper und das Traumleben in ihm wurde mir vor langer Zeit schon abgenommen. Ich stand da und wusste: Das war’s. Die Spiegel von Ulla sagten: „Diesen Körper kriegst auf keinen Fall mehr hin. Jedenfalls nicht dahin, wo du ihn immer hinhaben wolltest. Und wo er vielleicht sogar vor ewigen Zeiten mal war, ohne dass du das erkennen konntest.“ Man kann es nicht oft genug wiederholen: Was ist das für eine Idiotie, bei der einen die Idee von einem unechten Körper davon abhält, ein echtes Leben zu leben!
Meine Aufgabe ist es nun, endlich mit dem Körper umzugehen, den ich hier und heute tatsächlich habe und ihn gut zu behandeln, damit er möglichst gesund bleibt, weil ich ihn brauche – als zuverlässiges Transportmittel für mein Hirn, das auch noch ein bisschen was vorhat. Und was für eine gute Idee, dass bei Ulla Popken Erfrischungstücher in den Kabinen liegen – ich bin wahrscheinlich nicht die einzige, die beim eigenen Anblick im Papageienanzug in Schweiß ausbricht. Vermutlich aber fangen nicht ganz so viele an zu heulen. Es war eine eigenartige Mischung aus Erschrecken, Abschiedsschmerz und Erstaunen. Erschrecken über die Wahrheit. Abschied von einem Lebenszweck und –ziel. DEM EINEN ZIEL, dem, zumindest gedanklich, alles andere untergeordnet war, und das nie erreicht wurde. Und nun auch nicht mehr erreicht werden wird. Erstaunen, weil ich plötzlich frei bin. Und nur durch etwas, das eigentlich nicht in meiner Natur liegt – sich abzufinden. Hätte ich ich nie eine Diät in meinem Leben gemacht, hätte ich heute einen Körper, der vermutlich hundertmal näher an gängigen Schönheitsidealen wäre, als der, in dem ich jetzt wohne. Aber es gibt keinen Weg zurück. Also muss man auch nicht zurückschauen. Ich käme ja auch nicht auf die Idee, jetzt noch Konzertpianistin werden zu wollen. Manche Züge fahren ohne einen ab, und das muss nicht einmal eine Tragödie sein.
Und wo wir gerade beim Ausmisten sind: Ja, ich habe es getan! Allerdings nicht nach meinem letzten Post, in dem ich es eigentlich angekündigt hatte, sondern erst heute unter dem Eindruck der Ereignisse hinter den Spiegeln: Alles, was kleiner ist, als eine Größe 44, wurde aus meinem Kleiderschrank ausgewiesen (mit einigen Ausnahmen). X und XL wurden jeweils zum Testen auf die Seite geschafft.
Ich hatte einen Schrank voller toter Träume. (Vom toten Kapital ganz zu schweigen.) Im Englischen hat man ja gern mal statt der Leiche im Keller "a skeleton in the closet" - wenn das nicht passend ist.
Geisterparade 1 (Größe 32 bis 40)
Eine Auswahl von der Pretty-in-Pink-Gedächtnisstange...
Das Kleine Schwarze meiner Großmutter bleibt natürlich.
Ebenso bleibt das Kostüm, in das ich zum Abi dann doch nicht gepasst habe (Größe 36) - als Memento Fuck Diets. Ja, ich weiß - ich hätte ausgesehen, wie eine Stewardess.
Die gelbe Hose (Größe 40) war das allerletzte Kleidungsstück, das ich gekauft habe, um "hineinzuschrumpfen".
Und das hier ergibt vielleicht noch eine schöne Kissenhülle.
Insgesamt wird das Projekt wahrscheinlich noch ein paar Tage dauern - und es wird noch eine lange Nacht. Ich hoffe, die Aussortierten fangen zur Geisterstunde nicht an zu tanzen ; ).
NH
Hallo Nicola,
AntwortenLöschenich habe deine site/blog unter meinen Favoriten gespeichert, nachdem ich im Februar dein Buch gelesen hatte.
Du sprichst mir so aus der Seele, aber ist 'aufgeben-abfinden-resignieren' wirklich die einzige Lösung für uns? Warum klappt es bei Anderen...?
Liebe Grüße aus Dresden.
Kathrin
Hallo Kathrin,
AntwortenLöschenes fühlt sich nicht an wie Resignation. Es fühlt sich für mich eigentlich nur so an, als ob ich endlich den Plan aufgegeben hätte, fliegen zu wollen, indem ich mit den Armen fuchtle und vom Dach springe. ; ) War auch keine leichte Reise bis hierhin, aber wir reden bei Diäten ja immer wieder davon, dass es "klick" macht. Ich glaube, das hat es bei mir nun - halt nur anders als gedacht. Mittlerweile, denke ich, ist auch wissenschaftlich ausreichend gründlich belegt worden, dass Diäten langfristig (5 Jahre wird das Zielgewicht gehalten) nicht erfolgreich sind, und dass man noch Glück hat, wenn man hinterher nicht mehr wiegt als vorher. Und dass man eben NICHT selbst daran Schuld ist, wenn das alles nicht hinhaut, sondern dass das in der perfiden Natur der Sache liegt. Ich finde wirklich, dass wir was Besseres im Leben verdient haben als Selbsthass und ewige Schuldgefühle! : )
Herzliche Grüße
Nicola
Schön, dass du die Zeit gefunden hast zurückzuschreiben:-)
AntwortenLöschen...ich finde wirklich, dass wir was Besseres im Leben verdient haben als Selbsthass und ewige Schuldgefühle! : )...
Ja furchtbar ist das, echt zum Heulen. Und ab und zu nehme ich mir ja auch den Spruch zu Herzen 'lieber mit einem Glas Sekt in der einen Hand und einer Praline in der Anderen in's Grab und glücklich als mager und dafür unzufrieden'...
Aber ehrlich gesagt, sind das nur Phasen. Eher beneide ich die Menschen, die durch Konsequenz und Durchhaltevermögen ihr WOHLFÜHLgewicht erreicht haben. Ich bin 45 Jahre, habe 2 Kinder, bin 170 cm groß und habe momentan mein Kampfgewicht von 78 kg. Soooo schwer war ich noch nie (zumindest ohne Baby im Bauch). Und bei mir kommt es echt nicht von einer Krankheit oder so...ich habe keine Ausrede...ich esse und trinke einfach zuviel. Hast du in der Bildzeitung (ja ja die Bild:-))das Bauchbattle verfolgt? Der Typ hat es geschafft in 10 Wochen. Oder schau dir die Susanne Schmidt an...oder oder oder...Es geht wirklich...nur nicht bei mir.
Liebe Grüße Kathrin
Natürlich ist das eine großartige Willensleistung von Frau Schmidt - allerdings ist der erste Satz, den ich von ihr gelesen habe, auch: "Es wird immer ein täglicher Kampf bleiben...". Und das stimmt. Jede Diät funktioniert - bis man sie beendet. Und ob der Bauch aus der Bild in 5 Jahren noch so flach ist, wie jetzt, steht in den Sternen. Denn nicht jeder kann jeden Tag und bis in alle Ewigkeit "kämpfen". ; )
AntwortenLöschenHallo Nicola,
AntwortenLöschenseitdem ich damals im Radio von deinem Plan, ein Blog über deine Gewichtsabnahme zu führen, gehört habe, habe ich immer wieder mal reingeschaut - und auch dein Buch gibt es auf meinem Bücherregal.
Dein Beitrag vom 7. Mai 12 macht mich quasi sprachlos und ziemlich betroffen. Ich probiers mal mit dem Schreiben:
Die Diäterfahrungen teile ich und auch das ein oder andere bittere Erwachen gab es für mich schon. Dennoch hoffe ich noch und ich bin auch gerade mal wieder "dabei". Ich wünsche dir und uns sehr, dass du irgendwann wieder zuversichtlicher schreibst. Vielleicht, wenn du auf dem Weg zu einem gesunden Körper einige Pfunde verlierst - ganz ohne Diät.
Alles Gute
Julia
Hallo Julia,
AntwortenLöschenvielen Dank für deinen Kommentar. Ich wünsche ich dir natürlich viel Erfolg!
Andererseits ist der Beitrag eigentlich ziemlich zuversichtlich - klar, nicht unbedingt, was Diäten betrifft - aber wenn es darum geht, sich von einem einengenden Schönheitsideal zu verabschieden, um besser leben zu können, dann schon. Und meine Vorstellungen von einem idealen Körper waren immer/(sind noch immer?) strenger als Fräulein Rottenmeier. ; )
Herzliche Grüße
Nicola